Laura Talkenberg


Fight Club als Illustration des Spiegelstadiums

Abstract: Der Film Fight Club weist ironisch auf zahlreiche Aspekte der postmodernen, konsumorientierten, technisch hoch entwickelten Gesellschaft hin und zeigt auf zugespitzte Art und Weise anhand der Protagonisten Jack und Tyler die daraus resultierenden Folgen für das Individuum und somit auch für die Gesellschaft auf. Die Charakterzeichnung der Figur Jack schafft im Film die Bedingungen für eine Konstellation, die Parallelen zu Lacans Theorie des Spiegelstadiums aufweist, und die im Laufe des Films dynamischen Prozessen unterworfen ist, die wiederum im Umfeld von Lacans Theorie interpretiert werden können. In der Schlüsselszene in der obersten Etage des Hochhauses am Ende des Films wird nach Marla die Waffe zum ›Dritten‹, das in der Spaltung von Auge und Blick das Spiegelstadium überwindet. Das bereitet die Frage vor, ob sich die Spiegelbeziehung zwischen Jack und Tyler am Ende des Films löst oder nicht.

 

Spiegelstadium

Jacques Lacans Theorie des ›Subjekts im Spiegelstadium‹ zufolge tritt bei einem Kleinkind die erste Spaltung im psychischen Apparat ein, sobald es sich ab einem Alter von sechs bis acht Monaten zum ersten Mal im Spiegel erblickt. In diesem Moment, in dem das Kleinkind erstmals etwas ›anderes‹ und somit sich selbst wahrnimmt, entwirft es ein ›Ideal-Ich‹ und identifiziert sich mit einer Projektion von sich selbst als einem ›anderen‹. Aus dieser statischen Situation der absoluten Dualität führt Lacan zufolge die Sprache, welche als symbolische Ordnung die Begehrenssituation zwischen dem ›Je‹, dem realen Ich des Kleinkindes, und dem im Spiegel erblickten ›klein anderen‹ reguliert.

Da diese erste Spaltung im psychischen Apparat und der mit ihr verbundene Spiegelprozess beispielhaft sind für viele psychische Vorgänge, denen das Subjekt auch im Erwachsenenleben unterworfen ist, redet Lacans Theorie, obwohl er sie anhand eines Kleinkindes erläutert, vor allem vom voll entwickelten psychischen Apparat und lässt sich also gerade auf die Figur des Erwachsenen Jack anwenden.

Jack

Jack, so wie er sich uns am Anfang des Films vorstellt, ist ein 30-jähriger, weißer Amerikaner, der schmächtig und unscheinbar wirkt. Über seinen Vater erfahren wir in einem Dialog mit Tyler von ihm: »Als ich sechs war ist er verschwunden, hat 'ne andere Frau geheiratet und noch 'n paar Kinder gemacht.« (1) Jacks Aussage, er selbst könne »unmöglich heiraten«, da er ein »30-jähriges Milchgesicht« (2) sei, kann man so deuten, dass sein Bedürfnis nach einem Vater in seiner Kindheit nicht ausreichend personalisiert wurde und er als Folge dessen Probleme mit seiner Identität als Mann hat.

Mit seiner Arbeit als Rückrufkoordinator für eine seinen Angaben nach ›große‹ Autofirma kann sich Jack ebenfalls nicht identifizieren. Distanziert berichtet er am Anfang des Films einer Mitreisenden in einem Flugzeug, dass er fast täglich mit Autounfällen und deren tödlichen Folgen für die Insassen konfrontiert ist und es seine Aufgabe ist, mittels einer abstrakten Formel zu bestimmen, ob sich ein Rückruf für seine Firma finanziell lohnt, oder nicht.

Was Jack über seinen Vorgesetzten denkt, erfährt der Zuschauer, indem der Off-Erzähler, der den Film in Retrospektive aus der Innensicht Jacks erzählt, die gezeigte Szene, die morgens im Büro stattfindet, wie folgt kommentiert: »Er war so voller Pepp, er hatte wohl schon seinen Espresso-Macchiato-Einlauf hinter sich.« (3) Jack erträgt seinen Alltag nur mit Hilfe einer ironischen Distanz.

