Brent Spar / Ersatzabenteuer / Heldenmythos / Inhaltsanalyse / Magisches Viereck / Medienkultur / Presseberichte / Rainbow Warriors / Shell / Simmel


Joachim Westerbarkey

Das öffentliche Abenteuer. Greenpeace und die Medien.


Abstract: Letztes Jahr versuchte der Ölkonzern Shell die Bohrinsel "Brent Spar" in der Nordsee zu versenken. Greenpeace führte einen erbitterten Kampf gegen Shell und zwang den Konzern in die Knie. Die Medien spielten in diesem Szenario eine wichtige Rolle. nach einer theoretische Skizze der Abenteuer-Komunikation diskutiert dieser Artikel das Verhältnis von Greenpeace und seinem medienvermittelten Image. Die Analyse der Presseberichterstattung über den Konflikt um die "Brent Spar" stützt sich auf zwei deutsche Zeitungen (BILD und FAZ) und zwei Nachrichtenmagazine (FOCUS und SPIEGEL).


Prolog

Rainbow Warriors - "Krieger des Regenbogens"-nennen sie sich und berufen sich auf einen Mythos der kanadischen Cree-Indianer, nach dem eines Tages ein tapferes neues Menschengeschlecht die Erde vor dem Untergang retten wird. Sie sind straff organisiert, wirtschaftlich erfolgreich und wissen sich eindrucksvoll und multimedial in Szene zu setzen: Bilder von riskanten Schornsteinklettereien, tollkühnen Schlauchbootmanövern und - wie bei der "Brent Spar-Aktion" im letzten Sommer - waghalsigen Hubschraubereinsätzen sind um die Welt gegangen und haben das Image unerschrockener Abenteurer geprägt, obwohl vermutlich die meisten Erfolge dieses "Öko-Konzerns" recht unspektakulär hinter den Kulissen und ohne größere Resonanz erzielt worden sind (1). Doch die Herzen des Publikums schlagen eben kaum höher, wenn am grünen Tisch um vernünftige Entscheidungen gerungen wird, sondern wenn sich spektakuläre Aktionen unter Einsatz von Leib und Leben vor laufenden Kameras abspielen.


Zur Faszination des Abenteuers

Abenteuer sind keine alltäglichen Ereignisse, sondern außergewöhnliche, gewagte Unternehmen, Mut- und Bewährungsproben, deren Verlauf nicht vollständig vorauszusehen ist und schwer berechenbare Gefahren birgt. Abenteuer unterbrechen rituelle Lebensprozesse, durchbrechen konventionelle Regeln und Routinen, und der vorübergehende Ausbruch aus Erwartbarkeit und Sicherheit ist deshalb so faszinierend, weil er erregend und potentiell hochinformativ ist: Echte Sensationen werden möglich, seltene, erstaunliche, beängstigende oder beglükkende Erlebnisse und Empfindungen, unerhörte Höhepunkte unseres allzu oft gelangweilten Seins, die Jugendliche "gigantisch" oder "einfach irre" finden. Mit dem Wunsch nach aufregenden Überraschungen erwarten wir das Unerwartete, und die Angstlust, die uns dabei begleitet, sorgt für den gesuchten "thrill". Doch zugleich rechnen wir auch mit einem glücklichen Ausgang und mit einer Rückkehr aus der temporären Exklave in die frühere Ordnung, auf deren Fortbestand wir auf unseren leichtfertigen Ausflügen vertrauen können (deshalb sind Emigranten und Exilanten auch keine Abenteurer).

Georg Simmel hat schon zur Jahrhundertwende die wichtigsten Stichworte zur Theorie des Abenteuers geliefert (2); er vergleicht Abenteurer mit Spielern, die das kalkulierte Risiko suchen, denen es dabei weniger um die Sache als um die Erlebnisform (also sich selbst) geht und die mehr auf ihr Glück als auf ihre Kraft und Tüchtigkeit setzen. Zu ergänzen sind hier vermutlich angeborene Dispositionen wie Reizbedarf und Neugier, Dominanzstreben und Aggressivität, die abenteuerliches Verhalten als durchaus sinnvolle Überlebensstrategie erklären helfen. Rätsel zu lösen und fremden Geheimnissen auf die Spur zu kommen, das Fremde, Unheimliche und Böse zu bannen und sogar dem Tod ins schreckliche "Auge" zu blicken, um am Ende vielleicht besondere Gratifikationen ernten zu dürfen, hat Menschen wohl schon immer fasziniert; jedenfalls bietet die Weltliteratur ungezählte Abenteuergeschichten aller Art, die seit eh und je zu den Bestsellern gehören (3).


