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Die Mauer, der Kalte Krieg und unbotmäßige Agenten im Film (Der Spion, der aus der Kälte kam, 1965, Bridge of Spies und Deutschland 83, 2015)

Die Mauer, die Deutschland von 1961 bis 1989 teilte, ist ein Geschichtszeichen des Kalten Krieges. Im Agentenfilm ist diese Teilung oft genug für die Plotline verantworlich. Der vorliegende Beitrag untersucht im Vergleich der Agentenfilme Der Spion, der aus der Kälte kam (Martin Ritt, 1965) und Bridge of Spies (Steven Spielberg, 2015) sowie der ersten Staffel der Fernsehserie Deutschland 83 (Anna Winger und Jörg Winger, 2015), wie die Storyline beiderseits der Mauer entwickelt wird und wie die filmischen Agenten in Abweichung von ihrer Mission die Logik des Kalten Krieges durchkreuzen. Dadurch gerät der Spion im geteilten Deutschland, der als „mythologischer Prototyp“ (Bernhard Greiner) des Kalten Krieges in den Kriminalfilmen der 1960er und 1970er Jahre reüssierte, auf je unterschiedliche Weise zwischen die Fronten. Gerade in der Normabweichung (dem Lapsus) und durch Verhandlung (der Causa), nicht durch Lösen des Casus (des Kriminalfalls), entwickeln sie einen kulturellen Code, der die Mauer als Wahrzeichen des Kalten Krieges überwindet.

Dieser Artikel erschien am 24.10.2023in der Zeitschrift Medienobservationen.
Er ist durch die DNB archiviert. urn:nbn:de:101:1-2023101623521476608052

DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/20088

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Merging of Realities: The ‘Non’-America in Roman Polanski’s The Ghost Writer.

Most of the plot of the 2010 film The Ghost Writer by Roman Polanski takes place on the island of Martha’s Vineyard, Massachusetts. However, the film was largely shot on the German islands of Sylt and Usedom, respectively. By comparing the film with the actual locations, this essay aims to show how Polanski constructs a ‘Non’-America that is simply imagined through the addition, rearrangement, or removal of various cultural artifacts.

Dieser Artikel erschien am 13.09.2023 in der Zeitschrift Medienobservationen.
Er ist durch die DNB archiviert. urn:nbn:de:101:1-2023090514073628960083

DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/20024

20230913Stoppe

„Talking to you scares me“. Zur dokumentarischen Inszenierung von Natürlichkeit und verschwörungstheoretischem Denken in Pandamned (2022)

Der mediale Raum der Verschwörungsgläubigen hat durch die Corona-Pandemie an Aufmerksamkeit gewonnen. Ein nicht zu vernachlässigender Teil dieses Raumes sind dabei Dokumentationen, die die Validität der eigenen Überzeugungen bestätigen sollen. An der beispielhaften Analyse einer dieser Dokus, Pandamned aus dem Jahr 2022, soll in diesem Beitrag gezeigt werden, wie der Verschwörungsglaube von der Idee einer reinen Natürlichkeit informiert und diese über die Techniken des dokumentarischen Filmstils konstruiert wird. Unter Bezug auf Donna Haraway wird aufgezeigt, inwiefern sich diese Vereinnahmung des Naturbegriffs im Sinne der Reinheit als unhaltbar erweist.

Dieser Artikel erschien am 02.08.2023 in der Zeitschrift Medienobservationen.
Er ist durch die DNB archiviert. urn:nbn:de:101:1-2023072612392963704119

DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/12345

20230802Fromm

“And I shall have to go deeper still” – Die Traum-im-Traum-Struktur in der Sonderfolge “The Abominable Bride” (2016) der BBC-Serie Sherlock.

