Der Untergang / Hitler im Kino


Oliver Jahraus

Hitler im Kino.
Der Film „Der Untergang“ – zum Anschauen empfohlen


Abstract: Der folgende Beitrag nimmt den Film „Der Untergang“ von Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel gegen seine Kritiker in Schutz und zeigt auf, wie dieser Film auf innovative Weise die paradoxe Struktur von Hitlers Herrschaft erklären kann, indem er den 'Bunker' als – im Untergang des Dritten Reiches – verdichteter Mikrokosmos mit Modellcharakter für das NS-Regime vorführt.

Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel, dem federführenden Produzenten und dem Regisseur, ist mit „Der Untergang“ ein erstaunlicher Film gelungen. Erstaunlich ist in jedem Fall, und keine Kritik kann diesen Punkt unerwähnt lassen, mit welcher Explizitheit Hitler, gespielt von Bruno Ganz, selbst zu einer Figur eines Filmes gemacht wurde. Hitler ist die Hauptfigur. In den meisten Szenen des Films ist er präsent. Und damit wird Hitler auch zur Figur in einer Erzählung gemacht. Wie immer man die historische Authentizität der dargestellten Filmhandlung und mehr noch der Figurenprofile, gemessen am Schicksal und an der Schuld der realen Personen, die sie verkörpern, beurteilen mag, der Film ist eben nicht nur dargestellte Geschichte, sondern auch erzählte Geschichte. Er ist nicht nur der history, sondern auch seiner story verpflichtet. Davon später mehr.

Erstaunlich ist der Film in dieser Hinsicht, aber er ist auch erstaunlich gut gelungen. Und warum man den Film erstaunlich gut finden kann, das sollen die folgenden Überlegungen zeigen. Der Film ist das Ergebnis eines Projekts, das länger zurückreicht und mindestens ein dreiviertel Jahr schon seine Schatten vorauswirft. In dieser Zeit, als das Projekt noch von Geheimniskrämerei umgeben und nur die Idee bekannt war, wurde schon viel gemutmaßt und auch geunkt. In der Tat: Die Konstellation war nicht günstig. Ein Produzent, der Kinos füllen mag, und ein Regisseur, der Tatort-Kommissare ins Bild setzt und zuletzt mit dem mit Psychospiel „Das Experiment“ in den Kinos präsent war – das ist ein Team, dem man es nicht von vornherein zugetraut hätte, dass es das Phänomen Hitler auf durchaus überzeugende Weise verfilmen konnten. Und doch, meine ich, ist es ihnen gelungen. Aber vielleicht auch gerade deswegen, denn immerhin – so mag man spekulieren – war dadurch mehr Unbefangenheit im Spiel, als es darum ging, diesen Stoff auch film- und kinogerecht umzusetzen. Das ändert jedoch nichts daran, dass dieser Stoff – und das ist wohl das wenigste, was man sagen kann – schon aus politischen Gründen äußerst sensibel zu handhaben ist und sich nicht zuletzt deswegen als Filmstoff nicht unbedingt anbietet.

Zunächst einmal kann man ganz einfach sagen, dass diese Sensibilität des Stoffes sich auch darin ausgedrückt, dass man bei ihrer Darstellung viele Fehler hätte machen können. Diese Fehler sind immerhin vermieden worden. Der Bunker, also das Ende des Dritten Reiches mitsamt seinem ‚Führer’, ist ein Mythos und ein integraler Bestandteil des ‚Mythos Hitler’ selbst. Solch ein Mythos schafft Faszination, die ungebremst wirkt, wenn sie sich zudem mit der Schaurigkeit des Schreckens eines Monsters verbindet. Zu diesem Mythos gehört die Idee einer Götterdämmerung, wie sie von den Verantwortlichen des Untergangs, nicht zuletzt von Goebbels, selbst inszeniert wurde. Welche Verlockung für das Medium Film, solche Inszenierungsstrategien vielleicht nicht bewusst zu übernehmen, aber ihnen immerhin aufzusitzen. Das hat der Film so strikt vermieden, dass man ihm dafür allein schon ein gewisses Maß an Bewunderung zollen muss. Von Götterdämmerung ist nichts zu spüren.