Publizistische Ersatzabenteuer

Um wenigstens symbolisch eigene Erlebnisdefizite ausgleichen zu können, lassen sich weniger Aktive oder Mutige nämlich gern von Abenteuern berichten, ob sie nun stattgefunden haben oder nicht, aber noch lieber sind wir Voyeure mit den Augen dabei, wenn es irgendwo "brennt" (4). Früher wurden zu diesem Zweck zumeist Jahrmarktillusionen geboten, doch inzwischen florieren vor allem ein gigantisches touristisches "Erlebnismarketing" (5) und die nicht minder profitable Medienkultur des "Reality TV". Beide Branchen vermarkten ein ähnliches Arsenal von Stoffen, das von kleinen Fluchten bis zu großen Kämpfen und Katastrophen reicht (6), und sorgen so für den organisierten Nervenkitzel zivilisationsmüder Mitbürger, die sich ihreTagträume entweder mit beträchtlichen Kosten auf exotischen Survival-Trips erfüllen möchten oder zum Nulltarif im häuslichen "Pantoffelkino". Doch beide Branchen bieten lediglich Abenteuersurrogate, denn organisatorische und technische Vorkehrungen sorgen hier wie dort dafür, daß eigentlich nichts Schlimmes passieren kann, schon gar nicht beim Fernsehen: sie kolonisieren die vermeintliche Wildnis und transformieren sie fotogen in Filmstudios (7).

Offenbar spielt sich das "richtige" Leben stets woanders ab, denn Freizeit wird zunehmend zur begehrten Nische für stimulierende Grenzüberschreitungen, und seien sie nur imaginär. Wie Kinder, die mit klopfendem Puls Neuland erkunden, verbotene Spiele spielen oder glauben, im Schlepptau vorabendlicher Serienstars erwachsen zu werden, sitzen viele brave Bürger auf der Suche nach Höhepunkten unentwegt vor dem Bildschirm. Dazu Louis Bosshart:

"Die Mischung von Bekanntem und Unbekanntem, von Beständigem und Wechselndem, von Vorhersehbarem und Unvorhergesehenem, von Gewißheit und Ungewißheit läßt den Zuschauer in Sicherheit Abenteuer erleben [..:]. Dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und gleichzeitiger Infragestellung der Ordnung kommt das kalkulierte Risiko und die kontrollierte Innovation der Unterhaltung entgegen [...]."(8)

Entertainment ist eben hochgefragt, und die Medien anworten mehr oder weniger konsequent mit einer Sensationalisierung ihrer Angebote (9): Sie machen Abenteuer, um Aufmerksamkeit zu maximieren und Spannung selbst für Banalitäten zu erzeugen, doch mancher verheißungsvolle Beitrag erweist sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung.


Rezeptive (Selbst-)Täuschung

Zu den bewährtesten Aufmerksamkeitsregeln publizistischer Medien gehören die Nähe und Tragweite eines Ereignisses, seine Dynamik und Konflikthaftigkeit sowie die Prominenz und Attraktivität der Beteiligten (10). Das beste Vehikel, um das Publikum zu fesseln und seine Chancen zur Identifikation und Projektion zu optimieren, sind aber "Helden", denn wer keine Partei ergreifen kann, langweilt sich. Für deren optimale Präsentation bietet unsere Kultur zwar etliche Varianten, doch folgen sie überwiegend dem bewährten David-Goliath-Muster, also dem Klischee altruistischer Motivation, vergleichsweise geringer Mittel und Chancen, lebensgefährlichem Einsatz und unerwartetem Triumpf. Daher ist es äußerst profitabel, ein Medienheld zu sein, denn längst hat sich ein "magisches Viereck" zwischen Medienkapital, mächtigen Interessengruppen, Helden und Publika formiert, wobei letztere die moderenen Mythen zu geringen Preisen und minimalen Risiken symbolisch miterleben dürfen. Selbst Grauenhaftes wie Terror und Krieg wird in Abenteuergeschichten transformiert und ausgebeutet, und das Volk amüsiert sich zwar nicht zu Tode, wie Postman orakelt (11), aber über Leichen.

