Neuerscheinungen / Computerspiele / Geschichte


Julian Kücklich

2002: The year we make contact
Vier neue Bücher über Computerspiele


Lange Zeit herrschten zwischen den Kulturwissenschaften und dem Bereich der Computer- und Videospiele Berührungsängste. Die außerirdischen Invasoren, die sich eines Tages in den 60er Jahren auf die Erde gebeamt hatten, erschienen einfach zu fremdartig, um Teil unserer Kultur sein zu können. Ein paar mutige Außenseiter, meist belächelt von Kollegen und Freunden, wagten sich trotzdem an die Materie, und nun, fast 40 Jahre später, scheint ein Kontakt zwischen Geisteswissenschaften und Games tatsächlich möglich. Stanley Kubrick hat sich um ein Jahr verschätzt. 2002 ist das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. Dies belegen nicht nur Konferenzen wie Playing with the Future und Computer Games and Digital Cultures und die großangelegte Ausstellung Game On in der Londoner Barbican Gallery, sondern auch eine Reihe von Neuerscheinungen, die sich ernsthaft mit Computerspielen beschäftigen. Anders als die Vielzahl von pädagogischen Arbeiten zu diesem Thema geht es hier nicht - oder nur in zweiter Linie - um das Gewaltpotenzial dieser Spiele, sondern um eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik dieses neuen Mediums. Vier Titel, zwei englischsprachige und zwei deutsche, sollen hier vorgestellt werden.

The Medium of the Video Game Das erste dieser Bücher, herausgegeben von Mark J.P. Wolf, heißt schlicht The Medium of the Videogame und versammelt Beiträge zur Geschichte, formalen Aspekten und kulturellen Auswirkungen des Videospiels. Die Ausrichtung des Bandes ist durchgehend amerikanisch, Exkurse zu europäischen und japanischen Entwicklungen sucht man vergeblich. Dies betrifft neben den betrachteten Spielen auch die wissenschaftliche Literatur, auf die sich die Autoren beziehen. Dies ist insofern bedauerlich, als viele der interessanteren Beiträge zu dieser Materie in den letzten fünf Jahren aus Europa kamen, insbesondere aus den skandinavischen Ländern. Die Fokussierung der amerikanischen Forschung ist aber andererseits aus europäischer Perspektive gerade deswegen interessant, weil die Diskussion diesseits des Atlantiks sich in den letzten Jahren zunehmend verselbständigt hat. Insofern dürfte sich der Anhang des Buches, der einen Überblick über verschiedene Quellen für die Erforschung von Videospielen gibt, als unentbehrlicher Führer durch dieses expandierende Gebiet erweisen.

Für das Vorwort des Bandes konnte Ralph Baer gewonnen werden, der Erfinder der ersten Videospiel-Konsole - allerdings macht Baer selbst darauf aufmerksam, dass dieser Titel nicht unumstritten ist. Dies weist bereits darauf hin, dass die Frühzeit der Videospiele weitgehend im Dunkeln liegt. Diesem Umstand versuchen Mark J.P. Wolf und Steven L. Kent in den ersten beiden Kapiteln abzuhelfen. Wolf geht es zunächst darum, den Untersuchungsgegenstand mittels technischer Charakteristika einzugrenzen, wobei er bemüht ist, sämtliche nur denkbaren Darstellungstechniken und "Darreichungsformen« - vom Spielautomaten bis zum handheld - miteinzubeziehen. Allerdings gelingt es Wolf trotz dieses Detailreichtums nicht, Computer- bzw. Videospiele schlüssig zu definieren. Sein größtes Verdienst in diesem Abschnitt ist wohl die Nachzeichnung einer Entwicklungslinie, die von den münzbetriebenen Unterhaltungsautomaten der 30er und 40er Jahre zu den ersten kommerziellen Videospielautomaten (Computer Space, 1971) führt. Dabei macht er auch darauf aufmerksam, inwiefern die Ästhetik der ersten Computerspiele diese dazu prädestinierte, ein integraler Bestandteil der Populärkultur der 70er Jahre zu werden. Dieser Einfluss filmischer Formensprache rechtfertigt auch Wolfs theoretischen Ansatz, der seine Methoden im wesentlichen den film studies verdankt.