In welcher Identitätskrise Jack steckt, wird auch dadurch ersichtlich, dass der Erzähler ihn aus dem Off als »Opfer des Ikea-Nestbautriebs« (4) bezeichnet, was durch die im Film gezeigte Situation, in der Jack selbst auf der Toilette per Telefon bei Ikea Möbel bestellt, unterstrichen wird. Dass sich Jack überdurchschnittlich mit der Einrichtung seiner Wohnung identifiziert, wird außerdem so vermittelt, dass der Erzähler den Zuschauer wissen lässt, dass Jack sich, wenn er einen Ikea-Katalog durchsieht, fragt, »welche Esszimmergarnitur wohl meine Persönlichkeit definiert.« (5) Ironisiert und verstärkt wird diese Aussage, als Jack telefonierend durch seine Wohnung geht und diese durch eingeblendete Produktbezeichnungen immer mehr einem Ikea-Katalog gleicht.

Auch scheint es keine Freundschaften oder Hobbies zu geben, die dem Erzähler erwähnenswert sind. So sieht sich Jack zu Beginn des Films in einem Leben gefangen, das ihm wie die Endlosschleife eines unbefriedigenden Alltags vorkommt, der in ihm nichts außer Leere hinterlässt. Sein Problem der Identitätsfindung versucht er dadurch zu kompensieren, dass er sich neben seinen Ikea-Möbeln mit seiner aus Armani-Krawatten und Donna Karan-Schuhen bestehenden Garderobe identifiziert und an der postmodernen, konsumorientierten Welt orientiert, ohne dem etwas persönliches entgegensetzen zu können. Doch Jacks eigentliches Dilemma besteht darin, dass er diese Kompensationsversuche durchschaut und sich nach wie vor seiner Orientierungslosigkeit und inneren Leere bewusst ist, was ihm keine Ruhe lässt. So erfährt der Zuschauer vom Erzähler: »Sechs Monate lang konnte ich nicht schlafen« (6), während der Film Jack ruhelos in seinem Bett liegend zeigt.

Voraussetzung für das Erscheinen von Tyler Durden

Als Zeichen dafür, dass er aus seinem bisherigen Leben radikal ausbrechen will, zerstört Jack alles Materielle, an dem er bisher seine vermeintliche Individualität ausgemacht hat, indem er seine Wohnung in seiner Abwesenheit durch ausströmendes Gas zur Explosion bringt. Die Vorraussetzungen für das Auftreten von Tyler Durden sind so geschaffen. Diesen hat Jack, bevor er zu seiner abgebrannten Wohnung zurückgekehrt ist, im Flugzeug kennen gelernt, und nun kann Tyler seine ganze Macht als das »Zentrum« entfalten, in dem Jack »sich spiegeln bzw. mit dem er sich identifizieren kann« (7) – so Gerda Pagels Beschreibung der Beziehung zwischen dem ›anderen‹ und dem Subjekt im Spiegelstadium.

Tyler als Jacks ›Ideal-Ich‹

Tylers doppelt fiktiver Charakter lässt sich nach Lacans Theorie des Spiegelstadiums als Jacks ›Ideal-Ich‹ lesen. Die ersten beiden Szenen, in denen Jack und Tyler aufeinander treffen, illustrieren die ambivalente Beziehung zwischen dem Subjekt und dem von ihm projizierten ›Ideal-Ich‹:

In einer ersten auffälligen Parallele sitzt Tyler ebenso plötzlich im Flugzeug neben Jack, wie das Subjekt unerwartet und überraschend im Spiegel einen ›anderen‹ wahrnimmt. Und ähnlich beeindruckt wie das Subjekt, das auf das Erscheinen seines Selbstbildes mit Faszination und Bewunderung reagiert, verhält sich auch Jack bei dieser ersten direkten Begegnung mit Tyler: »Von allen portionierten Freunden die ich jemals kennen lernen durfte, sind Sie der eindrucksvollste.« (8)

In der Szene im Flugzeug, in der die beiden sich kennen lernen, trägt Tyler einen roten Anzug mit Stehkragen, dazu eine Sonnenbrille, hat seine Haare stachelig nach oben gestylt und strahlt Charisma, Selbstbewusstsein und große Zufriedenheit aus. Neben ihm sitzt Jack in einem grauen Anzug und hat sich wenige Sekunden zuvor noch frustriert von seinem Leben nach einem Flugzeugabsturz gesehnt. Der Unterschied zwischen den beiden könnte nicht größer sein. In allen Lebensbereichen, in denen Jack unzufrieden mit sich selbst ist, scheint Tyler perfekt zu sein und somit Jacks ›Ideal-Ich‹ zu verkörpern. Dies wird auch deutlich, wenn man das Berufsleben der beiden vergleicht. Tyler ist im Gegensatz zu Jack als Selbstständiger nicht abhängig von einem Vorgesetzen oder den finanziellen Interessen einer Firma: Er verkauft hauptberuflich Seife, die er aus Fett herstellt, das er zuvor aus Schönheitskliniken gestohlen hat.