Daß es sich dabei nicht nur fortwährend um eigene Abenteuer und Höhepunkte betrügt, sondern auch planmäßig um entsprechende Chancen gebracht wird, wirft aber noch ein weiteres Problem auf, nämlich die Frage nach denen, die den Umgang mit Symbolen und Medien perfekt beherrschen, und dazu gehört zweifellos auch Greenpeace (12). Damit soll keineswegs deren Ehrenhaftigkeit und Nützlichkeit angezweifelt werden, auch wenn der britische Historiker Eric Hobsbawm feststellt:

"Greenpeace hat die Öffentlichkeit auf die gleiche Weise zu mobilisieren versucht wie etwa Berlusconi oder Time Warner [...], nämlich durch direkte Ansprache an das Publikum mittels der modernen Medien. [...] Ob eine solche Kampagne Erfolg hat oder nicht, hängt ganz und gar nicht von ihrer politischen oder intellektuellen Rechtfertigung ab, sondern von der Manipulation der Massenpsychologie." (13)


Zur Berichterstattung

An einer exemplarischen Auswahl von Pressetexten läßt sich trefflich beobachten und beschreiben, welches Image Journalisten den Rainbow Warriors attestiert haben, als diese sich vor einem Jahr mit dem Öl-Multi Shell anlegten. Da die heftige Auseinandersetzung immerhin sieben Wochen währte, sollen hier nicht alle Imageaspekte berücksichtigt werden, sondern nur jene, die das Abenteuerschema bestätigen oder kritisieren. Gegenübergestellt werden dabei zum einen die Darstellungen in FAZ und BILD, um verschiedene Diskursebenen (bei ähnlicher politischer Grundorientierung) erfassen und miteinander vergleichen zu können, und zum andern die Darstellungen der Nachrichtenmagazine SPIEGEL und FOCUS als mutmaßlicher Leitmedien gegensätzlicher Interessengruppen. Der Untersuchungszeitraum reicht von Anfang Mai bis Ende Juni 1995, und die Methode ist weitgehend qualitativ (was sich schon deshalb empfiehlt, weil die Formate, Stile und Erscheinungsintervalle der vier Periodika sehr unterschiedlich sind). Häufigkeit und Umfang der Berichterstattung in den ausgewählten Blättern entspricht im übrigen dem durchschnittlichen Berichterstattungsverlauf in deutschen Medien insgesamt (14).


BILD

Obwohl die ausgediente Offshore-Anlage bereits am 30. April von Greenpeace-Leuten besetzt worden war, greifen BILD und FAZ das Thema erst am 23. bzw. 24. Mai 1995 auf, als Einsatztruppen der Polizei und des Ölkonzerns versuchten, den Turm mit Gewalt zu räumen. Das BILD-Motto "David gegen Goliath" bestimmt seitdem die Perspektive dieses Blattes, mit der sich jener "kleine Mann" leicht identifizieren kann, der das Hauptkontingent der BILD-Leser stellt. Gleich das erste Foto visualisiert die Perspektive markant: Wetterfeste "Umweltschützer" steuern ein winziges Boot durch stürmische See auf ein Monstrum aus Beton und Stahl zu. Dieses Motiv fand sich übrigens auch in den anderen untersuchten Blättern, und das biblische Motto übernahm am Ende sogar die sonst äußerst distanzierte FAZ, wenn auch nur in Form einer Karikatur.

BILD ließ es zunächst dabei bewenden und meldete erst drei Wochen später wieder Neues aus der Nordsee, nachdem die "Brent Spar" zum zweitenmal besetzt wurde und der Konflikt nicht nur dort zu eskalieren begann. Und wieder verging eine Woche ohne Nachrichten von Greenpeace, die sich dann aber fast überschlugen, als mit den Hubschrauberflügen der Höhepunkt und das baldige Ende der Kämpfe erreicht war. Insgesamt fanden sich in der BILD zwar 28 Beiträge zum Themenkomplex "Bohrinsel und Boykott", aber nur ein knappes Dutzend zu den turbulenten Ereignissen selbst, darunter einige farbige Abenteuerstories mit bezeichnenden Passagen:

"David gegen Goliath auf dem Meer. Greenpeace gegen den Öl-Multi Shell. [...] Gestern: 7 m hohe Wellen und peitschender Sturm. Shell-Mitarbeiter wollen die Sprengung vorbereiten. Doch die Greenpeace-Leute enterten den Turm, ketteten sich an." ("Greenpeace verhindert Bohrturm-'Entsorgung'", 23.05.95, S.2)
"In der Nordsee versuchten Greenpeace-Aktivisten verzweifelt, die Aktion zu verhindern. Sie wurden mit Wasserwerfern gestoppt." ("Öl-Plattform. Boykott-Aufruf gegen Shell", 13.06.95, S.1)

"Die riesige Öl-Plattform von Shell - ein Pulverfaß! Bereits fix und fertig zur Sprengung! Was geschieht mit den zwei Greenpeace-Kämpfern an Deck der Brent Spar? [...] Sie wollen ausharren:"Bis zum Äußersten." Greenpeace:"Wir rufen sie nicht zurück." Selbst dann nicht, wenn die Brent Spar unter ihren Füßen wegsinkt?" ("Greenpeace-Kämpfer. Sie stehen auf 500 kg Sprengstoff", 20.06.95, S.1)

"Ein zierliche Frau gegen den Öl-Giganten. Mit ihrem waghalsigen Einsatz wurde Shell besiegt. Pilotin Paula Huckleberry [...] durchbrach mit ihrem Hubschrauber die Shell-Wasserkanonen." ("Diese Frau siegt über Shell", 21.06.95, S.1)

Hier wird Lebensgefahr beschworen, Drama ist angesagt, und die Krieger und Sieger sind zweifellos die Helden des Tages, von passenden Fotos prächtig in Szene gesetzt.


FAZ

Ganz anders die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die recht kontinuierlich zur Sache berichtet und in 17 Ausgaben 36 Beiträge anbietet, in denen jedoch nur gelegentlich Passagen die Kategorie "Abenteuer" ansprechen und weit weniger spannend geschrieben sind als in BILD, nämlich so:

"Auf der Nordsee ist es in den vergangenen Tagen stürmisch zugegangen. Der Ölkonzern Shell ließ die Ölplattform "Brent Spar" von Aktivisten der Umweltgruppe Greenpeace räumen. Diese hatten die Bohrinsel in der Nordsee geentert." ("Streit um die Versenkung der Ölplattform von Shell in der Nordsee", 26.05.95, S.18)

"In einem letzten Versuch eines Widerstands hatten zwei Umweltschützer ihr Rettungsfloß an eine Ankerkette befestigt, waren aber gekentert und mußten von einem Boot der Shell gerettet werden." ("Die Brent Spar unterwegs in den Atlantik", 14.06.95, S.18)

"Greenpeace setzte unterdessen die Machtprobe [...] fort. Mit einem Helikopter sei es trotz ständigen Beschusses aus Wasserkanonen gelungen, Lebensmittel, Kleidung und Decken zu den beiden Mitarbeitern [...] zu bringen [...]".("Shell prüft Entschädigung", 19.06.95, S.2)

"Ungleicher Kampf: Ein Begleitschiff der 65 000 Tonnen schweren Ölplattform "Brent Spar" hat nach Angaben von Greenpeace versucht, einen der beiden Besetzer der Plattform gezielt mit einer Wasserkanone über Bord zu schießen. Der Mann sei nur deshalb nicht ins Meer gestürzt, weil er in einem Stacheldraht hängengeblieben sei." ("Ungleicher Kampf", 20.06.95, S.3, Bildtext)

"Gegen Wasserkanonen gesiegt: Die Greenpeace-Pilotin Paula Huckleberry hat am Dienstag zwei weitere Mitarbeiter der Umweltschutzgruppe auf die "Brent Spar" geflogen".("Die Daumenschrauben immer wieder neu ansetzen", 21.06.95, S.3, Bildtext)

Von Anfang an distanzieren sich die Autoren der FAZ auch durch ihre Bezeichnungen jener Helden von diesen und ihrer Organisation: Heißen sie zunächst noch "Mitglieder","Protestierende", "Angehörige" und "Umweltschützer", so werden sie später "Aktivisten", "Besetzer" oder "Pressure-Group" genannt. Den Schlußakkord stimmt Jürgen Jeske an, der sich gleich mehrfach und mit unverhohlener Polemik bemüht, das Image der Organisation und ihrer Arbeit zu demontieren:

"Greenpeace ist eine Protestorganisation, die ihre Ziele weitgehend durch spektakuläre Konfrontation herbeizwingen will und damit den üblichen demokratischen politischen Protest aushebelt. [...] Nur in Deutschland lassen sich Emotionen so durchschlagend mobilisieren. [...] Kein Wunder, daß es Ausländern immer wieder vor uns graust!" ("Der Müll, das Meer, die Moral", 20.06.95, S.13)

"Mit einer Mischung aus Umweltengagement, kühlem Geschäftssinn, Organisationstalent und einem ausgeprägten Gefühl für Symbolik stellt Greenpeace so manche Sekte in den Schatten. [...] Die Schlagkraft [...] erklärt sich [...] vornehmlich mit der straffen Organisation, die jeder politischen Kaderschmiede Ehre machte." ("Die Daumenschrauben immer wieder neu ansetzen", 21.06.95, S.3)

Jeske entlarvt in seinen Kommentaren durchaus korrekt den Inszenierungscharakter der "militanten" Greenpeace-Aktionen ("tollkühne Helden" gegen "ungeschickt agierenden Schurken"), doch dürfte dieser kaum seine erklärten Zweifel an moralischer Integrität und demokratischer Gesinnung rechtfertigen und schon gar nicht seine implizite Beschuldigung, zu Anschlägen auf Tankstellen angestiftet zu haben ("Was wäre gewesen, wenn bei den Anschlägen eine Tankstelle explodiert wäre, wenn Menschen zu Schaden gekommen wären?" "Der Müll, das Meer, die Moral.",a.a.O.).

Aber auch seine Kollegen sind keineswegs zimperlich:

"Die smarten Kampagnen-Designer von Greenpeace [...]. Eine ganze Nation tanzt nach ihrer Pfeife, und die politische Klasse verliert den Verstand." (E.F., "Die Greenpeace-Pfeife", 21.06.95, S.14)

"Die Akteure [...] vor den Küsten Schottlands waren [...] zwei Multis, von denen der eine mit Öl, der andere mit Emotionen handelt. [...] Daß sie [die Greenpeace-Akteure, J.W.] gegen die Rechtsordnung verstoßen haben, ist offensichtlich [...]". (Konrad Adam: "Kampf der Multis", 23.06.95, S.41)

Immer wieder wird dabei nach dem politischen Mandat der Organisation gefragt und Sorge um die Verführbarkeit von Massen zur Anwendung von Gewalt bekundet. Die publizistische Strategie liegt auf der Hand: Die "Krieger des Regenbogens" sollen entmythologisiert und entmystifiziert werden, ihre Organisation das Stigma eines machtvollen "(Öko-)Multis" erhalten.


FOCUS und SPIEGEL

Welches Image vermitteln schließlich die Nachrichtenmagazine FOCUS und SPIEGEL? Zunächst einmal waren sie erstaunlich früh "am Ball", nämlich beide schon in der ersten Mai-Ausgabe, haben das Thema dann aber erst wieder ausführlich in den beiden letzten Juni-Nummern behandelt, der SPIEGEL sogar in einer Titelgeschichte. Das "große Abenteuer" findet im FOCUS jedoch nur in der Mai-Ausgabe statt, garniert mit einer bunten Bildleiste, zu der es im Text u.a. heißt:

"Castle, 44, als Kapitän von sechs Greenpeace-Schiffen schon fast eine Legende, hat "Brent Spar" gegen 12 Uhr mit drei Kletterern aus Deutschland geentert. Erhard Steinhaus, 48, Umweltaktivist und Holzmakler aus Ibbenbüren, hängt an einem Überhang in den Seilen. [...] Ein waghalsiges Unternehmen, 20 Meter über der eiskalten Nordsee. [...] Ein Sturmtief mit bis zu acht Windstärken macht weitere Versorgungsfahrten unmöglich. Lebensmittel sind knapp und müssen rationiert werden [...]. Die Ungewißheit in der rauhen Wasserwüste geht an die Nerven. Doch Knut Brommann, 25, gelernter Schiffsmechaniker, bleibt gelassen [...]. Knut will zwei Monate auf der "Brent Spar" bleiben und "höchstes persönliches Risiko" eingehen. [...] Überall lauert Lebensgefahr." ("Greenpeace gegen Shell", 19/1995, S.48 ff.)