In dem darauf folgenden Überblick über die Geschichte des Genres erweist sich Steven L. Kent als kenntnisreicher Chronist der gerade mal 40 Jahre jungen Ära der Videospiele. Der Erfindung des ersten Computerspieles - Steven Russells Spacewar! - räumt er (zu Recht) viel Raum ein, aber auch Klassiker wie PONG, Space Invaders und Pac-Man kommen nicht zu kurz. Dabei achtet Kent darauf, die technische und die inhaltliche Entwicklung aufeinander zu beziehen, um die enge Wechselwirkung dieser Bereiche deutlich zu machen. So macht er etwa darauf aufmerksam, dass erst die Umstellung von öffentlichen Spielautomaten auf Spielkonsolen dazu führte, dass Spiele eine Handlung entwickelten. Während die Automatenaufsteller darauf aus waren, dass das Spiel so lange wie möglich dauerte, ging es den Herstellern von Konsolenspielen darum, die Spiele so zu gestalten, dass sie bald ausgereizt waren, und die Anschaffung eines neuen Spiels nötig wurde. Dies alles hat man so oder so ähnlich auch schon bei Steven Poole oder J.C. Herz gelesen, aber das ändert nichts daran, dass der Beitrag gut recherchiert und ansprechend geschrieben ist - ein idealer Einstieg in die Geschichte der Videospiele.

Die nächsten vier Kapitel sind den formalen Aspekten von Videospielen gewidmet, unterteilt in die Abschnitte "Raum", "Zeit", "Handlung" und "Genres". Hier erweist sich Wolf als ein Linné der Videospiel-Fauna, der unermüdlich seziert und klassifiziert. So unterscheidet er etwa elf verschiedene räumliche Strukturen, die in Computerspielen vorkommen, wobei Sonderformen wie nicht-euklidische Räume noch gar nicht mitgezählt sind. Nicht ganz so systematisch, aber immer noch methodisch stringent präsentiert sich das Kapitel über die Zeit in Videospielen. Dabei beleuchtet Wolf unter anderem die Aspekte Stillstand und Bewegung, Wiederholungen und Zyklen sowie Spielzeit und "echte Zeit". Diese Genauigkeit ist manchmal ermüdend, aber oft auch erhellend, zum Beispiel wenn der Autor darauf aufmerksam macht, dass die Zeitlichkeit von Spieler und Spiel häufig miteinander in Konflikt geraten, während dies in nicht-interaktiven Medien wie Film oder Roman nur selten der Fall ist. Wolf bemüht sich sichtlich um eine sachliche und analytische Sprache, um sich von populärwissenschaftlichen Büchern zu diesem Thema abzusetzen. Obwohl dies sicher zur Akzeptanz der game studies beitragen wird, lesen sich manche Passagen so zäh, dass man sich manchmal wünscht, dem Buch läge zur Auflockerung eine CD mit den beschriebenen Spielen bei.

Dies gilt auch für das Kapitel über die Handlung von Videospielen, in dem Wolf sich als Narratologe Proppscher Prägung entpuppt. Zwar erspart Wolf dem Leser kryptische Strukturformeln und Diagramme, doch wenn er von "narrativen Rollen und Funktionen" spricht, fühlt man sich in den Einführungskurs Literaturwissenschaft versetzt. Hier vermisst man nun doch die nähere Auseinandersetzung mit der außeramerikanischen Forschung auf diesem Gebiet, wo das strukturalistische Paradigma und die naive Gleichsetzung von Videospielen mit Märchen nun langsam überwunden scheint. Bemerkenswert ist immerhin, dass Wolf die langewährende Debatte über die Vereinbarkeit von Interaktivität und Narrativität mit keinem Wort erwähnt und einfach vier Lösungen skizziert, die zwar nicht revolutionär, aber praktikabel sind. Hier erweist sich die Immunität seines pragmatischen Ansatzes gegenüber theoretischen Spiegelfechtereien als dessen große Stärke. Insofern eignet sich die formale Theorie des Videospiels, die Wolf vorlegt, für Untersuchungen von Spielen, bei denen man ohne ein umfangreiches theoretisches Instrumentarium zu schnellen Ergebnissen kommen will. Da die Entwicklung einer eigenen Terminologie der game studies noch in den Kinderschuhen steckt, muss dies zumindest als ein erster Schritt in diese Richtung gewürdigt werden. Das Kapitel über Videospiel-Genres schließlich zeichnet sich durch unübertroffenen Klassifikationseifer aus, ohne dabei etwas wirklich Neues zu leisten.

