Gaspar Noe /Irreversible / Film und Gewalt /Film und Sexualität


Axel Loyens

"Irreversible"

oder

"Wenn`s einen selbst trifft, dann verliert man den Boden"

Abstract: Dieser Artikel versucht die Philosophie des Films "Irreversible" von Gaspar Noe zu beleuchten, der "den Skandal" der Filmfestspiele von Cannes 2002 darstellte. Dabei wird auf die Darstellung von Gesellschaft ebenso eingegangen, wie auf die Verbindung von Sexualität und Gewalt oder den filmüberspannenden Gedanken der zerstörerischen Zeit.


1. Der Skandal von Cannes 2002

Am 15.05.2002 war es in Cannes wieder einmal soweit, die Internationalen Filmfestspiele wurden eingeläutet, mittlerweile zum 55. Mal. Zwischen all den Filmen, die in diesem Jahr in Cannes präsentiert wurden (letztlich gewann "Der Pianist" von Roman Polanski den Wettbewerb) befand sich einer, der schon im Vorfeld für einigen Zündstoff gesorgt hatte, nämlich der Film "Irreversible" des französischen Regisseurs Gaspar Noe.

Es kursierten Gerüchte über die Darstellung einer zwanzig Minuten andauernden Vergewaltigung einer Frau, was zur Folge hatte, dass der Film schon vor Aufführung als potenzieller "Skandalfilm" eingeschätzt wurde. Bei der Premiere des Films löste eben diese Vergewaltigungs-Szene (in Wahrheit "nur" neun Minuten lang) dann auch die heftigsten Reaktionen aus. Insgesamt sahen 2400 Menschen den Film, aber "Zweihundert gingen vorzeitig, mancher war der Ohnmacht nahe, andere brüllten Schande, der Rest bliebt bis zum Ende..." (1), wie Michael Althen von der FAZ berichtet hat. Die Art der Darstellung hat Teile des Publikums scheinbar derart verstört, dass von Ohnmachtsanfällen und Unwohlsein berichtet wurde, es musste auch "mehreren Zuschauern...nach der offiziellen Vorstellung des Films im Festivalpalais mit Sauerstoffgeräten geholfen werden." (2)

Damit war der Skandal von Cannes 2002 geboren, Zuschauer und Filmkritik spalteten sich in Lager, der Film wurde als Meisterwerk betrachtet oder verteufelt. Einige Kritiker warfen Noe "Pseudophilosophie" (3) vor, der Film wurde zum Teil sogar als "Arschfick-Gewaltporno" bezeichnet. Gaspar Noe hat aber mit seinem Film nicht umsonst einen Skandal hervorgerufen. Kaum ein anderer Film hat wohl vor ihm so schonungs- und gnadenlos den Zuschauer mit den Schattenseiten der menschlichen Existenz konfrontiert. Man kann wohl sagen: Diesen Film vergisst man nie mehr, wenn man ihn einmal gesehen hat.


2. Die Gesellschaft, die Armut und ein Pferdemetzger treffen sich in Frankreich...

Die Chronologie der Handlung von "Irreversible" (zu Deutsch: Unumkehrbar) läuft im Film ‚umgekehrt' ab, die Abfolge der dargestellten Ereignisse im Film ist der tatsächlichen Handlungsabfolge entgegengesetzt; er beginnt also mit dem Ende der Handlung und nähert sich Szene für Szene dem Beginn des Plots. Dieses Konzept wird soweit getrieben, dass zu Beginn auch erst die Credits des Films und die Namen der Schauspieler gezeigt werden (in rückwärts laufenden Bildern natürlich).

Das Erste, was der Zuschauer zu sehen bekommt, ist eine Art Hinterhof. Die Kamera bewegt sich langsam durch die Szenarie, um dem Zuschauer einen ersten Eindruck des Umfelds zu geben, in dem sich die Geschichte abspielt bzw. bereits abgespielt hat. Das erste Seherlebnis ist für den Zuschauer äußerst anspruchsvoll, da er oft nur kurz Straßenlichter sieht, Teile von Mauern und alte Rohre an den maroden Hauswänden. Es ist dunkel. Einen festen Standpunkt, von dem aus die Gegend überblickt werden könnte, gibt es nicht, da die Kamera nicht still steht, sondern ständig in Bewegung ist.

Daher wirkt auch der Übergang zur zweiten Szene (Zeit) fließend, im Blickfeld befindet sich kurz eine heruntergekommene Hauswand, auf der ein großes Plakat mit der Darstellung einer rote Faust befestigt ist, dem Symbol der kommunistischen Revolution. Gleich darauf stülpt sich das Blickfeld rückwärts durch ein Fenster, die Sicht wandert über die Wände eines kargen Zimmers und erfasst den dicklichen Körper eines Mannes um die Fünfzig. Wer die früheren Werke von Gaspar Noe gesehen hat, der erkennt in diesem Mann Phillipe, den Pferdemetzger aus dem Kurzfilm "Carne" und auch aus Noes ersten Spielfilm "Menschenfeind". Sein Satz "Die Zeit zerstört alles" ist der erste gesprochene Satz des Films, seine Bedeutung wird erst später eigentlich klar.