Die Götterdämmerung ist vielleicht nur die Skylla, deren Widerpart, die Charibdis, eine Art von political correctness darstellt. Kann man sich darüber, dass der Film keine Götterdämmerung reinszeniert, vielleicht noch relativ leicht verständigen, ist dieser andere Punkt ziemlich heikel. Der Film vermeidet es jedenfalls explizit, Hitler als Monster darzustellen. Außer Frage steht, dass man Hitler psychopathologische Züge unterstellen kann, aber ebenso klar ist, dass er seiner Umgebung nicht oder zumindest nicht durchweg als Abgrund des Bösen erschienen ist. Der Film zeigt einen Hitler, der durchaus bisweilen väterliche, bisweilen freundliche Züge aufweist. Das macht der Film geradezu holzhammerartig in der Eingangssequenz deutlich. Beim Sekretärinnentest fällt Traudl Junge im Diktat, das der ‚Führer’ selbst durchführt, zunächst durch. Ihr Text trotzt von Fehlern. Hitler hatte Traudl Junge schon vorher väterlich beruhigt („Sie brauchen gar nicht aufgeregt sein.“), nun zeigt er, während Traudl Junge panisch blickt (so die Anweisung im Drehbuch), großzügiges Verständnis („Ich würd sagen, das probieren wir gleich noch mal.“)

Bereits in dieser Szene wird die Funktion der Figur der Traudl Junge in mehrfacher Hinsicht deutlich. Sie ist die Repräsentantin des Zuschauers vor Ort. Wie sie mag der Zuschauer ahnungslos sein, wer dieser Hitler eigentlich ist. Und mit ihr lernen wir Hitler kennen. Und Hitler begegnet Traudl Junge in bestimmter Hinsicht durchaus menschlich.

Genau dort, wo der Film auch diesen Fehler, Hitler zum Monster und zum Psychopathen zu machen, dem man seinen Größenwahn permanent anmerkt, vermeidet, gewinnt er sein innovatives Erklärungspotenzial. Dort kann er ein Stück weit das Phänomen Hitler verständlich machen. Verständlich machen im Sinne von durchschaubar machen, natürlich nicht im apologetischen Sinne, das ohnehin nicht, aber auch nicht von verharmlosen. Auch der väterliche, freundliche Hitler ist alles andere als harmlos. Und das wird deswegen so eindrucksvoll vorgeführt, weil immer auch der andere Hitler sichtbar wird, der eher unseren Vorstellungen entspricht: der Choleriker, der Verbrecher, der Wahnsinnige. Der Film macht auf dezidierte Weise deutlich, dass im selben Moment, in dem Hitler im Bunker seine Sekretärinnen nach österreichischer Oberkellner-Manier hofiert, außerhalb des Bunkers seiner wahnwitzigen Kriegsideen wegen unzählige Menschen sinnlos sterben, regelrecht verrecken, oder sogar, im letzten Aufbäumen des Regimes, hinter den Linien von den Schergen des Regimes hingemetzelt werden. Und Hitler weiß das und nimmt das als Notwendigkeit seiner kranken Geschichtsphilosophie. Nur zwei Sekunden dauert das Widerwort eines Generals, der es gegenüber Hitler nicht hinnehmen möchte, dass dieser die Soldaten verunglimpft, die seinetwegen „verbluten“, bevor ihn Hitler niederbrüllt.

Damit wirft der Film eine zentrale Frage auf – und das Erstaunliche ist, dass er für diese Frage wirklich eine Antwort, im Ansatz zumindest, liefern kann. Die Frage lautet: Wie war es möglich, dass Hitler überhaupt ‚Führer’ sein konnte? Wie war es möglich, dass Menschen an diesem Führer hingen, selbst und gerade dann noch, als er sie in unvorstellbare Verbrechen und unsägliche Leid, als er sie in seinen und ihren Untergang ‚führte’? Das ist sozusagen eine abgespeckte Variante jener Frage, die zuletzt Ian Kershaw zu Beginn seiner monumentalen Hitler-Biographie als Leitfrage insbesondere der Hitler-, aber auch der gesamten NS-Forschung vorgegeben hatte, warum nämlich eine so hochtechnisierte Industrienation und eine so traditionsreiche Kulturnation diesem Wahnsinn so begeistert anheimfallen konnte.