Auch in seinen Nebenjobs lebt Tyler eine subversive Rebellion gegen die Gesellschaft, die ihrer Art und Weise nach an Kleinjungenstreiche erinnert und von der Jack bisher nur geträumt hat.

So erfährt der Zuschauer von Jack, dass Tyler, wenn er z.B. seinem Teilzeitjob als Filmvorführer nachgeht, Bilder aus pornographischen Filmen in Familienfilme schneidet, die in diesen dann für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen sind. Während Jack dies im Reporterstil berichtet, ist im Hintergrund Tyler bei der Arbeit zu sehen, der Jacks Erläuterungen ergänzt.

Wie sehr sich Jack in Tyler wieder erkennt, geht aus dem Gespräch der beiden in einer Bar hervor, in der sie sich treffen, nachdem Jacks Wohnung abgebrannt ist. Aus Tylers gesellschafts- und konsumkritischen Äußerungen lässt sich schließen, dass er wie Jack ein scharfer Beobachter seiner Umwelt ist. So bezeichnet Tyler Jack und sich als »Konsumenten, Abfallprodukte der allgemeinen Lifestyle-Obsession« (9), was Jacks momentane Situation trefflich beschreibt. Auch spricht er laut aus, was Jack sich bisher im Stillen gedacht hat: »Alles, was du hast, hat irgendwann dich.« (10)

Jack kann sich mit Tyler identifizieren und sich in ihm spiegeln wie das ›Subjekt im Spiegelstadium‹ mit seinem imaginären Selbstbild.

Und ähnlich wie die Spiegelbeziehung schwankt auch die Beziehung von Jack und Tyler zwischen Faszination und Aggression. Unmittelbar nachdem die beiden die Bar verlassen, tritt die Komponente von Gewalt, Aggression und Rivalität in ihre Beziehung ein:

Tyler bietet dem obdachlosen Jack an, dass dieser mit zu ihm kommen darf –unter der Bedingung, dass »du mich schlägst, so hart du nur kannst!« (11) Der daraus resultierende Kampf ist exemplarisch für die Situation der »in dual-imaginärer Erstarrung fixierten Rivalität mit sich selbst« (12).

Marlas Rolle in der Spiegelbeziehung

In dieser Konstellation, die sich aus der Situation der Spiegelung zwischen Jack und Tyler ergibt, übernimmt Marla im weiteren Verlauf des Films eine differenzierte Rolle. Ihre Funktion in der weiteren Handlung kann man als demonstrativ für Jacks Spaltung bezeichnen, da an der unterschiedlichen Art und Weise, wie Jack und Tyler mit ihr nicht umzugehen wissen, Jacks Spaltung verdeutlicht wird:

Wie Nina Ort in Where is my mind? Zur Popularität des Films Fight Club in der Postmoderne schreibt, tritt Marla zwischen Jack und Tyler »wie das Echo einer Welt der symbolischen Ordnung« (13), kann jedoch die ausgleichende Funktion dieser symbolischen Ordnung nicht erfüllen. Jack, der mit seiner Identität als Mann Probleme hat, kann Marla nicht als Frau sehen, er beraubt sie zeitweise ihrer sexuellen Identität, so wie er sich seiner beraubt fühlt, und projiziert stattdessen seinen Trieb und sein Begehren auf Tyler, der an Stelle von Jack Marla körperlich begehrt. Dass Jack Marla nicht immer als Frau sieht wird z. B. in der Szene deutlich, in der Marla ihn gebeten hat, ihre Brust auf Anzeichen eines Tumors zu untersuchen, und ihn fragt: »Du fühlst nichts?«. Noch während er seine Hand auf ihrer Brust hat, antwortet Jack doppeldeutig: »Nein, gar nichts.« (14)

In einer anderen Situation fühlt Jack sich dadurch, dass Marla und Tyler nie in seiner Anwesenheit gemeinsam in einem Raum sind, in die Problematik seiner Kindheit zurückgeworfen, und begleitet die Situation aus dem Off mit den Worten: »Ich bin wieder 6 Jahre alt und übermittle Botschaften zwischen meinen Eltern.« (15)