Mit dieser Anspielung zwingt Noe den Zuschauer, sich bestimmter sozialer Strukturen in Frankreich (und nicht nur dort) bewusst zu werden. Das Land wird als heruntergewirtschaftet gezeigt, im "Menschenfeind" heißt es zynisch: "Frankreich, schönes Frankreich. Nur Ruinen und Arbeitslose." Klassenstrukturen werden aufgezeigt, die auch für die Handlung in "Irreversible" wichtig sind. Was im "Menschenfeind" recht ausführlich behandelt wurde ("Es gibt die Reichen und die Armen, und es sind immer die Armen, die zahlen!"), wird vom Schlachter in "Irreversible" nur kurz angesprochen, wenn er sagt: "Man muss kämpfen, muss leben. Weiter kämpfen, weiter leben." Dem Zuschauer wurde in Noes ersten beiden Filme auch Klassenkampf gezeigt, es wurde ihm die Situation der französischen Unterschicht präsentiert, die täglich mit Gewalt und Armut zu tun hat.

Der Begriff der "strukturellen Gewalt" (4) verdeutlicht das komplexe Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich die Arbeiter befinden. Die Figuren in fast allen von Noes Filmen befinden sich in pekuniären Abhängigkeiten, allerdings kann kaum einer (außer sich selbst) einen Grund, eine bestimmte Person oder Instanz nennen, die für die eigene soziale Situation verantwortlich ist. Die Gewalt steckt also mit in der Struktur, in Konkurrenz und Wettbewerb, in der Divergenz von reich und arm.

Fest steht, dass hier schon auf verschiedene Gewaltmuster hingewiesen werden soll, wenn auch hauptsächlich auf wirtschaftlich-soziale. In "Irreversible" verbreitet sich diese Gewalt fast wie ein Parasit, er steigt auf in die Mittelklasse, die in sozialen Brennpunkten gärende Aggressivität bricht aus ihrem festen Gefüge aus und "infiziert" die Besser-Gestellten.


3. Hinab ins "Rectum", hinab in den Höllenschlund

Die Kamera, die dem Zuschauer weiterhin das Gefühl gibt, ein fliegender Beobachter zu sein, zeigt dem Zuschauer Krankenwagen und Polizei vor dem Haus, direkt vor dem Schwulenclub "Rectum", aus dem ein Mann auf einer Trage herausgebracht wird. Es ist Marcuse (Vincent Cassel), kurz hinter ihm wird sein Freund Pierre (Albert Dupontel) von der Polizei abgeführt. Einige Momente später sieht man Marcuse im Krankenwagen liegen, der ihn weg transportiert. Pierre sitzt schweigend und mit unbewegtem Gesicht im hinteren Teil eines Polizeitransporters, umgeben von Beamten.

Dann verabschiedet sich die Kamera von der Außenwelt, der Zuschauer wird im vierten Kapitel Rectum in den gleichnamigen Club geführt, der sich als wahrer "Höllenschlund" (5) entpuppt. Rotlicht strahlt, in den Ecken knacken Glühbirnen, die Decken sind mit Armee-Tarnnetzen verhüllt, auf Monitoren laufen Pornos. Man erkennt nur Männer, fast alle glatzköpfig und trainiert, die miteinander verschiedenste Arten von Sex haben, SM-Spiele mit Schlägen und Kerzenwachs inszenieren. Unterlegt ist das ganze Szenario von einem extrem treibenden Percussion-Rhythmus, von Bangalter (Mitglied der Gruppe "Daft Punk") komponiert. Die Atmosphäre des Clubs ist dumpf und düster, die Kamera zuckt unkontrolliert umher. Der Zuschauer wird förmlich in den Club "Rectum" gesogen und gleichzeitig mit einer sehr befremdlichen Atmosphäre konfrontiert. Wegschauen wird unmöglich. Sehr ‚förderlich' für die Beklemmung des Zuschauers sind die Lichtverhältnisse im Club. Der Film startet zwar schon in der Nacht, der Club selbst wirkt jedoch noch viel dunkler, der Zuschauer erkennt oft nur schemenhaft die sexuellen Aktivitäten der Gäste. Die Unkenntnis und die schlechte Sicht verschlimmern die Situation für den Zuschauer. Der Club Rectum ist im wahrsten Sinne des Wortes ein "analer Ort" in einem Film, der aus umgekehrter Perspektive gezeigt wird. Er wird präsentiert als höllischer Platz, ein Platz, an dem nur Triebe regieren, alle Handlungen instinktgesteuert zu sein scheinen und auf abnorme Sexualität fixiert sind. Der Begriff "Sodomie" und die Tatsache, dass man, um in diesen Club zu kommen, erst einige Stufen hinab steigen muss, erklären seine Semantisierung.

