Architektur / Architekturtheorie |
Daniel Krause
Daniel Libeskind Libeskinds Bauten sind in besonderer Weise Text, und sie verbinden verschiedene Medien. Tatsächlich gibt es sonst keine Architektur mit einer derart „intermedialen“ Charakteristik. Darum verdient Libeskind Aufmerksamkeit, obwohl ihm Theatralität und Eklektik zum Vorwurf gemacht werden und seine Einlassungen nach Inhalt und Form eher kryptisch sind. Anhand programmatischer Selbstauskünfte sollen die architekturtheoretischen Grundannahmen Libeskinds sichtbar gemacht werden. Der Begriff „Ereignis“ hat dabei besonderen heuristischen Wert.
Daniel Libeskind ist
der berühmteste Architekt der Dekonstruktion. (1)
Seit Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao und Eisenmans Berliner Holocaust-Mahnmal
haben die Gewichte sich etwas verschoben, aber Libeskinds Jüdisches
Museum in Berlin (1988-1999) war der erste dekonstruktionistische Bau,
der auch außerhalb der Architekturszene wahrgenommen wurde, und
zwar weltweit. Libeskinds (letztlich erfolgloses) Engagement an Ground
Zero hat seine Reputation jüngst wieder gestärkt, vor allem
in Amerika, wo er höhere Wertschätzung genießt als Eisenman
oder Zaha Hadid. Es gibt aber auch sachliche Gründe, sich mit Libeskinds
Architektur auseinanderzusetzen: In gewisser Hinsicht ist er der Prototyp
eines Dekonstruktionisten: Anders als Gehry und Eisenman erhielt er jahrzehntelang
keine Gelegenheit zu bauen. Seine frühen Entwürfe sind daher
aller Sachzwänge statischer und funktionaler Art enthoben. Sie gehören
zum Wildesten, Phantastischsten, was Architekten erdacht haben. Zur `Verwirklichung’
sind sie nicht geeignet. Darin sind sie repräsentativ für die
Architektur der Dekonstruktion: Die Materialisierung von Entwurfsideen
ist deren Grundproblem. Solche Architektur spielt sich zuerst und vor
allem im Kopf ab. (Und viele meinen, als Gedanke überzeuge sie mehr
denn als `in Wirklichkeit’.) (2) Zweitens lohnt
es, Libeskinds Auffassung von Architektur als Text zu würdigen. Sie
verbindet derridistisches Gedankengut (der „dislozierende“
Text, die Uneinholbarkeit der Bedeutung) – man kennt es von Eisenman
– mit der „postmodernen“ Idee einer „sprachlichen
Architektur“. Drittens sind Libeskinds Bauten in hohem Maße
„intermedial“: Sie sind Raum, Materie, Text und Klang gleichermaßen.
Auch gehen topographische und historische Gegebenheiten des städtischen
Umfelds in den Entwurfsprozess ein. So entsteht – musikalisch gesprochen
– eine Polyphonie (mancher wird sagen: Kakophonie) der verschiedensten
Medien. Darin kommt niemand Libeskind gleich. Seine Bauten sind viertens
besonders geeignet, einen Zentralbegriff der zeitgenössischen kontinentalen
Philosophie verständlich zu machen: das „Ereignis“.
Wie Jencks und Eisenman verweigert sich Libeskind der modernen Idee `absoluter’ Architektur. Seine Architektur kommuniziert, nimmt Bedeutungen an: Architecture is a communicative art. All too often, however, architecture is seen as mute. Buildings are understood as disposable consumer items whose sole fate is to disappear with their use. (3) (Libeskind 2002) Die `Bedeutungen’ der Architektur – ihr Text – können nicht ohne weiteres verbalisiert werden. Libeskind betont die Schwierigkeiten des Redens über Architektur: As I was thinking about what to say
today I realized how difficult it is for an architect to speak about his
work without the usual paraphernalia of slide projectors and images. Architecture,
which is evoked only by words, makes one almost feel 'at home' in language.
