Anno Saul / Kebab-Connection


Alexander Kolerus

Von Dönern, Vaterfreuden und dem ersten deutschen Kung-Fu-Film
Anno Sauls Kebab-Connection.
Eine Liebeserklärung.


Abstract: Mit seinem Filmdebüt Kebab-Connection erweist sich Anno Saul als Meister des komischen Zitats. Spätbubertäre Mentalität und milieuspezifische Klischees sollten dabei nicht über eine mit hoher narrativer Kompetenz intelligent aufgebaute Erzählstruktur hinwegtäuschen.

Wer noch immer nach einer Begründung sucht, die Türkei in die EU aufzunehmen, betreibt eine Diskussion von vorgestern. Das beweist dieser Tage eindringlich Anno Saul, der mit überwiegend türkischen Darstellern einen dermaßen deutschen Film zustandebringt, dass das Ergebnis mit dem reichlich bemühten Culture-Clash-Schema nicht mehr einzufangen ist. Dabei fängt alles so harmlos an, man lehnt sich also grinsend zurück und erwartet eineinhalb Stunden vom üblichen Deutschtürkengeblödel:

Ibo, ein in Hamburg lebender junger Türke, träumt als unbedarfter und hoffnungsloser Nachwuchsregisseur davon, den ersten deutschen Kung-Fu-Film zu drehen. Ein Zubrot verdient er sich mit im Martial-Arts-Stil produzierten Kinowerbespots, die er mit Kumpels für die Dönerbude seines Onkels fabriziert. Sauls Exposition entwirft zunächst ein Bild der Tristesse und Perspektivlosigkeit: Ibos Spots sind so mies, dass sie nicht einmal den Dönerbudenonkel überzeugen, und selbst der schmierigste Hinterhofproduzent kann sich nicht für sein Filmprojekt begeistern. Aber damit nicht genug: Titzi, Ibos deutsche Freundin, hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, auf die Schauspielschule zu gehen und zittert der Aufnahmeprüfung entgegen. Wir stehen kurz davor, den totalen Zusammenbruch zu erleben: das dramatisch-komische Scheitern kleiner Leute, die sich zu großes vorgenommen haben.

Als Titzi jedoch feststellt, dass sie schwanger ist, überschlagen sich die Ereignisse: Ibo schreckt naturgemäß vor der Vaterrolle zurück. Der putzige Traditionalismus seines eigenen Vaters (du darfst mit einem deutschen Mädchen einschlafen, du darfst sogar mit einem deutschen Mädchen aufwachen, aber niemals darfst du ein deutsches Mädchen schwängern) gipfelt zudem in einer klassischen Verstoßung à la du-bist-nicht-mehr-mein-Sohn. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass die Döner-Werbespots ein Knaller sind und sich der Onkel vor Kunden kaum noch retten kann. Urplötzlich findet sich unser Held eingespannt zwischen die extremen und gegensätzlichen Anforderungen von moderner Vaterschaft, türkischem Konservatismus und grotesker Filmkarriere. Und sein Weg erzählt uns vom kühnen Projekt, das alles unter einen Hut zu bringen. Im Verlauf dieses Weges erfährt der Cineast allerlei Wissenswertes. Wie der Fundus für einen Martial-Arts-Film aussieht zum Beispiel. Oder dass Francis Ford Coppola schon drei Kinder hatte, als er Apocalypse Now drehte.