Die Qualität des Films lässt sich in dieser Hinsicht ermessen, wenn man ihn mit einem anderen Text, einem literarischen Text vergleicht, der ansatzweise dasselbe Erklärungsziel verfolgt, nämlich mit dem Roman „Hitler lieben“ von Peter Roos aus dem Jahre 2000. Auch Roos geht von dem Faktum aus, dass Hitler geliebt wurde, und sein Roman untersucht das quälende Erbe dieser Liebe in der Gegenwart. Die Leitfrage zu Beginn des Romans lautet: „Warum kann ich Hitler nicht sterben lassen?“ Die Antwort ist wohl schon darin zu suchen, dass es Roos mit seinem Roman an keiner Stelle gelingt, überhaupt das Phänomen der Liebe zu Hitler zu erfassen. Statt dessen arbeitet sich der Roman daran ab, ein Gegenbild zum geliebten Hitler zu entwerfen, und er tut dies auf eine so manische Weise, dass daraus nicht nur ein sehr schlecht geschriebener, sondern auch ein schlecht konzipierter Roman hervorgegangen ist, der beinahe schon selbst als Dokument eines Scheiterns an Hitler gelesen werden kann. Das erklärt beileibe nichts und sagt bestenfalls mehr über den Autor und seine Obsessionen als über das Phänomen Hitler aus!

Anders der Film. Ich greife eine Szene heraus, die mich sehr bewegt und irritiert hat. Zwei Ärzte und eine Krankenschwester werden zu Hitler beordert. Hitler will sich über die beste Art der Selbsttötung informieren. Der Krankenschwester versagen angesichts des auch physisch zerstörten, todbereiten Hitlers die Nerven. Die junge, hübsche Frau bricht in einen Weinkrampf aus, bricht zusammen und fleht Hitler an: „Mein Führer, bewahren Sie Ihren Glauben an den Endsieg! Führen Sie uns und wir werden ihnen folgen!“ Irritierend und erschütternd, dass nunmehr der ‚Führer’ selbst mit seiner Phrase seiner Politik „Führer befiehl, wir folgen“ konfrontiert wird, dass eine Frau, die eben noch das menschliche Leid gesehen hat, dass dieser ‚Führer’ doch zu verantworten hat, den ‚Führer’ selbst an sein Führertum erinnert. Aber gleichzeitig liefert diese Szene auch die Antwort auf die Frage, wie es überhaupt zu dieser Szene kommen konnte, und damit die Frage, warum so viele Menschen nicht nur trotz, sondern gerade wegen des Untergangs an diesem ‚Führer’ in den Untergang festgehalten haben – je deutlicher der Untergang vor Augen stand und je klarer das Verbrecherische des Regimes vor Augen stand, umso intensiver, umso fanatischer oder auch umso verzweifelter folgend die Gefolgschaft.

Das ist die entscheidende Pointe, die ein Verstrickungsverhältnis offenbart. Es zeigt, wie sich dieses Führungsverhältnis verselbständigt hat. So wird deutlich, dass sich der immer stärker und abstruser spürbar werdende unvermeidliche Untergang das Führerprinzip nicht unterhöhlt, sondern geradezu ins Groteske steigert. Nirgendwann war Hitler mehr ‚Führer’ als zu jener Untergangszeit, wo seine ‚Führung’ endgültig und unabdingbar in die Katastrophe führen musste, als der ‚Führer’ nahezu alle Möglichkeiten verspielt hatte, überhaupt noch zu ‚führen’. Immerhin, das hatte er erkannt. Als ihn Paladine auffordern, im letzten Moment angesichts der drohenden, einsetzenden Niederlage wieder Politik zu machen, antwortet er konsequent: „Ich mache keine Politik mehr!“ Und das macht wiederum im Ansatz deutlich, dass der Untergang selbst ein immanentes Prinzip dieser Führerdiktatur darstellt. Dieser ‚Führer’ musste in den Untergang schon deswegen führen, weil er nur im Untergang dieses Prinzip unter den agonalen Bedingungen zu sich selbst kommt und sich dort erst vollständig offenbart.