Nachdem die Kamera dem Zuschauer den Club ausreichend gezeigt hat, kehrt sie zum Eingang zurück, wo Marcuse und Pierre gerade eingetroffen sind. Marcuse ist rasend. Sein Begleiter Pierre versucht ihn zum Weggehen zu animieren, aber seine Versuche scheitern. Während Pierre am Fuß der Treppe erschüttert stehen bleibt und sprachlos seine Umgebung betrachtet, stürmt Marcuse sofort los, um einen Mann namens "El Tenia" zu finden. Die Kamera folgt schwankend Marcuse, der wütend durch das unterirdische Labyrinth hetzt, immer auf der Suche nach El Tenia. Pierre versucht abermals, Marcuse zum Verlassen des Clubs zu bewegen: "Du bist kein Mensch mehr, du bist wie ein wildes Tier. Aber Tiere rächen sich nicht!" Aber er hat keinen Erfolg. Nach und nach überträgt sich die Aggression von Marcuse auf die Clubbesucher. Je weiter er sucht, desto tiefer gerät er in den Club. Im Hintergrund versucht ihn Pierre weiterhin von der Unsinnigkeit seines Tuns zu überzeugen. Marcuse, der auch zwischen all den ihn umgebenden Homosexuellen mit seiner Homophobie nicht hinter dem Berg hält, lässt sich aber nicht davon abbringen, El Tenia weiter zu suchen. Er beschimpft und schubst auch einige Gäste, er ist Fremdkörper an diesem Ort, an den sich der Gesuchte zurückgezogen hat.

Schließlich findet Marcuse einen Gast, der ihn zu El Tenia bringen kann. Marcuse wird immer ungeduldiger, scheinbar ist er blind vor Hass, und schlägt auf den Gast ein. Er tritt, schlägt und beschimpft ihn. Den Gast stört das allerdings wenig, die Gewalt, die Marcuse ihm antut, kommt seinen masochistischen Neigungen offenbar entgegen.

Die Suche hat ein Ende, als Marcuse in einen größeren Raum geführt wird, in dem er El Tenia vermutet. Er glaubt schließlich, ihn gefunden zu habe. Er fängt Streit mit ihm an und schlägt ihm sofort eine Flasche ins Gesicht. Erst im weiteren Verlauf des Films wird sich zeigen, dass Marcuse den Falschen angegriffen hat, El Tenia (Jo Prestia) stand direkt neben dem Mann, auf den er losgegangen ist. Marcuse wird niedergeschlagen, sein vermeintliches Opfer bricht ihm den Arm wie einen morschen Ast über das Knie und öffnet die Hose, um ihn an Ort und Stelle zu vergewaltigen. Die restlichen Clubgäste greifen nicht ein, im Gegenteil. Einige beginnen zu masturbieren, als sie den wehrlosen Marcuse auf dem Boden liegen sehen.

In diesem Moment kommt jedoch Pierre hinzu. Er hat einen schweren Feuerlöscher in der Hand und schlägt ihn dreiundzwanzig Mal auf und in das Gesicht von Marcuses Peiniger. Anschließend lässt er den Feuerlöscher fallen, die Szene endet.

Dieser Gewaltakt stellt eine von zwei extrem verstörenden Szenen des Films dar. Einmal haben wir Marcuse, der blind vor Zorn ist. Er hetzt durch den Club, jederzeit bereit den Nächstbesten seinen Hass spüren zu lassen. Seine Aggression wird aber sofort ausgehebelt, Marcuse wird in Sekundenbruchteilen selbst zum Opfer und zum Sexobjekt gemacht. Auch dies ein Gewaltakt. Gewalt bekommt hier eine enorme Bedeutung für jede sexuelle Praxis. Der Akt der Vergewaltigung stellt die konsequenteste Form von SM-Sex dar, da der Realitätsfaktor die Lust des Vergewaltigers noch deutlich steigert.

Bevor es zu dieser Vergewaltigung kommt, betritt Pierre mit dem Feuerlöscher die Szene. Es ändert sich abermals blitzschnell die Situation. Der besonnene Lehrer Pierre, der die ganze Zeit die Stimme der Vernunft für Marcuse war, der von tierischem Handeln sprach und von dem Verbot der Rache, genau diese Figur greift zum Mittel der ultimativen Gewalt, zum Mord. Das Stöhnen seines Opfers kommentiert er mit dem Aufruf, doch den Mund zu halten, ansonsten bleibt er bei seiner Tat ruhig, sein Gesicht ist emotionslos. Dies ist der einzige Ausbruch von Pierre im ganzen Film, ansonsten bleibt er immer ruhig und ausgeglichen, er hält sich für intellektuell und von Gewalt nicht angefochten. Es gibt keine Anzeichen für einen Gesinnungswandel bei Pierre, er wird nicht langsam wütend. Er tritt einfach ins Bild und "ein zuvor aktiver Mensch endet als deformierte Masse." (6) Vom Gesicht seines Opfers, dem Hauptausdrucksmittel des Menschen, bleibt nichts mehr übrig. Der Tötungsakt stellt hier das komplette Ausradieren eines menschlichen Subjekts dar, eine Identifikation des Toten rein nach Gesichtsmerkmalen ist durch die stumpfe Gewalteinwirkung mit Sicherheit unmöglich geworden.