Jedenfalls kracht es zunächst ein paar mal ordentlich, bis das Identitätsgetriebe läuft und alles einem logischen und glücklichen Ende zustrebt: Ibos taxifahrender Vater verstößt seinen Sohn, wird aber gleichzeitig von seiner Ehefrau dafür zur Rede gestellt, dass Ibo Titzi sitzen lässt, der er also wiederum heimlich beim Einkaufstütentragen hilft. Nach wenigen Filmminuten ist der werdende Großvater in einen ebenso simplen wie köstlichen Widerspruch verwickelt, den Güven Kirac mit großer darstellerischer Souveränität vorträgt. Titzi ihrerseits muss sich gegen vollbusige Schauspielerinnen auf Arbeitssuche behaupten, die den mittlerweile berühmten Ibo von ihren Talenten überzeugen wollen, stellt ihm schließlich ein Ultimatum für das Bekenntnis zur Vaterrolle und sagt seinem Papa ordentlich die Meinung, was diesen wiederum beeindruckt. Er stellt seinen Sohn (der ja gar nicht mehr sein Sohn ist) zur Rede: warum denn dieser die schwangere Freundin im Stich lasse. Der ohnehin schon genug verwirrte Ibo verarbeitet seinen Liebeskummer in einem neuen Döner-Spot und unternimmt allerhand, um die erboste Titzi wieder zu versöhnen. So übt er sich im Windelnwechseln und Probegebären. Und außerdem ist da noch der griechische Lokalbesitzer von gegenüber, der mittels Unmengen von Ouzo und der Reize seiner Nichte den begehrten Jungregisseur davon überzeugen will, auch für ihn Werbung zu machen und also gewissermaßen zum historischen Todfeind überzulaufen. Die Auflösung der ganzen Verwirrung geschieht dann schließlich als erbarmungsloses Klischeekreuzfeuer: Taxifahrt ins Krankenhaus, Versöhnung im Kreißsaal, Heiratsantrag als Romeo-und-Julia-Monolog, Hochzeit in der Dönerbude, Einlenken des Produzenten, nebenbei unterläuft noch die Versöhnung von Türken und Griechen. Das erstaunlichste an diesen finalen Unverschämtheiten ist, dass sie in keiner Weise erzwungen daherkommen, sondern sich absolut logisch aus sorgfältig vorbereiteten Handlungssträngen herleiten und mühelos zu einem hochglanzpolierten Happy End fügen, das von Anfang an nur so und nicht anders möglich zu sein schien. Roter Faden der ganzen Angelegenheit ist die erfreulich unaufdringliche Liebesgeschichte von Titzi und Ibo. Es geht um Liebe, Angst und Selbstvertrauen, die Schwierigkeiten beim Einfinden in neue Lebensumstände, das Erwachsenwerden und die Komplikationen, die zwangsweise mit dem ersten Kind verbunden sind.

Das ist an sich nichts Neues. Neu ist aber, wie Saul diesen an sich konventionellen Stoff in eine Semantik kleidet, die er aus verschiedensten Genres zusammenklaubt und so eine Handschrift generiert, die tatsächlich diejenige des oft herbeigewünschten Neuen deutschen Kinos sein könnte. Schon im Vorspann wird draufloszitiert, was das Zeug hält. Saul versorgt uns mit einer erfrischenden Collage aus 80er Jahre Hollywood Martial Arts billigster Sorte, John-Woo-Sequenzen beim Kampf um den letzten Döner, Leslie-Nielsen-Blödsinn, überfrachteten Klischeekonstellationen à la Lindenstraße, parodiertem deutsch-türkischen Problemfilm, Situationskomik vom Typ Drei Männer und ein Baby, bedrückend schlecht simulierter Humphrey-Bogart-coolness, Shakespeare, Westernästhetik, diversen Kiffer- und Mafiaklischees und und und. Während andere Leute ihre Probleme mit Freunden oder Psychiatern diskutieren, erscheint dem türkischen Helden schließlich der Geist des Altmeisters Bruce Lee, um ihn in der Kunst der Vaterschaft zu unterweisen („Mach einen Hechelkurs!“). Das haben wir ähnlich zwar schon 1985 in Karate Tiger gesehen. Da war es aber bei weitem nicht so lustig. Überhaupt ist die Kunst des verhohnepipelnden Zitats eine von Sauls größten Stärken, deren Einsatz er intelligenterweise mäßig dosiert. Stilistischer Höhepunkt des Films ist eine Parodie zweiter Ordnung auf den schon totzitiert geglaubten eisensteinschen Kinderwagen (bzw. auf dessen Vergewaltigung in David Zuckers Naked Gun, die sich wiederum auf ein zutiefst ernsthaftes Zitat in Brian de Palmas Untouchables bezieht), der so verblüffend selbstverständlich in die Geschichte passt, dass man trotz aller Herumpubertiererei das Gefühl nicht los wird: hier weiß einer ganz genau, was er tut. Ähnlich verhält es sich mit der hauchdünnen Schicht Erkan-und-Stefan-Geprolle, die den Film vollständig und gleichmäßig überzieht. Genau das, was so gut wie jedem anderen deutschen Regisseur passiert wäre, passiert Saul nämlich nicht: nach spätestens zwanzig Minuten in ein plattes Plagiat zu verfallen.