Und das ist die eigentliche Qualität der Entmythologisierung des Bunkers, wenn man dieses Erzählprinzip des Films so nennen mag. Der Bunker wird damit Modell der sozialen Konstellation ebenso wie der unterschiedlichen psychischen Befindlichkeit der Eingeschlossenen, das für das gesamte Dritte Reich stehen kann. Der Bunker wird so zu einem Modell für das Dritte Reich schlechthin. Was sich in den letzten Tagen des Dritten Reiches im Bunker gerade im Untergang verdichtet, daraus lassen sich die Herrschaftsstrukturen des Dritten Reiches in Grundprinzipien ablesen. Der Bunker wird somit zu einem wenn auch eng begrenzten Erklärungsmodell für die NS-Herrschaft überhaupt – so als ob der Druck des Untergangs im Mikrokosmos des Bunkers dieses Prinzipien erst deutlich herauspresst. Überhaupt scheint dieser Umgang symptomatisch für die Erzählstrategie des Films zu sein, die wiederum unmittelbar auf – wenn man sie ihm zugestehen will - seine Fähigkeit zu erklären wirkt. Der Film zeigt die Widersprüche auf und konzentriert sie zusätzlich, um deutlich zu machen, dass diese Widersprüche konstitutives Kennzeichen dieser Führerdiktatur waren: Der menschliche und der unmenschliche Hitler, der rationale und der irrationale, der klar die Katastrophe erkennende und der sich selbst verblendende ‚Führer’. Gleichzeitig ist diese Struktur auch verantwortlich für die Konstellation der Bunkerinsassen selbst, die sich auf diese Weise um Hitler gruppieren: die Fanatiker und die Mitläufer, die angeblichen Heroen und die angeblichen Feiglinge, die angeblichen Täter und die angeblichen Opfer. Hitler ist das notwendige Zentrum dieser Struktur. Von ihm aus erhalten alle ihre Position zugewiesen, er garantiert für alle die Stabilität des Systems. Und auch deswegen halten alle, auch die, die nicht verblendet sind, selbst Traudl Junge, als sie bei Hitler bleibt, selbst als es nicht mehr angeordnet ist, an ihm fest.

Und das ist vielleicht das Erstaunlichste: Die Fähigkeit dieses Films, Unvereinbares zu vereinbaren und krasseste Gegensätze zusammenzubringen, ohne sie abzuschleifen. Natürlich ist der Film – gerade in seiner konventionellen Erzählweise – auch der Versuch, sich Hitler als Person anzunähern. Aber er ist gleichzeitig – das darf man keineswegs vergessen – ein Horrortrip, den man nur mit größtem Unbehagen und größter Überwindung überhaupt anschauen kann. So wie es Szenen gibt, die versuchen, das NS-Regime erklärbar zu machen, gibt es gleichermaßen Szenen, die absolut deutlich machen, dass es Momente gibt, die jenseits aller Erklärbarkeit liegen. Die Ermordung der sechs Goebbels-Kinder durch ihre eigene Mutter Magda Goebbels und einen SS-Arzt gehört dazu. Die Mutter gibt den Kindern Schlafmittel. Die älteren reagieren schon verstört und leicht panisch, weil sie spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Mit Gewalt flößt die Mutter das Schlafmittel ein. Als die Kinder schlafen, verabreicht die Mutter den Kindern die Giftkapsel. Sie legt sie den Kindern mit ruhiger Hand in den Mund und drückt den Kiefer zu. Man hört das Brechen der Kapsel, kurz stockt der Atem der Kinder, als das Gift wirkt und sie fast lautlos sterben. Sechsmal derselbe Vorgang. Sechsmal hält die Kamera drauf. Sechsmal eine völlig ruhige Szene. Sechsmal der unmenschlichste Horror. Und gerade in diesem dezenten Fokus der Großaufnahme verbirgt sich der schlimmste Horror, der Horror dieses Fanatismus, der dem Zuschauer geradezu körperlich unangenehm spürbar wird.