Während FOCUS-Journalisten bei der Darstellung des Konflikts eigene Wertungen weitgehend vermeiden, zeigt der SPIEGEL ganz offen Sympathie für Greenpeace und berichtet begeistert vom Kampf um den Bohrturm. So heißt es etwa:

"Der rotgelbe Turm [...] ragt 28 Meter hoch über die Nordsee. [...] Der kalte Wind legt zu - Sturmwarnung für das Wochenende. [...] Seit vergangener Woche halten die Regenbogen-Kletterer das rostige Ungetüm [...] besetzt, um das Versenken zu verhindern. Die Plattform-Piraten hievten mit Seilen, Winden und Steighilfen bei vier Grad Außentemperatur und bis zu drei Meter hohen Wellen Proviant, Frischwasser sowie ein schwarzweißes Banner [...] an Bord. Aufschrift: "Save the Northern Sea"." ("Dank an Shell", 19/1995, S.144 f.)

"Wie eine Seeschlacht zwischen Gut und Böse nahm es sich aus [...]: bergsteigegeübte Greenpeacer, die in leuchtend roten Overalls auf schwankendem Schlauchboot den verhaßten Öl-Multi an seiner rostigsten Stelle attackierten. [...] Mit Wasserkanonen [...] zielten die Shell-Schiffer auf gewaltfreie Greenpeace-Leute im Schlauchboot." ("Versenkt die Shell", 25/1995, S.22 ff.)

"Drei Schlauchboote werden per Kran zu Wasser gelassen, um herauszufinden, wie die Wachhunde der Brent Spar reagieren. In rasender Fahrt klatschen die Boote über die Wellen. Für das Boot mit den Kameramännern fährt Feik eine extra steile Kurve, haarscharf unter dem Bug des Schleppers vorbei. Greenpeace Classic eben. David gegen Goliath. [...] Entschlossen wie ausgehungerte Moskitos werfen sich die fünf winzigen Greenpeace-Schlauchboote den drei eisernen Sicherungsbooten [...] entgegen. Eine Inszenierung wie aus dem Bilderbuch: aufrechte Gläubige auf dem Weg zu den Löwen." ("'Man muß die Dinge nur tun'", 25/1995, S.26 f.)

"Draußen auf See geht es um Leben und Tod, seit Shell-Schiffe mit Wasserkanonen auf die Besetzer der "Brent Spar" zielen." ("'Herkströter oder Major?'", 26/1995, S.84 ff.)

"Szenen, wie fürs Fernsehen gemacht. [...] Kapitän Jon Castle schossen die Tränen aus den Augen und verfingen sich im roten Vollbart. [...] Da standen sie nun, die Kämpfer für Gerechtigkeit, die von Bild gefeierten "Helden" der Nation, und hatten keinen Gegner mehr." ("'Es ist ein Wunder'", 26/1995, S.87 ff.)

Und zum guten Schluß bringt der SPIEGEL ein Foto mit jubelnden jungen Siegern, die das Magazin ja nicht selbst auf den Thron gehoben haben will, sondern höchst bescheiden BILD diese Ehre überläßt.


Epilog

BILD und SPIEGEL (welch aparte Kombination!) haben mithin einträchtig und fleißig am Abenteuer- und Heldenmythos von Greenpeace gestrickt (wenn auch sicherlich aus ganz unterschiedlichen Gründen), FOCUS hingegen nur sporadisch, und die FAZ hat sich mit allen journalistischen Mitteln darum bemüht, dieses Image mitsamt seinen Trägern zu diskreditieren. Welches Blatt damit welche Wirkungen erzielen konnte, läßt sich im Nachhinein kaum ausmachen; jedenfalls beugte Shell sich schließlich den inzwischen europaweiten Protesten und Boykotten, gab am 20. Juni seine Versenkungspläne auf (15) und entschuldigte sich sogar in einer aufwendigen Werbekampagne dafür. Für Greenpeace und die Medien hat sich das öffentliche Abenteuer zweifellos nachhaltig gelohnt, während Shell wohl noch lernen muß, daß Mythen weder mit Gewalt noch Public Relations beizukommen ist.



Ausführlichere Angaben zum Thema über Post und e-mail beim Verfasser: westerba@phil-fak.uni-duesseldorf.de

   


    

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