Das "Rectum" selbst, der Club, steht komplett außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Die Männer (einer davon übrigens der Regisseur selbst) kommen nur für sich selbst in den Club, es gibt keine anderen Beziehungen zwischen den Besuchern als sexuelle. Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass keiner der Club-Besucher in die Gewalttaten eingreift, im Gegenteil. Es kann kein Mitleid geben, da jeder ja nur für sich selbst ins "Rectum" geht. Der Ort dient ausschließlich der Befriedigung der eigenen Triebe, der Ausübung von Instinkten und deshalb muss dort auch keinem anderen geholfen werden. Man(n) ist in diesem Club immer nur als Einzelner unterwegs, ohne Verantwortung, ohne Gesetz und ohne Moral.

Der Zuschauer wird durch die grandiose Kameraarbeit zum Hinsehen gezwungen. Seit Minuten war er dem hypnotischen Percussion-Rhythmus ausgesetzt, die schwankende Kamera und die Geschehnisse im Halbdunkel des Clubs tragen zur beklemmenden Stimmung bei. Dem Zuschauer bleibt keine Möglichkeit, der brachialen Gewalt zu entkommen, der "inszenierte Gewaltakt ist (wird ein) Gewaltakt gegen den Zuschauer" (7). Der Mord mit dem Feuerlöscher wird durch das gnadenlose "Drauf-Halten" der Kamera erst wirklich realistisch, sie entfernt sich nie ganz vom Opfer, sondern bewegt sich zwischen "Subjekt, Aktion und Objekt" (8), dem perfekten Dreierverhältnis direkter Gewalt, hin und her. Mit jedem Schlag muss der Zuschauer sehen, wie sich das Gesicht des Opfers mehr und mehr verformt, jeder Schlag hinterlässt sofort eine realistische, sichtbare Verwundung. Und das scheint es auch zu sein, was vielen Besuchern der Filmpremiere einen derben Schlag in den Magen versetzt hat. Noe, der sich in seinem Film besonders um Realitätsnähe bemühte, meinte in einem Interview mit Glenn Lovell auf die Frage, ob man den Mord derart brutal zeigen müsse: "Many people are killed in action movies, but we don`t feel anything. I felt i [sic!] had to deal with the ultimate violence." (9). Die Realitätsnähe dieses gezeigten Mordes wird funktionalisiert; sie sorgt dafür, dass dieser Mord nicht nur als Mord wahrgenommen, sondern regelrecht mit-erlebt wird.


4. Die Kollision von Welten und Menschen - Rache hat ihren Preis

In der nächsten Szene gehen Pierre und Marcuse in Begleitung zweier Männer arabischer Herkunft eine Straße entlang. Es stellt sich heraus, dass sie sich auf dem Straßenstrich befinden, um die Prostituierten dort nach dem Namen des Vergewaltigers von Alex zu fragen. Schließlich müssen sie feststellen, dass der Name, den die Begleiter der beiden Männer aus einem Personalausweis am Tatort entnommen haben, zu einer Prostituierten auf dem Strich passt. Unter Gewalteinfluss gesteht sie, eigentlich Transvestit zu sein und den Vergewaltiger zu kennen. Sein Name wäre El Tenia, man würde ihn im Schwulenclub "Rectum" finden.

Die folgende Szene trägt den Titel "Recht". Pierre sitzt in einem Polizeiwagen und lässt abwesend die Fragen eines Polizisten über sich ergehen. Er wird gefragt, ob das Opfer seine Frau ist, ob sie Feinde hatte, wo er während der Tat gewesen sei, usw. Bis auf die Frage, ob Alex seine Frau sei, verneint er alle weiteren. Sein Blick starrt ins Leere, die Tat hat ihn bis ins Mark erschüttert. Dass er fast alle Fragen verneint, die mit bestimmten Tatmotiven zu tun haben, stellt die augenscheinliche Sinnlosigkeit der Vergewaltigung ganz besonders heraus.

Nachdem die Befragung beendet ist, verlässt er den Wagen und geht langsam zu Marcuse. Beide stehen für einige Augenblicke schweigend und fassungslos nebeneinander. Langsam werden die Personenkonstellationen auch klarer. Alex ist seit drei Jahren die Freundin von Marcuse und war vorher vier Jahre lang mit Pierre zusammen.

Nach einer Zwischenszene folgt die Szene "Koma", Pierre und Marcuse treten durch die Eingangstür eines Hauses auf die Straße. Leise kann man Musik aus einem der oberen Stockwerke hören. Während Marcuse recht gelöst neben Pierre läuft, macht dieser ihm Vorwürfe. Marcuse wüsste nicht, was er an Alex habe, meint Pierre. Dann sehen beide Blaulicht, Polizei sperrt eine Fußgängerunterführung ab. Im Hintergrund sieht man die zwei Araber, die von Polizisten zur Seite gedrängt werden. Plötzlich erkennen beide Männer Alex (Monica Belucci) auf einer Trage, die in Richtung eines Krankenwagens geschoben wird. Ihr Gesicht ist grausam zugerichtet, sie liegt im Koma.