Der Beitrag von Rochelle Slovin über eine Videospiel-Ausstellung im American Museum of the Moving Image (AMMI) im Jahr 1989 ist vor allem deshalb interessant, weil dort die Frage aufgeworfen wird, welche Verbindungen sich zwischen den klassischen Bewegtbildmedien Film und Fernsehen einerseits und Computer- und Videospielen andererseits herstellen lassen. Ein weiterer wichtiger Aspekt, auf den Slovin aufmerksam macht, ist die Tendenz der Kulturwissenschaften, nur die Inhalte von Videospielen zu betrachten. Die Autorin spricht sich dafür aus, den Kontext der Spiele - etwa die Gestaltung von Spielautomaten, Eingabegeräte und Merchandising-Produkte - stärker als bisher in die Untersuchung miteinzubeziehen. Den eigentlichen Höhepunkt des Buches bildet jedoch der Beitrag von Charles Bernstein, der ursprünglich im Katalog zu der AMMI-Ausstellung erschien. Obwohl dieses Essay nun bereits dreizehn Jahre alt ist, hat es kaum etwas an Aktualität eingebüßt. Eher ganz im Gegenteil: manche der Fragen, die Bernstein behandelt sind heute aktueller denn je. So weist Bernstein etwa darauf hin, dass Videospiele eine künstliche Ökonomie des Mangels in einem Medium des Überflusses schaffen. Das Ineinandergreifen dieser Ökonomien beeinflusst nicht nur die Formen, sondern auch unsere Wahrnehmung des Mediums - und damit das Medium selbst. Die darauf aufbauende Herausarbeitung des Zusammenhangs zwischen dem "Unbewussten" des Computers und seinen Manifestationen auf dem Bildschirm kommt der Einlösung des Versprechens, das der Titel des Buches gibt, von allen Beiträgen am nächsten - sie leistet eine Bestimmung des Videospiels als eigenständiges Medium.

Spielplatz ComputerDas zweite Buch kommt aus Deutschland, eine Tatsache, die allein schon deshalb bemerkenswert ist, weil eine ernsthafte öffentliche Debatte über dieses Thema hierzulande bisher kaum stattfand. Im Untertitel präsentiert sich Konrad Lischkas Spielplatz Computer als Überblick über die "Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels", wobei es zunächst die Geschichte des Mediums ist, die im Vordergrund steht. In seiner Vorbemerkung begründet Lischka dies vor allem damit, dass eine informierte Debatte nur "mit ein wenig Kenntnis der Entwicklung von Computer- und Videospielen" möglich ist. Wenn man sich manche Beiträge zur jüngsten Diskussion um die Indizierung von Counterstrike in Erinnerung ruft, kann man dem nur aus vollem Herzen zustimmen.

In der Nachzeichnung der Entwicklung der Computerspiele von William Higinbottoms Tennis for Two - auch er einer der vielen Väter des Videospiels - bis zu Peter Molyneux' Black & White sind es vor allem die kleinen Geschichten dieser Geschichte, die Lischka interessieren. Nur wenige dieser Geschichten sind wirklich neu, aber sie sind meist gut und kenntnisreich erzählt, so dass es Vergnügen bereitet, die bekannten Fakten noch einmal zu lesen. Für Anfänger im Fach Videospielgeschichte wird der Band ohnehin zur Pflichtlektüre werden. Was Lischkas historischen Überblick von ähnlichen Werken aus dem angloamerikanischen Raum abhebt, sind die Exkurse zu europäischen Sonderwegen, etwa dem ungeheuren Erfolg des Commodore 64, der in Büchern aus den USA meist nur in einer Fußnote erwähnt wird. Desweiteren begreift Lischka Videospiele - anders als etwa Mark Wolf - als popkulturelles Phänomen, das sich nicht ohne weiteres außerhalb seines kulturellen Kontexts analysieren lässt. Diese Herangehensweise lässt es auch verzeihlich erscheinen, dass die Interpretation des gesammelten Faktenmaterials stellenweise etwas bemüht wirkt. Theoretische Einsprengsel wie der Exkurs zu Johan Huizingas Homo Ludens wirken wie Fremdkörper und werden auch im weiteren Verlauf nicht für die Analyse genutzt.