Stattdessen nimmt uns sein Werk mit auf einen Streifzug durch ein Kuriositätenkabinett des deutschen, US-amerikanischen und asiatischen Films, ohne aber dabei die Puste zu verlieren und an der einen oder anderen Station schlapp und halt zu machen. Vieles ist da, das man so oder anders schon kennt, und doch ist das Ergebnis etwas, das man noch nie gesehen hat. Es ist das große Potenzial diese Regisseurs, Klischees zu einem logischen und lustigen Ganzen zu montieren, das dann doch eine neue, originelle und ganz unverwechselbare Handschrift trägt.

Es ist zwar einerseits immer noch erschreckend, andererseits aber ja nicht mehr wirklich überraschend, dass die Feuilletons ein solches Potenzial selbst noch im Loben ignorieren und Sauls Film in der Regel auf diejenigen niedlichen Schubladen herunterrechnen wollen, die er gerade meilenweit hinter sich lässt: Den Streifen etwa als mehr oder weniger hintergründige Auseinandersetzung mit interkulturellen Konflikten im Stil einer Culture-Clash-Komödie zu deuten, ist natürlich albern. Das hieße, den Film auf jenen Lindenstraßenkosmos zu reduzieren, aus dem er sich neben anderen eifrig bedient - und also den Steinbruch mit der Kathedrale zu verwechseln. Das Dilemma des teilassimilierten Türken ist schließlich nur eine von vielen Facetten dieser Geschichte, die letztendlich alle dazu dienen, die Beziehungsproblematik der werdenden Eltern zu amplifizieren. Auch das in der Regel gönnerhaft von oben herab vorgetragene Urteil, der Film dümpele ‚auf mittlerem Niveau’ vor sich hin und biete also allenfalls seichte Unterhaltung, lässt zumindest mich ratlos zurück. Nicht mehr zu wollen, als man kann, ist eine Tugend, die der gesamten zeitgenössischen deutschen Regisseurkaste von Bully bis Schmid gut anstünde. Man sollte Anno Saul keinen Strick daraus drehen, dass er hier mit gutem Beispiel voran geht. Aber man kennt das: abgeklärte Selbsteinschätzung wird als Stümperei niedergeplärrt, narrative Konsequenz als Absehbarkeit. Eine in der Filmkritk weit verbreitete Untugend ist es außerdem, von einer hohen Frequenz einfach strukturierter Witze auf einen mittelmäßigen bis schlechten Film zu schließen. Sind solche Witze nämlich konsequent und sinnvoll in die narrative Logik montiert, sorgen sie unter Umständen für weit höhere Qualität als die ausgefeilteste, aber eben hoffnungslos singuläre Feinschmeckerpointe. Dass Saul auf ein logisch aufgebautes Witznetzwerk mit strategischen Knotenpunkten (Kinderwagen!) hohe Sorgfalt verwandt hat, zeigt zuguterletzt die reflexive Pointe seines Films, die darin besteht, selbst das vollbracht zu haben, wovon sein türkischer Protagonist träumt: Den ersten deutschen Kung-Fu-Film zu drehen. Hoffentlich war es nicht der letzte.



Verfasser: Alexander Kolerus ,veröffentlicht am 24.05.2005

 

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