Marla verwirrt Jack zunehmend, da dieser nicht in der Lage ist, mit ihr auf sprachlicher Ebene zu kommunizieren, da Tyler ihm dies strengstens verboten hat: »Du darfst mit ihr nicht über mich sprechen. Ein Wort über mich oder das, was hier läuft zu ihr oder zu sonst jemandem, und wir sind am […]« (16) Ein Beispiel dafür, wie die beiden aufgrund von Jacks Spaltung, zu der auch Tylers Kommunikationsverbot zählt, aneinander vorbei reden, findet sich in der Szene, in der Jack Marla eines Morgens fragt: »Was tust du in meinem Haus?« (17) Marla, die Jack namentlich als Tyler kennt und noch die Nacht zuvor mit ihm geschlafen hat, ist daraufhin so verletzt, dass sie sich auf kein Gespräch einlässt und einfach geht.

Kommunikationsprobleme dieser Art hat Marla mit dem Tyler, den auch Jack als Tyler wahrnimmt, nicht, da diese Beziehung ohnehin nur auf körperliches und rein sexuelles reduziert ist. So bezeichnet Tyler seine Art des Umgangs mit Marla Jack gegenüber mit den Worten: »Das ist keine Liebe, das ist Sportficken.« (18)

Marlas Stellung, die sie zwischen Jack und Tyler einnimmt, ist insofern paradox, als sich Jacks geistiges Begehren nach Tyler dadurch steigert, dass sie Tylers körperliches Begehren befriedigt. Jack kann Tyler als männlich und potent erleben, wenn dieser mit Marla schläft, und ist so von seinem ›Ideal-Ich‹ umso mehr fasziniert, was wiederum sein Begehren steigert.

Der ›Fight Club‹

Die Spiegelbeziehung zwischen Jack und Tyler durchläuft weitere Entwicklungen, nachdem die beiden das erste Mal gegeneinander gekämpft haben.

Jack erlebt den Kampf mit Tyler als Befreiung, er kann währenddessen die Grenzen seines eigenen Körpers durch den ›anderen‹ wahrnehmen und sich auf diese Art und Weise wenigstens seines ›physischen Ichs‹ bewusst werden. Wie nach allen Dingen, die Jack helfen, seinen Mangel an Sein und seine Identitätsprobleme teilweise zu kompensieren, wird Jack süchtig danach, sich mit Tyler als der Spiegelung seines Ich körperlich zu messen, was schließlich zur Gründung des ›Fight Club‹ führt.

Analog zur ›Spaltung des Subjekts im Spiegelstadium‹ übernehmen auch Jack und Tyler verschiedene Funktionen im System des ›Fight Club‹:

Jack »wähnt sich als Knecht, der im Bild seiner Einheit den Herrn zu finden glaubt« (19), wie Gerda Pagel die Bewunderung des Subjekts seinem ›Ideal-Ich‹ gegenüber beschreibt. Jack akzeptiert Tylers Rolle als Anführer des ›Fight Club‹ ebenso, wie das Subjekt die Rolle des Herrschers seinem ›Ideal-Ich‹ zugesteht. Tyler ist jedoch nicht nur der unumstrittene Anführer des ›Fight Club‹, er stellt auch zeitweise für Jack einen Ersatzvater dar, um dessen Anerkennung Jack buhlt. So erfüllt Jack ebenso wie alle anderen Mitglieder des ›Fight Club‹ die Hausaufgaben, die Tyler stellt, ohne dessen Autorität zu hinterfragen, und beschädigt zum Beispiel Autos mit einem Baseballschläger oder beteiligt sich an anderen »destruktiven Akten, die an das rebellische Aufbegehren Halbwüchsiger erinnern« (20), wie Nina Ort diese vandalistischen Aktionen charakterisiert.

Doch der ›Fight Club‹ ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, da Tylers Regeln, die er zu Beginn jedes Treffens verkündet, jegliche Kommunikation unterbinden: »Die erste Regel des Fight Club lautet, ihr verliert kein Wort über den Fight Club! Die zweite Regel des Fight Club lautet, ihr verliert kein Wort über den Fight Club!« (21)

»Aber eine sprachlose Ordnung ist keine symbolische Ordnung« (22), wie Nina Ort diesen Sachverhalt trefflich beschreibt, und so empfindet Jack zwar für kurze Zeit die ritualisierten Kämpfe als Ersatzordnung und kann sich im ›Fight Club‹ ganz der Aggression und Bewunderung hingeben, die er für sein ›Ideal-Ich‹ empfindet, doch der ›Fight Club‹ bietet Jack keine langfristige Lösung für seine Probleme.