5. Ein Bandwurm hat Blut vergossen - Die Vergewaltigung von Alex

Das zehnte Kapitel (Tunnel) zeigt die Schlüsselszene des Films, den Grund für den Mord im "Rectum". Man sieht eine große Frau mit dunklen Haaren einen Türeingang verlassen. Sie trägt ein extravagantes Kleid, es ist Alex, die Freundin von Marcuse. Die Gegend scheint nachts äußerst unsicher zu sein, und als Alex vergeblich ein Taxi auf der anderen Straßenseite auf sich aufmerksam machen will, rät ihr eine Prostituierte, doch durch die Unterführung auf die andere Straßenseite zu gehen. Alex folgt dem Rat. Als sie zum Tunnel hinunter geht, ist die Musik der Party noch hörbar, die sie gerade eben verlassen hat.
Der Tunnel selbst ist recht lang, er ist rötlich ausgeleuchtet, ihre Schritte hallen. Dieser Tunnel wirkt, als ob er von der Außenwelt abgetrennt wäre. Licht und Kameraeinstellung erzeugen einen in sich geschlossenen Raum, der Tunnel wird zur ausgeleuchteten Bühne für die kommende Szene.

Kurz bevor Alex den Ausgang erreicht hat, kommen zwei Menschen um die Ecke. Es ist El Tenia mit einer Prostituierten. Er schlägt sie zusammen und bemerkt dann Alex. Er zwingt Alex mit einem Messer auf den Boden und vergewaltigt sie neun Minuten lang anal. Aber El Tenia belässt es nicht bei der brutalen Vergewaltigung, er prügelt sein Opfer anschließend noch ins Koma.

Diese Vergewaltigung war Auslöser für den Skandal von Cannes 2002. Aber warum? Zwar ist es durchaus nicht das erste Mal gewesen, dass eine Vergewaltigung in einem Film gezeigt wurde, aber eine derart intensive Darstellung lässt viele anderen weit hinter sich. Die schauspielerische Leistung von Monica Belucci und Jo Prestia ist zweifelsohne grandios. Durch sie wird die Vergewaltigung in ihrer Brutalität fassbar. "Diese Szene doziert nicht von der Unerträglichkeit des Gezeigten, sie macht es geradezu körperlich fühlbar." (10).

Genau wie bei dem Verbrechen im "Rectum" dreht auch hier die Kamera nicht ab. Im Gegenteil: Sobald Alex auf dem Boden liegt, nähert sich die Kamera ihrer Position an, sie begibt sich in eine sogenannte untersichtige Totale. Diese Perspektive erinnert an die Kameraführung bei Pornofilmen, sie soll dem Zuschauer eine Möglichkeit geben, die Mimik der Akteure zu betrachten. Was bei einem Pornofilm allerdings nur schwer mit Realismus zu vereinbaren ist, muss den Zuschauer im vorliegenden Fall extrem affizieren und irritieren.

Noe geht einen Mittelweg. Auf der einen Seite soll die Vergewaltigung realistisch wirken. Er hat sich deshalb vor dem Film mit Vergewaltigungsopfern getroffen, um eine möglichst reale Darstellung realisieren zu können. Er wehrt sich gegen Vorwürfe, der Vergewaltigung einen pornographischen Charakter gegeben zu haben. Er pocht vielmehr auf den Realismus der Darstellung und will die Brutalität ungeschminkt zeigen.

Auf der anderen Seite ist die Vergewaltigungsszenerie im Tunnel hochgradig ästhetisiert. Der Tunnel selbst bekommt im Prinzip die Funktion einer Bühne, er ist ausgeleuchtet, und die Figuren werden durch die Perspektive fast schon ins Rampenlicht gerückt. Auffällig ist auch, dass die Kamera während der Vergewaltigung still am Boden verharrt und erst, als der Vergewaltiger beginnt, sein Opfer zu schlagen, ruckartig in die Höhe schießt, um schließlich näher an Opfer und Täter heranzukommen.

Der Zuschauer selbst wird von den Bildern terrorisiert, er kann nicht fliehen. Alex reckt den linken Arm dem Zuschauer entgegen, scheint das Publikum um Hilfe zu bitten, ihre Hand greift allerdings ins Leere. Der Zuschauer selbst kann nichts tun, er ist zur Hilflosigkeit verdammt. Diese Szene baut somit ein interessantes Verhältnis zwischen Publikum und Film auf. Diese Tunnel-Szene zwingt den Zuschauer zum bewussten Hinsehen, zum bewussten Betrachten einer brachialen Vergewaltigung. Möglicherweise hat die Tatsache, dass sich Teile des Publikums innerlich teils sadistisch, teils masochistisch zur Szene "hingezogen" fühlten, zum Skandal in Cannes 2002 beigetragen. Man kann annehmen, dass bei dieser Szene Instinkte angesprochen wurden, derer sich manche Zuschauer vorher nicht bewusst waren.