Dass der Film auf diese Weise mit seinem Stoff umgehen kann, ist auf eine sehr intelligente Kombination von Vorlagen zurückzuführen. Der Film beruht zum ersten auf der Untersuchung von Joachim C. Fest zum Untergang des Dritten Reiches, zum zweiten auf den Erinnerungen der jüngsten Sekretärin Hitlers, Traudl Junge, „Bis zur letzten Stunde“ (2. Aufl. 2002). Fests Untersuchung „Der Untergang“ (2002) geht natürlich aus seinen Forschungen hervor, die ihren deutlichsten Ausdruck in seiner großen Hitler-Biographie aus dem Jahre 1973 gefunden haben. Sie ist selbst weniger eine historische Untersuchung, sondern vielmehr ein historischer Essay (er selbst nennt sie eine „historische Skizze“), der schon die Fragestellung der Films vorwegnimmt: Was wird im Untergang des Dritten Reiches als konstitutiv für dieses Regime sichtbar?

Traudl Junge hat sich in mehrfacher Hinsicht als Figur im Film angeboten. Zum einen ist sie eine authentische Augenzeugin der meisten Vorkommnisse im Bunker. Zum anderen aber kann sie als Identifikationsfigur fungieren. Traudl Junge hat sehr mit sich gekämpft bei dem Versuch, sich selbst über die eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus Rechenschaft abzulegen, nachzulesen in ihren Erinnerungen, aber noch deutlicher zum Ausdruck gebracht in dem Film „Im stillen Winkel“ von André Heller, der ausschließlich Interviews mit Traudl Junge über ihre Auseinandersetzung mit sich selbst und mit ihrer Verstrickung dokumentiert. Die Verstrickung, aber gleichzeitig auch die Reflexion dieser Verstrickung, die im Film „Der Untergang“ so nicht dargestellt wird, macht aber dennoch Traudl Junge zu einer idealen Identifikationsfigur. Und so wird sie narrativ funktionalisiert. Nicht nur, um sie als Figur einzuführen, stellt der Film vor der eigentlichen Handlung jenen ‚Prolog’ voran, in dem geschildert wird, wie Traudl Junge Sekretärin wurde, sondern auch, um eine Ursprungsszene zu gestalten, wie ein junger, unschuldiger Mensch auf unschuldige Weise in die Schuld dieses Regimes verstrickt wurde.

Über die Figur der Traudl Junge findet der Zuschauer Eingang in den Bunker und Zugang zu Hitler und zum Phänomen Hitler. Fast könnte man sagen, dass Fest die historische Dimension, Junge hingegen die narrative Dimension für den Film in ihren jeweiligen Vorlagen liefern. Diese Figur der Traudl Junge gibt die Perspektive vor, aus der Hitler erscheint und aus der er gerade in jener Ambivalenz erscheinen kann, die die Pointe der Erklärung ausmacht. Es ist ja nicht so, dass Traudl Junge nur den väterlichen Chef kennenlernt, sie wird auch Zeugin seiner wahnsinnigen Ausbrüche, seiner Tiraden, seines Juden- und Welthasses, seines unermesslichen Zerstörungswillen, seines wirklich pathologischen und paranoiden Realitätsverlustes. Hitler bedenkt Traudl Junge nicht nur mit Freundlichkeiten und Verbindlichkeiten und kleinen Geschenken, sondern auch mit einer Zyankalikapsel, damit sie ihm bis zuletzt und darüber hinaus in seinem Untergang folgen kann – ein Gipfel eines eigentlich unbegreiflichen Zynismus. Sie ist es auch, der zunächst undeutlich das Schicksal der Goebbels-Kinder dämmert, die von den eigenen Eltern in den Bunker geholt werden, nicht um sie zu schützen, sondern um sie hier umzubringen, weil es sich nach Worten ihrer Mutter Magda, gespielt von Corinna Harfouch, nicht lohne, in einer Welt ohne Nationalsozialismus zu leben.

Und dann geht es schnell zu Ende. Hitler isst noch mit seinen Sekretärinnen, vermutlich ein italienisches Nudelgericht, und erschießt sich anschließend zusammen mit seiner am Vortag angetrauten Eva Hitler, geb. Braun. Man fühlt sich an Hannah Arendts Idee von der Banalität des Bösen erinnert. Das ist wohl gerade das entscheidende Plus des Films, das hier noch einmal –sozusagen auf finale Weise – zum Ausdruck kommt: Er zeigt immer beide Seiten, die menschliche und die unmenschliche, und er macht deutlich, wie der Bunker als ganz realer Handlungsort beide Seiten so dicht aufeinander presst, dass daraus beide Seite sich zwar grotesk überblenden, so aber auch erst ihre Deutlichkeit gewinnen. Der Film ist gerade penetrant darauf bedacht, die eine Seite niemals über die andere zu stellen, was Mythisierung hier oder Verharmlosung dort bedeutet hätte, sondern immer diese Wechselseitigkeit aufzuzeigen und in ihr das Geheimnis dieser ‚Führerschaft’ zu suchen.