Das ›Projekt Chaos‹

So entwickelt sich im weiteren Verlauf der Handlung aus dem ›Fight Club‹ das ›Projekt Chaos‹, das Nina Ort in Where is my mind? wie folgt beschreibt:

»Im ›Projekt Chaos‹ zeigt sich der faschistische Charakter einer Ersatzordnung, in der das Individuum schließlich gar nicht mehr zählt.« (23)

Diese Entindividualisierung sowie der faschistische Charakter des ›Projekt Chaos‹ zeigen sich äußerlich daran, dass alle Mitglieder einheitlich schwarze Kleidung, Springerstiefel und kurze Harre tragen müssen. Auf symbolischer Ebene wird ihnen der Name aberkannt, und Tyler schärft den Mitgliedern ein: »Ihr seid nichts Besonderes«. (24) Wie im ›Fight Club‹ übernimmt Tyler auch hier die Rolle des in seiner Autorität nicht angetasteten Anführers und koordiniert diverse vandalistische Aktionen seiner Terrorarmee, die, wie Nina Ort schreibt, »eine Art ideologiefreien Faschismus« repräsentiert, »der keine eindeutigen Ziele hat, […], als vielmehr die nihilistische und indifferente Vorstellung von Zerstörung« (25).

Die erste Regel, die Tyler für das ›Projekt Chaos‹ aufstellt, lautet: »Es werden keine Fragen gestellt«, und so gibt es zwischen Jack und Tyler in dieser Phase des Films kaum Kommunikation. Dies führt dazu, dass Jack über Tylers zukünftige Pläne nicht informiert ist und sich bezüglich Tylers Aktivitäten fragt: »Welchen Zweck verfolgte er? Welches große Ziel?« (26)

Der Off-Erzähler kommentiert die Situation mit den Worten: »Wir glaubten an Tyler« (27), und beantwortet somit die Frage, warum die Mitglieder des ›Projekt Chaos‹ trotz der mangelnden Kommunikation Tylers Führungsposition nicht in Frage stellen. Dasselbe Phänomen beschreibt Gerda Pagel wie folgt:

Die reale Zerrissenheit kaschierend, tendiert das Subjekt zunehmend dazu, sich auf der Ebene des Imaginären zu situieren, um sich qua kollektiver Identifikation an einem Ideal, Idol bzw. einer Ideologie zu stabilisieren. (28)

Jack zieht es vor, an Tyler und dessen Pläne zu glauben, statt diesen in Frage zu stellen. Diesen Umstand beschreibt Gerda Pagel weiterhin mit den Worten:

Das nach Einssein mit seinem scheinbaren Selbstbild strebende Subjekt verschreibt sich nicht nur dem Zwang, beständig die Flamme seiner Faszination zu entfachen, sondern auch alles Identitätsbedrohende von dieser Faszination fernzuhalten. (29)

Doch wie entwickelt sich diese Spiegelbeziehung am Ende des Films? Löst sich diese Konstellation nach Lacans Theorie schließlich auf, oder bleibt Jack in der Situation der Spiegelung verhaftet?

Jack bricht mit Tylers Werten

Bevor Jack sich der Tatsache bewusst wird, dass Tyler eine von ihm geschaffene Projektion ist, definiert er zunächst seine Position gegenüber Tyler neu. Ein Schlüsselmoment dafür, dass Jack Tylers destruktiver und entindividualisierender Philosophie nicht länger folgen will, findet sich in der Szene, in der die Mitglieder des ›Projekt Chaos‹ nach einem vandalistischen Auftrag einen Toten, Robert Paulson, den Jack in einer Selbsthilfegruppe als ›Bob‹ kennen gelernt hat, mit nach Hause bringen und diesen als ›Beweis‹ für ihre Tat im Garten vergraben wollen. Auf Jacks Einwand hin, Bob sei kein »Beweisstück«, sondern »ein Mensch, er ist mein Freund«, erwidert ihm eines der Mitglieder: »Aber Sir, wir, wir haben beim Projekt Chaos keine Namen« (30). An diesem Punkt bricht Jack mit Tylers Werten und bekennt sich zu eigenen: »Das ist ein Mensch, und er hat einen Namen. Er heißt Robert Paulson, ok!« (31) Jack stellt eigene Regeln auf und gibt dem Toten in einem symbolischen Akt seine Individualität wieder. Ironischerweise werden Jacks Worte unverzüglich von allen Mitgliedern des ›Projekt Chaos‹ aufgegriffen und monoton wiederholt, was Jack dazu veranlasst, über seine Position innerhalb der Gruppe nachzudenken.