By surrounding oneself with language one almost comes to believe that
one has escaped from the opacity of space and that what remains 'out there'
is only an empty stage set. […] So kann es nicht überraschen, dass Libeskinds Ausführungen über Architektur vage bleiben: Sie gleichen metaphorischen Umschreibungen al fresco. Ihr rhapsodischer Duktus ist grundverschieden von Eisenmans Bemühungen um begriffliche Durchdringung und Jencks Entwürfen zu einer Klassifikation architektonischer Zeichen. (4) Um architekturtheoretische Rechtfertigungen seines Vorgehens ist Libeskind allerdings nicht verlegen: No abstract theory, game of forms, application of technology or pragmatics is sufficient to communicate the fact that architecture is a movement beyond the material. It is length, height and width, but also the depth of aspiration and memory. The living source of architecture is the very substance of the soul and constitutes the structure of culture itself. (Libeskind 1999) Oder: A building can be experienced as an unfinished journey. It can awaken our desires, propose imaginary conclusions. […] A building can awaken us to the fact that it has never been anything more than a huge question mark. (1999) Architecture is generated, sustained and propelled into the future by dreams and aspirations; by awakenings and realizations; by the visible and the invisible. (5) (1999) Oder: The power of building is certainly more than meets the eye. It is the non-thematized, the twilight, the marginal, event. (1997) Als „Fragezeichen“, „Zwielicht“, „Unsichtbares“, „Traum“ und „Sehnsucht“ kann Architektur kaum Gegenstand eines wissenschaftlichen oder alltagssprachlichen Diskurses werden. In gewisser Weise ist sie das Uneinholbare schlechthin: Is architecture not the quintessential 'taken for granted', the unthinkable, the monstrous, the gender-less, the repressed, the other? (1997) Architektur in Libeskinds Sinne ist also durch eine eigenartige Ambivalenz gekennzeichnet: Auf der einen Seite steht Jenckssche Beredsamkeit – viele sagen: Redselig- oder Geschwätzigkeit –, auf der andern die dekonstruktionistische Grundüberzeugung, dass sich die Bedeutung der `Rede’ der Architektur stets entzieht. Die Idee von der (sprach-) transzendenten Qualität der Architektur erfährt dabei eine eigentümliche Überhöhung. Sie motiviert das Pathos von Libeskinds Einlassungen. (6) In der zeitgenössischen Architekturszene sucht es seinesgleichen. Recht besehen setzt es ein scheinbar antiquiertes Kunstverständnis voraus: Architecture is and remains the ethical, the true, the good and the beautiful, no matter what those who know the price of everything and the value of nothing may say. (1997) In gewisser Weise überbietet Libeskind die `Alten’ sogar: Schon bei Kant wurden die Sphären der Ontologie/Erkenntnistheorie, der Ethik und Ästhetik voneinander getrennt. (7) Auch der Geniebegriff ist Libeskind keineswegs fremd. So hält er hartnäckig an der kreativen Autorität des Architekten fest: Der Computer wird zum bloßen Hilfsmittel degradiert. Es scheint zwar forciert, aus Libeskinds `personalisierten’ Entwurfsverfahren auf den Genie-Begriff zurückzuschließen. Doch dekonstruktionistische Architektur ist größtenteils computergeneriert, und der Versuch, das Genie (das Subjekt, den Künstler) mit Hilfe des Computers `auszulöschen’, wird zumindest bei Eisenman zum Programm erhoben. Auch außerhalb des dekonstruktionistischen Umfelds – etwa beim weltweit angesehensten `Ingenieurarchitekten’: Norman Foster – wirkt der Computer entscheidend in den Entwurfsprozess hinein. Unter den `Weltarchitekten’ der Gegenwart dürfte keiner sein, dem das eigene `demiurgische’ Vermögen mehr gilt als Libeskind. Libeskinds Architektur steht für „Intermedialität“ – ein Schlagwort, das heute ganze Diskurse bestimmt. Kein Künstler ist dafür einschlägiger. (8) Ein Musterbeispiel ist das Jüdische Museum in Berlin, das als Zeichnung im imaginären Raum konzipiert wurde (daher der Projektname: „Between the Lines“), zugleich als Antwort auf Schönbergs „Moses und Aaron“. (9) Es verarbeitet mehrere Textsorten: literarischen Text (Walter Benjamins „Einbahnstraße“), dokumentarischen (eine Liste der aus Berlin deportierten Juden) und die historische `Textur’ der Stadt. (10) So ist es massiv übercodiert – intermedial. Interferenzen zwischen verschiedenen Medien kommen hier aber nicht dadurch zustande, dass Schriften auf Bilder platziert oder Räume mit Sounddesigns ausgestattet werden: Intermedialität hat ihren Ort im Entwurfsprozess und im Imaginären. In gewisser Weise ist dieses Gebäude nahe daran, sich in ein `Traumgespinst’ zu entmaterialisieren: Lines of history and of events; lines of experience and of the look; lines of drawing and of construction. These vectors form a patterned course towards 'the unsubsided' which paradoxically grows more heavy as it becomes more light. I think of it as that which cannot be buried: that which cannot be extinguished: Call it Architecture if you want. Berlin Museum and the Jewish Museum: addresses; matrix of light; names; echoes of the Void; intermarriage; assimilation; integration; exile; erasure; hope. What is lost in the sky, slender images as blue as shadows, vernal ice, divine ice, spring ice: They are leading a storm cloud by a leash. The music and light of Schoenberg's inaudible space, soundless bridges which illuminate the darker corners of thought. (1997) (11) Zugleich verfügt das Jüdische Museum über eine harte, kompromisslose Materialität. Keine Architektur erzielt stärkere körperliche und synästhetische Wirkungen: Die Raumfolge im Untergeschoss und die „voids“ – `funktionslose’ Leeräume von beklemmender Wirkung – scheinen darauf angelegt, alle Sinne und das Körperempfinden selbst zu manipulieren. (12) Von da erhellt auch der Vorwurf der Theatralität, der Effekthascherei. In der Zusammenschau der genannten Momente – Beredsamkeit, Uneinholbarkeit der Bedeutung, Immaterialität und Materialität, Singularität – wird deutlich, dass unter allen Begriffen Heideggers „Ereignis“ am besten geeignet ist, die Besonderheit von Libeskinds Architektur zum Ausdruck zu bringen. Das „Ereignis“ ist kein „Begriff“ im herkömmlichen Sinne. Es ist ein „Grundwort“, das vieles – und Widersprüchliches – `anklingen’ lässt. Sein wohlkalkulierter Assoziationsreichtum prädestiniert es zum `Schlüsselbegriff’ für Libeskinds disparate Architektur (-theorie). Dabei muss man nicht in jedem Detail Heideggers Ausführungen folgen – Libeskind selbst könnte das mit Blick auf dessen Verstrickung in den Nationalsozialismus kaum goutieren. (13) Längst ist das „Ereignis“ zu einem Zentralbegriff der kontinentalen Philosophie und selbst der feuilletonistischen Reflexion über Kunst avanciert, ähnlich der „Differenz“ oder „Iterabilität“. Heute firmiert es als Inbegriff einer „Wahrheit“, die sich nur für den Augenblick mitteilt, sich gibt und sich wieder entzieht; einer Wahrheit, die sich begrifflich nicht orten lässt; die einzig den Künsten erreichbar ist. Solche „Wahrheit“ ist vieles (Text, Musik, Gedanke, Materie; Gegenwart, Abwesenheit), und alles dies nicht. (14) Dass der Grundriss des Jüdischen Museums die Form eines Blitzes annimmt, kann so gesehen nicht überraschen. Der Blitz ist Zeichen einer augenblickshaften Emanation, Libeskind würde kaum zögern zu sagen: Epiphanie. Vor diesem Hintergrund erhellt auch sein Künstlerstolz, das Wissen um die unverbrüchliche Würde und Verantwortung des eigenen Tuns, das Pathos, die poetisierende Rede.