Die BBC-Serie Sherlock (seit 2010) hat schon mehrfach innovative Darstellungsweisen im seriellen Fernseherzählen etabliert – nicht zuletzt auf formal-gestalterischer Ebene. Der One-off-Film “The Abominable Bride” (dt. „Die Braut des Grauens“, 2016) geht dabei noch einen Schritt weiter: Er spielt weitgehend im Kopf des Protagonisten. Oder doch nicht? Welche Vorstellung von ‚Kopfkino‘ vermittelt er dabei? Dieser Artikel untersucht die Traumkonzeption dieser Sonderfolge. Sie erfüllt serielle intratextuelle Funktionen, steht aber auch im Zeichen komplexer ‚Bewusstseinsfilme‘ wie Inception (2010).

20200714Neis

Die Kino-Wochenschau: Ein Modell der audiovisuellen Informationsvermittlung

Wissenschaftliche Modelle aufzustellen ist mehr noch in der Kommunikationswissenschaft als in der Medienwissenschaft verbreitet. Über die Kriterien, die ein Modell erfüllen soll, herrscht weitgehend Einigkeit. Ein Modell soll die relevanten Attribute grafisch darstellen und Komplexität reduzieren. Ziele sind Theoriereflexion oder Vorgangsexplikation. Der Artikel stellt eine übergreifende Informationsstruktur audiovisueller Medien dar. Welche Elemente sind unverzichtbar, um Zuschauer zu erreichen? Im Folgenden wird ein Vermittlungskonzept der Kino-Wochenschau als Zusammenspiel von audiovisuellen Elementen, Erzählstrategien und Framing aufgezeigt. Die Modellerstellung ermöglicht eine übersichtliche Darlegung von Informationsstrategie und ‚Stil‘ der Kino-Wochenschau, die als ‚Ursprungsform‘ non-fiktionaler Formate in Film und Fernsehen, von Nachrichten und Feature bis Dokumentation aufgefasst werden kann.

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Fernsehformate der ökonomisch-realistischen Singularisierung – Shopping Queen, Bares für Rares, Zwischen Tüll und Tränen

Im Vorabendprogramm sowohl der öffentlich-rechtlichen als auch der privaten Sender gibt es eine ganze Reihe von als Quotenhits geltenden Fernsehserien, die sich gleichermaßen durch eine ökonomische Akzentuierung wie auch eine zur Singularisierung tendierende Profilierung und Selbstdarstellung der Akteure auszeichnen. Es handelt sich dabei um Formate, die dokumentarische Präsentationsformen mit Elementen der Unterhaltung zu Dokutainment kombinieren. Wie dabei die Verzahnung von Ökonomie, Singularisierung und Realismus-Effekten genauer aussieht, wie realistische und ökonomische Prinzipien und Verfahren in diese audiovisuellen Medienprodukte und ihre Inhalte eingehen, wird an ausgewählten Serien aufgezeigt.

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The Sinner (2017). Klassischer Krimi oder Aufklärung eines Tabubruchs

Oberflächlich erzählt THE SINNER die Geschichte des Kriminalpolizisten Harry Ambrose, der die wahren Motive hinter dem mysteriösen Mord von Cora Tanetti an einem anderen Badegast sucht. Ein verdrängtes Trauma und ihre Kindheit voller Buße, Enthaltsamkeit und religiösem Fanatismus seitens der Mutter scheinen der Auslöser gewesen zu sein. Polizei und Justiz bringen somit Licht in Coras nebulös, religiös verwobenes Unterbewusstes und sorgen für die empirische Aufklärung des Falls. Eigentlich jedoch – so meine These – werden in THE SINNER mystische Opferfeste, Totems und Tabus verhandelt. Allerdings stehen sich Magie und Ratio nicht unversöhnlich gegenüber oder vermischen sich gar. Vielmehr wird der Mord als Überschreitung der innerdiegetischen Rechtsordnung, parallel zu den Tabubrüchen in der Tiefenstruktur verhandelt. Werden durch diese Parallelführung etwaige Grenzen und Sanktionssysteme einer – wenn man so will – magischen (Rechts-?)Ordnung durchdekliniert?