Jacks Moment der Erkenntnis

Anschließend an diesen Bruch mit Tyler durchläuft Jack einen Prozess der Erkenntnis, an dessen Ende er sich bewusst ist, Tyler als sein ›Ideal-Ich‹ selbst geschaffen zu haben. Dieser gestaltet sich in drei Schritten, auf die ich nun eingehen möchte.

Aufgrund seines ersten Verdachts und der Tatsache, dass er Tyler nicht finden kann, durchsucht Jack das Haus und findet Flugtickets von Tyler. Er fliegt die Städte ab und zieht auf der Suche nach Tyler durch die dortigen Bars, es darf ihm auf seine Frage nach Tyler Durden jedoch niemand antworten und Jack fragt sich schließlich: »Ist Tyler mein Albtraum, oder bin ich seiner?« (32) Seine Reise durch die Städte kommt Jack wie ein »Zustand permanenter Dejavues« (33) vor, und ständig hat er das Gefühl, dass er »immer genau einen Schritt hinter Tyler« (34) ist, wie der Erzähler dem Zuschauer mitteilt. In dieser ersten Phase kann Jack seinen Verdacht, dass er zeitweise Tyler Durden ist, weder ausschließen noch bestätigen. Dann aber hört Jack in einer Bar auf seine Frage »Was denken sie, wer ich bin?«: »Sie sind Mr. Durden.« (35) Schockiert von dieser Antwort will Jack absolute Sicherheit bezüglich seiner Beziehung zu Tyler haben, und so kommt Marla Singer in der folgenden Szene große Bedeutung zu. Jack kann nur über Marla, die als drittes, nicht gespiegeltes Element zwischen ihm und Tyler steht, zur sicheren Erkenntnis gelangen, und so ruft er sie an. Marla bestätigt ihm, dass sie mit ihm geschlafen hat und nennt ihn schließlich ›Tyler Durden‹. In diesem Moment, in dem Jack sich sicher ist, dass Tyler eine von ihm geschaffene Projektion ist, sitzt dieser ihm in der Ecke des Zimmers gegenüber und spricht die Einsicht, zu der Jack gekommen ist, laut aus: »Du hast einen Weg gesucht, dein Leben zu verändern, und allein hast du es nicht geschafft. All das, was du immer sein wolltest, das bin ich.« (36)

Die Tatsache, dass Jacks ›Ideal-Ich‹ und nicht Jack selbst das sagt, verdeutlicht, wie sehr Jack, trotz dieser Erkenntnis, die die Existenz Tylers negiert, in der Situation der Spiegelung verhaftet ist.

Schlüsselszene im Hochhaus

Die Schlüsselszene im Hochhaus am Ende des Films erlaubt im Rahmen von Lacans Theorie einer ›Spaltung von Auge und Blick‹ interessante Rückschlüsse auf die Spiegelbeziehung zwischen Jack und Tyler.

Zunächst sieht sich Jack als Objekt, auf das Tyler die Waffe richtet, und fühlt sich diesem ausgeliefert. Die Situation lässt sich mit einem Zitat von Slavoj Žižek aus Was sie schon immer über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten beschreiben:

Jede Dualität basiert auf einem Dritten. Das dritte Element ist zur selben Zeit aus der Spiegelbeziehung ausgeschlossen und als ein Fleck, ein Makel, in diese einbezogen. Die Beziehung dreht sich um das Objekt, das die Lücke des Ausschlusses füllt und die Abwesenheit vergegenwärtigt. (37)

In dieser Situation der Dualität zwischen Jack und Tyler stellt die Waffe das dritte, nicht gespiegelte Element dar. Dass sie nur einmal vorhanden ist, realisiert auch Jack schließlich, woraufhin er zu Tyler (bzw. sich selbst) sagt:

»Nein, du bist nicht real, die Waffe ist gar nicht in deiner Hand, die Waffe ist in meiner Hand.« (38) Nachdem er dies ausgesprochen hat, blickt Jack an sich hinunter, der Fokus der Kamera folgt seinem Blick, bis schließlich die Waffe in seiner rechten Hand zu sehen ist.