Die Protagonisten dekonstruktionistischer Architektur entstammen jüdischen Familien: Libeskind, Eisenman, Gehry, Zaha Hadid. Das gilt auch für Derrida, den philosophischen Wortführer der Dekonstruktion. So drängt sich die Frage auf, ob dekonstruktionistisches Denken charakteristisch jüdische Züge hat. Die Frage ist heikel, umso mehr, als die `Markierung’ „jüdisch“ historisch belastet ist. Doch die statistische Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Judentum und Dekonstruktion ist überwältigend, und einige der genannten Autoren stellen selbst einen solchen Zusammenhang her: In meinen Jugendjahren fühlte ich mich nicht als Jude, meine Eltern waren assimiliert. Wir sind nie in den Tempel gegangen, und natürlich gab es bei uns zu Weihnachten einen Tannenbaum. Dennoch spüre ich so etwas wie eine jüdische Empfindsamkeit. Und die hat sich durch meine Erfahrung mit diesem Projekt [dem Berliner Mahnmal, d. V.] noch gesteigert. […] Ich fühle mich oft fremd in meiner Stadt und in meinem Land, so als lebte ich in einer Art Diaspora. Ich fühle mich nirgendwo mehr daheim. Und ich mag dieses Gefühl. (15) (Eisenman 2004, S. 48) Es fällt auf, dass stets auf den Erfahrungshintergrund von Randständigkeit, Diskriminierung und Verfolgung verwiesen wird. Die geistesgeschichtliche Dimension, die Tradition jüdischen Denkens wird nicht in Anspruch genommen. Das mag mit einer verständlichen Scheu vor der `Theologie’ zu tun haben. Zwar gibt es eine jüdische Aufklärung, diese hat aber anders als das Werk Voltaires, Rousseaus, Kants keine universelle Geltung erlangt. So besteht die Gefahr, dass, wer sich auf jüdische Traditionen beruft, als unseriös, als Obskurantist angesehen wird. Auch liegt bekennenden Atheisten wie Eisenman kaum etwas ferner, als Glaubenssätze zu zitieren. Doch nimmt die jüdische `Theologie’ wesentliche Figuren der Dekonstruktion vorweg: Der Begriff „Schrift“ ist von überragender Bedeutung, und der Sinn der heiligen Schriften ist nicht `gegeben’; er entzieht sich dauerhaft. (16) Zugleich gibt es, ganz wie bei Libeskind, ein utopisches Moment, die Hoffnung auf eine Präsenz, die – zumindest für Augenblicke – jede Abwesenheit überwindet. Darin liegt der eschatologische Gehalt der jüdischen Theologie, ihr Messianismus. Dass es ausgerechnet ein „Jüdisches Museum“ ist, das als erstes Bauwerk der Dekonstruktion Furore machte, mag man vor diesem Hintergrund kaum noch für Zufall halten. Damit ist aber nicht erwiesen, dass die Rede von „’jüdischer’ Architektur“ legitim wäre. Keiner der fraglichen Architekten würde eine solche Einordnung hinnehmen. Tatsächlich gibt es auch andere Einflussfaktoren: Aufklärung, Psychoanalyse, Avantgarde – v. a. den russischen Konstruktivismus – und (post-) strukturalistische Philosophie. Wenn es gilt, Dekonstruktion zu verstehen, sind biographische und geistesgeschichtliche Zusammenhänge mit dem Judentum ein heuristisches Mittel unter anderen – doch eines der wichtigsten.
Libeskind
Eine übersichtliche Zusammenstellung von Grundrissen, Modellen etc. sowie theoretischen Stellungnahmen Libeskinds, Derridas und anderer Autoren bietet:
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Kontakt: daniel.krause@campus.lmu.de Veröffentlicht am 25.11.2005 |
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