Anders als andere Theoretiker unterscheidet Lischka zwischen Video- und Computerspielen, obwohl auch er nicht erklären kann, worin nun genau der Unterschied besteht. Diese Diskussion dauert nun schon längere Zeit an und wird wohl auch nicht so bald entschieden werden. In dem Kapitel "Computerspiele" geht es dem Autor jedenfalls in erster Linie um eine Abgrenzung nach Genres, wobei auch dies nicht ganz schlüssig erscheint. Die Charakterisierung der einzelnen Genres ist jedoch weitgehend gelungen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Lischka die "gewachsenen" Genrebezeichnungen verwendet, die auch in Spiele-Zeitschriften zur Einteilung benutzt werden. Störend wirken hier allenfalls strapaziöse Bezüge auf postmoderne Theorie, wie etwa die Bezeichnung der Anfangssequenz von Space Quest 3 als "popkulturellen Verweishaufen". Auch die Abgrenzung von Simulations- und Actionspielen anhand des Kriteriums der Raumerfahrung ist nicht nachvollziehbar, insbesondere deshalb, weil Lischka Spiele wie MS Flight Simulator den Actionspielen zurechnet. Brillant sind hingegen die bildlichen Gegenüberstellungen verschiedener Versionen eines Spiels, die oft mehr über die Geschichte des Videospiels erzählen als die Ausführungen des Autors. Damit soll aber die Leistung Lischkas nicht geschmälert werden. Seine Klassifikation ist schlüssig und beweist eine intensive Auseinandersetzung mit der Materie, die man bei anderen Beiträgen zu diesem Thema oft vermisst.

Lischka unterscheidet jedoch nicht nur zwischen Computer- und Videospielen, sondern auch zwischen Offline- und Online-Spielen. Dies ist angesichts der rasanten Entwicklung der Online-Spiele in den letzten fünf Jahren nur konsequent und spiegelt eine Tendenz, die bei historischen Abrissen älteren Datums - etwa J.C. Herz' Joystick Nation aus dem Jahr 1997 - noch nicht einmal erwähnt wird. Es steht zu erwarten, dass die neueste Spielkonsolen-Generation, deren Geräte über Internet-Anschlüsse verfügen, auf diesem Sektor zu einem noch stärkeren Wachstum führen wird, so dass dieses Thema eigentlich in keinem aktuellen Überblick über dieses Gebiet fehlen darf. Auch hier zeigt Lischka seine Stärken in der Nachzeichnung spezifisch europäischer Entwicklungen, denn das erste MUD (Multi User Dungeon) entstand 1978 an der britischen Universität Essex. Zwar entstanden kurz später auch jenseits des Atlantiks solche textbasierten Online-Rollenspiele, aber die britische Variante hat sich ihre Eigenständigkeit bis auf den heutigen Tag bewahrt. Neben der Herausarbeitung dieser interessantenten Sonderentwicklung besteht das Verdienst des Autors vor allem darin, auf die wichtige Rolle des sozialen Kontextes von Videospielen aufmerksam zu machen. Die Vorstellung des durch exzessives Spielen am Computer völlig von der Realität isolierten Kindes, die von besorgten Pädagogen immer wieder in die Diskussion gebracht wird, entpuppt sich vor diesem Hintergrund als paranoide Vision uninformierter Technikfeinde.

Dieses Beharren auf dem Spiel als inhärent soziale Aktivität prägt auch das Kapitel "Vom Wesen des Spiels". Dabei erhält die eingehende Diskussion der "Gewaltfrage" vor dem Hintergrund des Amoklaufs von Erfurt eine vom Autor sicher nicht beabsichtigte Aktualität. Es spricht für die Qualität seiner Argumentation, dass sie sich auch nach diesen Ereignissen, die zu einer Sensibilisierung für dieses Thema geführt haben, noch schlüssig liest. Dies liegt sicherlich daran, dass Lischka nicht versucht, jegliche Kausalitätsbeziehungen zwischen gewalttätigen Spielen und aggressivem Verhalten zu leugnen. Er macht lediglich darauf aufmerksam, dass dies immer nur ein Faktor unter vielen sein kann und dass sich die Kausalität ohne weiteres umkehren lässt: "Der Mensch spielt aggressive Spiele, weil er aggressiv ist." Und Lischka setzt sich dafür ein, nicht die Symptome, sondern die Ursachen für die Gewalt in der Gesellschaft zu bekämpfen. Exzessiven Konsum von medialer Gewalt rechnet er dabei ganz klar dem Bereich der Symptome zu.