Damit hat die Figur der Traudl Junge im Film, abgesehen von ihrer historischen Vorlage, nur noch bedingt etwas mit der realen Person zu tun. Sie ist die unwirklichste Figur des ganzen Films. Wie authentisch die anderen Figuren sind, müsste man im Einzelfall überprüfen. Dass Prof. Schenk, der immerhin menschenverachtende Menschenversuche zu verantworten hat, als positive Figur erscheint, die die sinnlosen Schrecken des Krieges einzudämmen versucht, mag problematisch erscheinen. Vielleicht hat er sich im Untergang wirklich so besorgt, wie im Film gezeigt, verhalten, was aber die Frage nicht beantwortet, ob dies allein es rechtfertigt, ihn als eine so positive Figur einzuführen. Ob sich Eva Braun wirklich so sehr für ihren Schwager Hermann Fegelein eingesetzt hat, als dieser erschossen werden soll, mag auch dahingestellt bleiben. Insgesamt bleiben Fragen nach der historischen Authentizität auf Details begrenzt. Historische Korrektheit kann man dem Film im Großen und Ganzen durchaus attestieren. Dass aber Martin Bormann, der Parteisekretär, im Film so kurz wegkommt, verwundert, wuchs doch dessen Macht im Apparat um Hitler umgekehrt proportional zu der Macht seines ‚Führers’, die ihrem Ende immer näher kam.

Der Film erzählt uns nichts Neues und er erzählt es auch nicht auf eine neue Weise. Der Film ist geradezu strikt konventionell. Neu ist noch nicht einmal die hochbrisante Figur, sich Hitler und dem NS-Syndrom anzunähern, um zu begreifen. Diese Figur findet sie sich in prominenter Form schon – zum Beispiel – in dem Essay „Bruder Hitler“ von Thomas Mann, der zeigt, dass bei aller Tendenz, sich von Hitler so weit als möglich abzustoßen, das Phänomen auch nur in Ansatz begriffen werden kann, wenn man auch jene Dimension wahrnimmt, die auch die Annäherung erlaubt, wenn man nicht nur die größtmögliche Distanz einnimmt, sondern auch eine gewisse, immer problematische Nähe mit reflektiert. Und auch in einem Roman wie „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink wird, gleichermaßen riskant, mit dieser Figur der Annäherung operiert, um Einsichten zu ermöglichen.

Das Oktober-Heft der Kulturzeitschrift Cicero (10/2004) hat dieser Figur der Annäherung an Hitler den zentralen Themenbereich gewidmet. Unter dem Haupttitel „Bruder Hitler“ wird unter anderem gerade an Thomas Manns Essay erinnert. Und insbesondere hat sich Rafael Seligmann, der erst vor kurzem eine Hitler-Biographie vorgelegt hat, mit dieser Figur der Annäherung auseinandergesetzt. Er geht noch einmal auf die Grundthese seiner Hitler-Biographie ein, wonach das Phänomen Hitler nicht ohne die Deutschen zu verstehen sei, die ihn zu dem gemacht hätten, was er war. Von daher ist diese Annäherung für ihn kein Skandalon an sich, sondern eine historische Notwendigkeit, mit der man sich auseinanderzusetzen habe. Seligmann distanziert sich zwar kritisch von Eichingers und Hirschbiegels Film, weil er – seiner Meinung nach – zu sehr dem Faszinosum Hitler nachhängt, aber prinzipiell unterstützt er diese Figur der Annäherung, weil man sich seine Verwandten nicht aussuchen können. Aber diese Annäherung in Seligmanns Sinne bedeutet das Gegenteil von Vermenschlichung, sondern vielmehr die Anerkenntnis dieser schmerzlichen und peinlichen Verwandtschaft als erster Schritt der Auseinandersetzung mit ihr.