Unstrittig ist jedenfalls, dass das Publikum stark in den Film eingebunden wird. Vorbeisehen ist bei der Kameraperspektive unmöglich, die Augen zu schließen nützt nichts, da man die auditiven Signale, das markerschütternde Schreien, nicht abstellen kann. Die Hilflosigkeit des Publikums wird im Laufe der Szene noch weiter gesteigert. Kurz bevor der eigentliche Akt der Vergewaltigung beginnt, Alex liegt bereits auf dem Boden, kommt ein Passant (ein weiterer Auftritt von Gaspar Noe selbst) in den Tunnel, man kann ihn weit hinten in der Unschärfe erkennen, und kehrt sofort um, nachdem er die Situation erkannt hat. Eine mögliche Rettung wird nur angedeutet, aber sofort zurückgenommen. Die Fallhöhe von Alex wird damit noch weiter gesteigert, und damit auch die Fallhöhe des Zuschauers.

Interessanterweise findet sich bei den Kritiken nur sehr wenig Kommentar zu dieser erschütternden Tatsache, dass ein Passant, der eigentlich in die Situation eingreifen könnte, die Frau ihrem Schicksal überlässt und umkehrt. Thomas Willmann von Arteshock.de fragt als einer der wenigen, die sich dazu äußern: "Kann es sein, dass da am lautesten geschwiegen wird über den Moment, in dem man sich am schlimmsten selbst ertappt fühlt?" (11)

Tatsächlich sieht sich der Zuschauer, sobald er das Gehen des Passanten bemerkt, mit eigener Hilflosigkeit und Wut konfrontiert. Man neigt dazu, sich zu fragen, was man selbst in jener Situation tun würde. In Zeiten, in denen sehr gern und schnell vom heimischen Fernsehsessel aus von Zivilcourage gesprochen wird, gesteht man sich selbst nur ungern ein, dass nicht nur ein Wunsch nach echter Hilfe in einem ruht, sondern auch Hass und Rache mit Instinkten zu tun haben, die tief in einem schlummern. Vielleicht rührt die Wut der Zuschauer genau daher, nämlich aus der eigenen Hilflosigkeit.

Zum Gemisch aus Sex und Gewalt kommt in dieser Szene aber noch ein anderer Aspekt hinzu. El Tenias Vergewaltigung von Alex dient nicht in erster Linie zur Triebbefriedigung. Wenn es darum gegangen wäre, dann hätte er ebenso einfach die Prostituierte im Tunnel vergewaltigen können, sie sollte ja sein eigentliches Opfer sein. Als er aber Alex sieht, lässt er die Prostituierte sofort laufen und bedroht stattdessen Alex. Die Frage ist, warum er das tut?
El Tenia stellt, neben den beiden arabischen Informanten, einen Schnittpunkt zwischen der Welt des "Menschenfeind", also der Welt der Armut und Kriminalität, und der Welt von "Irreversible", also der Welt der Mittelklasse dar. El Tenia verkauft Drogen, hat also verhältnismäßig viel Geld, zumindest lässt sein Äußeres diesen Schluss zu. Er bewegt sich im kriminellen Milieu und verbirgt sich im "Rectum", jenem "höllischen" Schwulenclub. El Tenia kennt und lebt also die Gewalt jener Subkulturen, nun bringt er sie durch seine Vergewaltigung der Mittelklasse. Tatsächlich scheint der soziale Aspekt bei der Auswahl seines Opfers kein Zufall zu sein. Die Prostituierte lässt El Tenia, der ja eigentlich laut eigenem Bekenntnis homosexuell ist, laufen. Alex in ihrem noblen Kleid wird dennoch sein Opfer.

Scheinbar steht für El Tenia bei der Vergewaltigung nicht der sexuelle Akt im Vordergrund, sondern der Wunsch, eine soziale Bessergestellte zu erniedrigen und Klassenschranken brachial zu verletzen. Er beschimpft sein Opfer während der Vergewaltigung mehrfach als "verdammte kleine Spießerin" und "billige Bonzenfotze", bevor er geht, bespuckt er sie sogar noch. Auch äußert er sich zu ihrem Aussehen: "Du denkst, dass du dir alles erlauben kannst, weil du schön bist." An ihrem sozialen Status kann er nichts ändern, dafür widmet er sich mit äußerster Brutalität ihrer Schönheit, die ihm ein Dorn im Auge ist.
El Tenia begeht genau genommen also nicht "nur" eine Vergewaltigung, er begeht gezielt einen Akt der psychischen Erniedrigung und physischen Vernichtung eines schönen Körpers. Sein Spitzname ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt. El Tenia bedeutet im Deutschen "Der Bandwurm". Und letztlich agiert der Mann auch wie ein Parasit. Er nimmt sich bis zu einem gewissen Grad Befriedigung von Alex, und die nimmt er sich mit Gewalt. Gewalt tritt hier wieder als Instrument auf, welches sich vorzüglich dazu eignet, anderen Menschen den eigenen Willen aufzuzwingen. Diese Gewalt und Kriminalität, die in der Unterschicht allgegenwärtig ist, pflanzt dieser Bandwurm durch die anale Vergewaltigung in Alex ein. El Tenia benutzt Alex quasi als Medium für die Verbreitung von Gewalt. Marcuse und Pierre ‚infizieren' sich danach an Alex, d.h. sie ziehen sich die Gewalt wie eine Krankheit zu, die unheilbar ist und als logische Folge davon unweigerlich zum Ausbruch kommen muss.