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Allzumenschliche Verbrechen. Zur Anthropologie des Kriminalgenres

Der Deutsche scheint eine Schwäche für Krimis zu haben. Mit der Erstausstrahlung einer Tatort-Folge im Jahr 1970 begann eine bis in die Gegenwart andauernde Erfolgsgeschichte. Etwa 9 Millionen Menschen schalten jeden Sonntag Abend den Fernseher an: Tatort-Zeit. Der weniger kriminalaffine Zuschauer muss sich dieser Vorliebe beugen. Denn auch wer sich von Montag bis Samstag in der Hauptsendezeit vor allem durch das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender zappt, scheint oft nur zwei Möglichkeiten zu haben: sich auf einen der Fälle einzulassen oder zum guten alten Buch zu greifen. Aber auch der krimischeue Leser sieht sich zunehmend in Bedrängnis: In den Buchhandlungenerweitert die Kriminalliteratur ihr Territorium, begründet Festivals, bevölkert Lesungen – ja, es entsteht häufig der Eindruck, als dominiere sie den Buchmarkt. Beruhtder Erfolg dieser Gattung ausschließlich auf unserer Faszination für das Abgründige und Rätselhafte?

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Kein Ausweg aus der Mi-seri(e)! Das Endlose Erzählen einer Endlichkeit in The Walking Dead

Ein tödlicher nicht abklingender Virus hält immer noch an, greift um sich, legt im außergewöhnlichen Maße weite Teile der Bevölkerung flach und lässt die Infizierten auf dem Zahnfleisch kriechen. Wirkt dieses Bild für die Beschreibung einer grassierenden Grippewelle hypochondrisch übertrieben, so untertrieben wirkt jene Beschreibung hingegen, wenn man der postapokalyptischen Endlosserie THE WALKING DEAD (USA 2010 ff.) auf den Zahn fühlt. Spätestens nach der achten Staffel von THE WALKING DEAD stellt man ernüchtert fest, dass die erste Staffel es auch getan hätte. Doch so zäh diese Serie auf einen wirken mag, drängt sie gerade wegen ihres frappanten Zuschauererfolgs zu einer Reflexion des ihr zu Grunde liegenden Zeitkonzepts. Es ist nämlich fast schon beeindruckend wie zäh sich die Serie entsprechend der Zombie-Gangart dahinschleppt und sich trotz enormer Handlungsarmut so lange am Leben halten kann, ohne dem Zuschauer einen Ausblick auf ein potenzielles Ende zu bieten. Wie lässt sich der merkwürdig geartete Überlebenstrieb dieser Serie medientheoretisch fassen, der an einem Schrecken ohne Ende mehr Gefallen findet als an einem Ende mit Schrecken? Wie kann eine postapokalyptische Narration, die bereits mit dem Ende beginnt erfolgreich einem Serienende aus dem Weg gehen? Diesen Fragen geht der folgende Essay nach.

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Der Bunker als Monitor – Unbreakable Kimmy Schmidt und die Ästhetik der Hysterie im Fernsehen

Fernsehen wurde durch seine der Hysterie vergleichbare Begehrensstruktur des Gesehen-werden-wollens bereits als psychopathologischer Komplex beschrieben. Meine Überlegungen zur Traumaerzählung in Unbreakable Kimmy Schmidt und der daraus hervorgehende Vorschlag einer Hysterie-Ästhetik knüpfen an ebendiese Affinität zwischen Fernsehen und Trauma an. Unbreakable Kimmy Schmidt übt sich im hysterisch-performativen Vorgang der (Bild- und) Affektsimulation, wendet die traumatisch-pathologische Struktur der (inhärent seriellen) Wiederholung an und schreibt diese damit nicht nur strukturell der innerdiegetischen Traumaerzählung Kimmy Schmidts ein, sondern reflektiert darüber hinaus die Funktionsweisen des Mediums Fernsehen.

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