Ähnlich differenziert geht Lischka das Thema Geschlechterrollen und Computerspiele an. Er kritisiert zu Recht die von dem Pädagogen Eugene Provenzo verwendete Methode der Analyse von Spielbeschreibungen, statt die eigentlichen Spiele zu betrachten. Dieser Ansatz steht stellvertretend für die Herangehensweise einer Generation von Wissenschafttlern, die ganze Bücher über Videospiele verfassten, ohne je eines gespielt zu haben. Lischka räumt mit dem Vorurteil auf, dass Lara Croft der erste weibliche Videospielcharakter war, und weist darauf hin, dass Sexismus im Auge des Betrachters liegt. Diese konstruktivistische Betrachtung ist erfrischend undogmatisch, auch wenn es ein wenig naiv wirkt, wenn der Autor darauf vertraut, dass Videospiele durch den Gegensatz zwischen Identität und Spielidentität ganz von selbst zu einer Dekonstruktion von Rollenklischees beitragen. Sein Plädoyer für eine Loslösung von der überkommenen Vorstellung einer binären Geschlechteropposition ist jedoch insofern nachvollziehbar, als sich erste Tendenzen in diese Richtung etwa in Online-Rollenspielen bereits abzeichnen.

In seinem abschließenden Kapitel über die akademische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Computer- und Videospielen gibt Lischka zwar keinen umfassenden Überblick über die Forschungslage, aber mit Henry Jenkins vom MIT und Espen Aarseth, dem Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift Game Studies, sind die jeweiligen Protagonisten dieser jungen Wissenschaft in den USA und in Europa benannt. Zudem arbeitet er die Gründe für die eingangs erwähnten Berührungsängste zwischen Geisteswissenschaften und Computerspielen heraus, die natürlich vor allem in der Unterscheidung zwischen Hochkultur und Populärkultur liegen. Lischka zeigt aber auch auf, weshalb es lohnend sein könnte, sich wissenschaftlich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Nicht nur erzählen die meisten Videospiele Geschichten über das Verhältnis von Mensch und Technik, sie beeinflussen auch die große Erzählung des 20. Jahrhunderst in enormem Maße - das Kino. Die Untersuchung der ästhetischen Wechselwirkung zwischen Videospiel und Film am Beispiel Black & White bildet den Abschluss dieses Kapitels. Der Schöpfer von Black & White, Peter Molyneux, hat es sich nicht nehmen lassen, einen zweiseitigen Ausblick für das Buch zu verfassen, in dem er künftige Entwicklungen im Bereich der elektronischen Unterhaltung skizziert. Wie es mit den Videospielen weitergeht, wird hier aber nicht verraten.

Der gute Gesamteindruck wird lediglich durch die häufigen Druckfehler sowie die Zitierweise des Autors getrübt, bei der sich der Leser die Quellen selbst suchen muss. Es entsteht überhaupt der Eindruck, als habe sich das Lektorat darauf beschränkt, den Text abzunicken, da auch die Streichung mancher offensichtlich unnötiger Passagen das Buch insgesamt stringenter erscheinen hätte lassen. Der Vergleich von Activisions Firmenstrategie mit Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer" hätte etwa genauso dem Rotstift des Lektors zum Opfer fallen müssen wie die Bezüge zwischen Space Quest und dem Vietnamkrieg. Und schließlich hätten einem aufmerksamen Korrekturleser auch kleine Unstimmigkeiten wie die Bezeichnung von Borges' Erzählung "El jardín de senderos que se bifurcan" als "Roman" ins Auge fallen müssen. Wenn der Verlag dem Autor dann noch ein paar farbige Seiten für die Abbildungen spendiert hätte, wäre an dem Band nichts auszusetzen gewesen. Aber auch so ist es ein gelungenes und lesenswertes Buch geworden.