6. Sex, Macht und die Zerstörung durch Zeit

In den Szenen nach der Vergewaltigung im Tunnel und nach der Party legt Noe auf den Zeitaspekt besonderen Wert. Alex spricht mit Pierre und Marcuse in einem Fahrstuhl über ein bestimmtes Buch, das sie gerade liest. Es nennt sich, wie man später im Film erkennen kann: "An Experiment with time" von John Dunnes. Dunnes war in den 1920ern ein Wissenschaftler, der an sogenannten "prophetischen Träumen" gearbeitet hat. Alex erläutert den beiden Männern den Gedanken von Dunnes, dass der Verlauf der Zeit bereits unabänderlich vorgezeichnet ist. Den Beweis für diese Theorie sieht Dunnes, so erklärt Alex, eben in "prophetischen Träumen". Wenn Dunnes recht hat, dann müsste Alex ja in Träumen auf den Schicksalsschlag der Vergewaltigung hingewiesen worden sein.

Das Gespräch ändert jedoch seine Richtung. Als Pierre, Marcuse und Alex in die Metro steigen, entsteht ein Gespräch über Sex und "das, was die Frau dabei eigentlich will". Pierre möchte von Alex wissen, ob Marcuse im Bett mit ihr denn besser wäre, als er selbst es mal gewesen war. Das Gespräch ist in sofern recht interessant, als es das Wesen von Pierre sehr präzise darstellt. Alex bringt genau das auf den Punkt, indem sie Pierre entgegnet, dass er zuviel denken würde. "Du willst immer alles erklären", sagt Alex. "Es gibt Dinge, die lassen sich nicht erklären."

Diese Aussagen lassen sich aber nicht nur auf Pierre übertragen. Genau genommen lässt sich die Vergewaltigung von Alex auch nicht erklären. Es gibt keinen logischen Grund für die Vergewaltigung, was besonders an der Stelle deutlich wird, an der Pierre fast alle Fragen des Polizisten mit "Nein" beantwortet. Der Grund, warum Alex das Opfer von El Tenia geworden ist, ist Zufall. In der Argumentation des Films gibt es hierfür keinen Grund, es geschieht, weil es vorgezeichnet ist, weil die Zeit es so vorsieht.

Pierre quält sich durch seine ständigen Fragen im Prinzip nur selbst. Eine Antwort, warum die Beziehung zwischen Alex und Pierre insbesondere sexuell besser läuft, erhält er gerade nicht. Er habe zuviel gedacht, meint Alex. "Du denkst nur an das Vergnügen des anderen" sagt sie zu ihm, er war also zuwenig Egoist. Was einige Stunden später allerdings mit ihr gemacht werden wird, ist das reine Vergnügen eines anderen, purer Egoismus eben, also eine Instrumentalisierung von Sexualität, die nur der eigenen Erfüllung dient.

Die vorletzte Szene Liebe beginnt mit einem düsteren Farbennebel, ähnlich den Lichtverhältnissen im "Rectum". Man erkennt in der ständigen Bewegung der Kamera nur einige rote Lichter und eine Art U-Bahn-Schacht. Dies ist der prophetische Traum von Alex.

Diese erwacht nackt auf dem ebenfalls nackten Marcuse, beide liegen im Bett. Marcuse reckt seinen rechten Arm und schüttelt seine Hand, als ob sie eingeschlafen wäre. "Verdammt, ich spüre meinen Arm kaum mehr", sagt er zu seiner Freundin. Diese Aussage hat klaren Bezug zu seinem Armbruch im "Rectum". Unklar ist in dieser Szene jedoch, ob Marcuse einen "prophetischen Traum" hatte, der Einfluss auf sein Körpergefühl hatte und nur nicht im Film gezeigt wurde, oder ob, nach der Zeit-Theorie des Films, Träume nicht mehr vonnöten sind, da sich die Zukunft viel drastischer und direkter schon in der Realität abzeichnet.

Alex geht jedenfalls nicht auf die Aussage von Marcuse ein, sie berichtet ihm im Halbschlaf von einem eigenen Traum: "Ich war in einem Tunnel, überall Rot. Plötzlich, plötzlich bricht der Tunnel auseinander." Dieser Traum ist für den Zuschauer eindeutig einer der prophetischen Träume, von denen Alex im Fahrstuhl gesprochen hat.