Nach Lacan lässt sich dies so deuten, dass ›die Waffe Jack anblickt‹, wie folgendes Zitat von Žižek verdeutlicht:

[…] das Sehen, d. h. das Auge, welches das Objekt ansieht, ist auf Seiten des Subjekts, während der Blick auf Seiten des Objekts ist – wenn ich ein Objekt ansehe, blickt mich das Objekt immer schon an. (39)

Jack, der sich zunächst als Objekt wähnte, stellt nach Lacans Theorie das Subjekt dar, welches von dem tatsächlichen und realen Objekt, der Waffe, angeblickt wird. In der nächsten Einstellung sieht man nun Tyler, der dahin blickt, wo aus Sicht des Zuschauers Jack die Waffe halten müsste. Der Fokus der Kamera folgt Tylers Blick jedoch nicht, die Waffe ist nicht zu sehen. Daraufhin blickt Tyler, der Jack gegenüber sitzt, auf seine linke Hand, die offensichtlich leer ist, und verstärkt durch ein kurzes Zucken der Hand den Eindruck der Abwesenheit der Waffe. Lacans Theorie zufolge ist Tyler kein Subjekt, da er nicht von dem Objekt, der Waffe, angeblickt wird, sondern nur von seiner eigenen leeren Hand. Dies unterstreicht die bisherige Illustration des Spiegelstadiums anhand der Figuren Jack und Tyler, da dadurch Tylers Subjekthaftigkeit in Frage gestellt wird.

Erwähnenswert ist auch, dass Jack und Tyler sich gegenüber sitzen und Jack die Waffe in der rechten Hand hält, Tyler sich jedoch auf die Linke blickt, was die Theorie der Spiegelung auch visuell zu bestätigen scheint. Anschließend richtet Jack die Waffe an seinen Kopf und die folgende Situation lässt sich insofern als paradox beschreiben, als dass Jack so handelt, weil er sich einerseits bewusst ist, dass Tyler seiner Imagination entstammt, und er andererseits glaubt, dass er, um Tyler los zu werden, diesen ein letztes Mal wahrnehmen muss, und so sagt Jack, kurz bevor er sich in die Wange schießt: »Meine Augen sind offen.« (40) und blickt Tyler an.

Löst sich die Spiegelbeziehung?

Löst sich die Spiegelbeziehung zwischen Jack und Tyler am Ende des Films? Kann man Jack als ›geheilt‹ ansehen?.

Einerseits lässt sich argumentieren, dass Jack die Beziehung zu Tyler erfolgreich abbricht, wie Nina Ort Jacks Entscheidung, Tyler in einem symbolischen Akt zu erschießen, als »Selbstkastration« deutet, »mit der sich der Ödipuskomplex vollendet und sich die symbolische Ordnung erschließt« (41). Diese Interpretation beinhaltet, dass Jack Tyler nicht als Rivalen, sondern als ›groß Anderen‹ wahrnimmt, der vergleichbar der symbolischen Ordnung Regeln und Gesetz einführt und die Begehrenssituation reguliert, und es ihm deswegen möglich ist, selbst Regeln aufzustellen:

[…] die erste Regel lautet: Du, Tyler Durden, bist meine Imagination, die ich als solche anerkenne, um dadurch eine symbolische Ordnung schaffen zu können. (42)

Nina Ort stützt diese Interpretation mit der Tatsache, dass Jack, weil er sich den Bereich des Symbolischen erschlossen hat, in der Lage ist, die Geschichte des Films als Off-Erzähler in Form einer Rückblende zu erzählen. Dass Jack nach der symbolischen Ermordung Tylers als ›geheilt‹ angesehen werden kann, entspräche auch folgendem Zitat von Gerda Pagel über eine mögliche Beendigung des Spiegelstadiums:

So scheint, – […] – der aus der Koexistenz von Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit, von Herrschaft und Knechtschaft resultierende Konflikt nur im Tod des einen seine Lösung zu finden. (43)

Andererseits kann man dagegenhalten, dass das Imaginäre, welches Tyler Durden im Film personifiziert, einen immer vorhandenen Bestandteil des menschlichen Lebens darstellt. Wie Gerda Pagel ebenfalls erklärt, geht es Lacan mit seiner Theorie des ›Subjekts im Spiegelstadium‹