Neu ist vielmehr allein die Tatsache, dass ein solcher Film überhaupt gedreht wurde. Dennoch, die Frage, warum es dann doch dieses Films bedurfte, greift, meine ich, zu kurz und verkennt wesentliche mediale Dispositionen des Mediums Film im Allgemeinen und der Mediengattung Spielfilm im Besonderen. Es ist gerade diese Verbindung von history und story, die den Film auszeichnet, weil damit auch medienspezifische Aspekte der visuellen Vermittlung wie z.B. der Identifikation, die Wahrnehmung, der visuell gestützten Erkenntnis, verknüpft sind. Damit bekommt der Film auch so etwas wie eine didaktische Perspektive. Natürlich, das historische Reflexionsniveau, das Fest in seinem Essay entfaltet, erreicht der Film nicht einmal annähert. Dafür aber erreicht der Film ein anderes Publikum – eben weil er Film ist. Und beides muss zusammengenommen werden, wenn man dem Film Gerechtigkeit widerfahren lassen will.

Diese Gerechtigkeit hat der Film umso mehr verdient, und darauf macht auch Rafael Seligmann aufmerksam, als er selbst ein Phänomen mit sich bringt und befördert, das es schwierig macht, ihn angemessen zu beurteilen, nämlich die seit Jahren vorhandene, nunmehr aber neu entfachte Hitler-Manie der Medien. In der Tat, mit dem „Untergang“ hat Hitler einen großen Publicity-Schub erhalten; zweimal war er in den letzten Wochen auf den Titelbildern großer Zeitungen (Spiegel und Stern, zwei Magazine, die ihre Hitler-Manie schon lange intensiv, wenn auch mit teils unterschiedlichem Erfolg, pflegen). Dabei wird, nicht zu Unrecht, kritisch angemerkt oder sogar moniert, dass diese Medienpräsenz nicht nur den Blick auf die private Sphäre der Nazibonzen wirft, sondern damit auch einer fatalen Verschiebung in der Art und Weise, wie wir – um mit Fest zu sprechen – das „Gesicht des Dritten Reiches“ sehen, Vorschub leistet. Das ist richtig, darf jedoch nicht zum Pauschalurteil umfunktioniert werden. Gerade weil Hitler immer mit einem Faszinosum, immer mit garantierter Aufmerksamkeit verknüpft ist, gilt es umso differenzierter die Form zu beachten, wie uns Hitler vorgeführt wird. Erst vor wenigen Monaten hat Spiegel-TV einen Höhepunkt in seiner Hitler-Manie erreicht, als es eine zweiteilige Dokumentation, wenn man das so nennen will, ausstrahlte, die private Farbfilmaufnahmen aus dem engsten Kreis zeigte. (Mittlerweile, auch über amazon, wenn auch nicht unter dem Spiegel-Label, als DVD zu erwerben.) Natürlich - die Frage lautet: Befriedigen wir unsere Schaulust oder wollen wir etwas begreifen? Aber gleichzeitig muss man zugeben, dass – gerade im audiovisuellen Medium – das eine nie ohne das andere zu haben ist, was aber nicht bedeutet, das wir das eine nicht vom anderen unterscheiden könnten. Und wenn das eine dem anderen dient, anders kann es nicht funktionieren, dann kann daraus jedenfalls kein Vorwurf an sich erwachsen. Auch hier gilt: Die eine Seite darf die anderen nicht überwuchern.

P.S.: A propos erstaunlich. In der Kinovorführung, die ich besucht habe, nachmittags, war ein erstaunlich junges Publikum erstaunlich zahlreich anwesend, was mich ein bisschen skeptisch stimmt. Was erwarten diese jungen Zuschauer? Wurden sie enttäuscht oder haben sie etwas gelernt? Und wer gibt ihnen eine Rezeptionsorientierung, denn die erscheint mir, wenn man die Geschichte des Dritten Reiches nicht kennt, unabdingbar, um ein Nicht-Verstehen oder gar ein Missverstehen zu vermeiden? Die Schule? Wünschenswert wäre es.



Verfasser: oliver.jahraus@gmx.de , veröffentlicht am 22.10.2004

 

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