Etwas später in dieser Szene schlägt sie ihrem Freund den Wunsch aus, Analverkehr mir ihr zu haben. Sie will nicht, und ihr Wille wird respektiert. El Tenia macht sich nichts aus ihrem Willen, sie ist für ihn nur Objekt. Wieder tritt die bereits erwähnte Analfixierung des Films zu Tage. Es ist bemerkenswert, dass Sexualität, auch in Verbindung mit Frauen, in "Irreversible" nur in analer und oraler Form ausgeübt wird. "Normalen" Geschlechtsverkehr sucht man in diesem Film vergeblich. Dennoch wird das Zusammensein von Marcuse und Alex als äußerst zärtlich und harmonisch dargestellt, was natürlich in krassem Kontrast zur Vergewaltigung im Tunnel steht.

Auch Marcuse` Persönlichkeit wird in dieser Szene noch einmal beleuchtet. Er scheint sich auf Kosten von Alex "durchzuschnorren". Er fragt sie nach Geld für Getränke, die sie auf die abendliche Party mitnehmen wollen und nimmt sich kurzerhand ihren kompletten Geldbeutel. Im Hintergrund hört man Alex noch rufen, dass Marcuse nie Geld habe. Marcuse hat sich im Laufe des Films nicht unbedingt als potenzieller Sympathieträger der Zuschauer hervorgetan. Er ist aggressiv und homophob, darüber hinaus ist er Rassist und Ausländerfeind und konsumiert harte Drogen. Damit ist die Möglichkeit des Zuschauers verbaut, sich die Rache von Marcuse als moralische Heldentat schön zu reden, zumal sie ja letztlich noch nicht einmal den eigentlichen Täter trifft.

Nachdem Marcuse die Wohnung verlassen hat, macht Alex einen Schwangerschaftstest. Das Ergebnis: sie ist schwanger - von Marcuse. Der Traum, den sie kurz vorher hatte, deutet sie als Zeichen der Schwangerschaft.

Bevor die Szene abgeblendet wird, erkennt man über ihr ein Poster des berühmten Films "2001 - Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick. Dieses Poster stellt noch einmal einen Bezug zum Umgang mit Zeit in "Irreversible" dar. Während der Protagonist in "2001 - Odyssee im Weltraum" allerdings in einer barbarisierten Welt startet und mit Hilfe von Technik und Raumfahrt selber zu einer verjüngten ideellen Existenz zurückfindet, bietet sich in "Irreversibel" eine umgekehrte Struktur. Dort beginnt "der Mensch" in einer ideellen Konstellation und erst der Verlauf der Zeit bringt Chaos in diesen Zustand.

Die letzte Szene des Films, die Szene Grün, zeigt Alex auf einer grünen Wiese liegen. Das Bild ist hell, weil der Tag sonnig und schön ist. Sie liegt auf einer idyllischen Wiese und liest das Buch von Dunnes, welches sich mit der Zeittheorie und den prophetischen Träumen beschäftigt. Die Kamera entfernt sich von ihr und beginnt, sich in der Aufsicht um einen Rasensprenger zu drehen, über den Kinder springen. Die Kamerafahrt beschleunigt sich, dreht sich zum Himmel und geht in ein derbes Stroboskopgewitter über, in welchem man die Milchstraße erkennen kann, "jene sich langsam ausdehnende Galaxie, die bei erreichen des maximalen Punktes ihrer Ausdehnung in sich zusammenstürzen wird." (12) Kurz darauf wird das Bild schwarz, in weißen Buchstaben liest der Zuschauer "Temps detruit tout" - "Die Zeit zerstört alles."

Im Film "Irreversible" zerstört die Zeit wirklich alles. Noe zerstört den Gedanken, dass der Mensch sein eigenes Schicksal bestimmen kann. Es gibt lediglich einen "idealen Urzustand", aus dem heraus Leben entstand. Alles, was danach folgte, ist eine Verfallsgeschichte, die in immer radikalere Zerstörungen mündet. Denn so idyllisch das Ende des Films ist, dem Zuschauer ist klar, was in der Handlungschronologie kommen wird. Jeder weiß, wie dieser Tag für Alex, Pierre und Marcuse enden wird. Auch am Ende des Films drängt sich die Erkenntnis dem Zuschauer förmlich auf:

"Die Zeit zerstört alles" - Es gibt kein Leben ohne Tod


Fußnoten

  1. http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60E/Doc~EA11EC64E211A4A5B9DDE9A141A49C5BC~ATpl~Ecommon~Sspezial.html (top)
  2. Galtung, Johann: Strukturelle Gewalt. S.9 (top)
  3. Rolling Stone, September 2003. S.9 (top)
  4. Stiglegger, Marcus ; Begleitheft der "KinoKontrovers" - Auflage von "Irreversible". S.13 (top)
  5. Kino, November 2002 (top)
  6. Galtung, Johann: Strukturelle Gewalt. S. 10 (top)
  7. http://www.artechock.de/film/text/kritik/i/irreve.htm (top)
  8. Stiglegger, Marcus ; Begleitheft der "KinoKontrovers" - Auflage von "Irreversible" . S.23 (top)


Verfasser: Axel Loyens, veröffentlicht am 16.01.2005

 

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