[…] weniger um das Problem des Ursprungs als um jene ambivalente Struktur, die das Sein des Menschen bestimmt und die ein ganzes Leben lang von diesem eine permanente Antwort zu erheischen sucht. Um diese Struktur zu verdeutlichen, entwarf er die Spiegeltheorie […] (44)

Aber welche dieser beiden Interpretationen ist zutreffend? Hat sich die Spiegelbeziehung am Ende des Films gelöst, oder nicht? Kann man die letzten Szenen so deuten, dass Jack ›geheilt‹ ist? Die ›Richtigkeit‹ der oben genannten Deutungen und mit ihr die Antwort auf diese Fragen hängt von der Ebene ab, auf die man sie bezieht:

Auf Ebene des Films kann man die erste Interpretation anwenden. Jack hat sich von Tyler als Personifikation seines Unbewussten gelöst und er ist somit als ›geheilt‹ zu bezeichnen.

Bezieht man die Frage jedoch auf die theoretische Ebene und weitet den Kontext über die im Film dargestellte Handlung hinaus aus, so ist die zweite Interpretation zutreffend. Da das Spiegelstadium die Veranschaulichung zahlreicher identifikatorischer Prozesse darstellt, die das Subjekt im Laufe seines Lebens auf verschiedene Arten und Weisen durchläuft, ist ersichtlich, dass Imagination und Unbewusstes nicht wegzudenkende Bestandteile des menschlichen Lebens sind. Jack ist zwar von Tyler Durden geheilt, aber das Unbewusste, das Tyler im Film personifiziert, lässt sich ebenso wenig aus dem Leben des fiktiven Jack wegdenken wie aus dem realen Leben.


Literaturverzeichnis

Ort, Nina: »Where is my Mind? Where is my Mind? Where is my Mind? Zur Popularität des Films Fight Club in der Postmoderne.« In: Wie im Film. Zur Analyse populärer Medienereignisse. Hrsg. Von Bernd Scheffer, Oliver Jahraus. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2004. S. 101 – 116.

Pagel, Gerda: »Jacques Lacan zur Einführung.« 4., verbesserte Auflage. Hamburg: Junius Verlag 2002.

Žižek, Slavoj, Dolar, Mladen u.a.: »Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten.« Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2002.


Fußnoten

Fight Club: 38:04 min. (zurück)

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Fight Club: 04:17 min. (zurück)

Fight Club: 04:36 min. (zurück)

Fight Club: 05:07 min. (zurück)

Fight Club: 03:45 min. (zurück)

Pagel, Gerda. »Jacques Lacan zur Einführung.« 4., verb. Auflage. Hamburg: Junius Verlag 2002. S.33. (zurück)

Fight Club: 22:55 min. (zurück)

Fight Club: 28:55 min. (zurück)

Fight Club : 29:57 min. (zurück)

Fight Club : 30:56 min. (zurück)

Pagel (Anm. 7), S.26. (zurück)

Ort, Nina: »Where is my Mind? Where is my Mind? Where is my Mind? Zur Popularität des Films Fight Club in der Postmoderne.« In: Wie im Film. Zur Analyse populärer Medienereignisse.Hrsg. von Bernd Scheffer, Oliver Jahraus. Bielefeld: Aisthesis 2004. S. 101 – 116. (zurück)

Fight Club : 01:04:20 h. (zurück)

Fight Club : 56:51 min. (zurück)

Fight Club : 51:10 min. (zurück)

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Pagel (Anm. 7), S.27. (zurück)

Ort (Anm. 13), S. 111. (zurück)

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Ort (Anm. 13), S. 107. (zurück)

Ort (Anm. 13), S.108. (zurück)

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Pagel (Anm. 7), S. 34. (zurück)

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Žižek, Slavoj, Dolar, Mladen u.a.: »Was Sie immer schon über Lacan wissen wollten und Hitchcock nie zu fragen wagten.« Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2002. S. 31. (zurück)

Fight Club : 02:06:50 h. (zurück)

Žižek (Anm. 37), S. 49. (zurück)

Fight Club : 02:07:54 h. (zurück)

Ort (Anm. 13), S. 116. (zurück)

Ort (Anm. 13), S. 116. (zurück)

Pagel (Anm. 7), S. 27. (zurück)

Pagel (Anm. 7), S. 30. (zurück)



Verfasserin: Laura Talkenberg, veröffentlicht am 11.04.2007

 

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