Wir waren Space InvadersMathias Mertens und Tobias O. Meißner sind 1971 bzw. 1967 geboren und sie sind deshalb wie viele ihrer Generation in einem Paralleluniversum aufgewachsen, der Welt von C64 und Amiga, Datasette und Resetknopf, Peeks und Pokes, in der Welt von Elite, Boulder Dash, Impossible Mission und Summer Games. Ihr Buch Wir waren Space Invaders ist für Leute geschrieben, bei denen diese Namen und Begriffe nostalgische Gefühle auslösen und das Buch selbst ist vor allem ein Versuch, einem Lebensgefühl nachzuspüren, das in den 80er Jahren seine Blütezeit hatte und nun trotz aller Revivalversuche zur abandonware geworden zu sein scheint. Eine Suche nach der verlorenen Zeit also und ein Versuch, die Parallelwelten der frühen Heimcomputerspiele in ihrer Vielschichtigkeit und Vielfalt zu kartographieren. Hier ist unübersehbar, dass Computerspiele im kulturellen Gedächtnis unserer Zeit einen zentralen Platz einnehmen und noch etwas anderes wird deutlich: Videospiele haben ein Geschichtsbewusstsein. Während Autoren wie Konrad Lischka darüber lamentieren, dass die Original-Hardware der 70er und 80er Jahre mittlerweile zu haarsträubenden Preisen an Sammler verkauft wird, und die mangelnde Authentizität von Emulatoren bemängeln, gelingt es Mertens und Meißner aufzuzeigen, dass in der Welt der Computerspiele nie etwas für immer verloren geht.

Dem liegt natürlich ein anderes Geschichtsverständnis zu Grunde, als das von Lischka oder auch Steven L. Kent. Zwar erzählt Mathias Mertens die Geschichte der Computerspiele in Wir waren Space Invaders von Anfang an und bezieht auch junge Spiele wie Tomb Raider IV mit ein, doch dabei lassen die "Zwischenspiele" von Tobias Meißner den Gedanken an Linearität gar nicht erst aufkommen. So gelingt es den beiden, Beziehungen zwischen den Anfängen und der Gegenwart herzustellen, die darauf hinweisen, dass sich alles wiederholt. Dabei sind die Autoren weit entfernt von der Früher-war-alles-besser-Mentalität der Spieleveteranen, die sich in den eigens dafür eingerichteten Kanälen des Usenet über das mangelnde gameplay aktueller Spiele ausheulen. Aber sie heißen auch nicht unbesehen alles gut, was im Gewand von immer realistischeren Texturen, noch mehr Polygonen und schnelleren game engines daherkommt. Ihr analytischer Blick ist beispielsweise scharf genug, in The Sims das Spielprinzip des C64-Klassikers Little Computer People wiederzuerkennen und in Pokémon das Baukastenprinzip von Mail Order Monsters.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das Geschichtsmodell der Autoren eigentlich ein zirkuläres ist. Bewährte Spielprinzipien werden neu aufgelegt, alte Spiele werden in neue eingebettet (wie etwa in M.U.L.E.) und das Retro-Design von Vib-Ribbon für die Playstation nimmt Anleihen an der Vektor-Ästhetik von BattleZone. Das Buch ist daher auch eher eine Best-of-Liste als eine Geschichte im klassischen Sinne, obwohl auch hier die Mythen der Computerspiel-Gründerzeit noch einmal nacherzählt werden. Aber im Nacherzählen besteht ja auch der Sinn von Mythen. Dies haben offensichtlich auch die Autoren begriffen, denn während einerseits der Schöpfungsmythos von Pong in schönster dekonstruktivistischer Manier demontiert wird, werden andere magische Momente - etwa die Geburt Pac-Mans aus der Pizzaschachtel - unhinterfragt weiterkolportiert. Dies sollte man den Autoren jedoch nicht als Inkonsequenz auslegen, denn schließlich geht es ja nicht um Fakten, sondern um Gefühle. Wir waren Space Invaders ist daher zuallererst eine subjektive Geschichte, stellenweise auch eine Liebesgeschichte zwischen Mensch und Maschine. Machen sich Mertens und Meißner zu Beginn noch über Ralph Baers libidinöses Verhältnis zu seinem Fernseher lustig, heißt es knapp hundert Seiten später: "Spiele hielten uns fest in dieser Anordnung vor dem Computer, machten ihn zunächst zu einer Erweiterung unserers Körpers, dann zu unserem Körper selbst." Wohlgemerkt geht es dabei um Körper-Teile, die lustvoll mit dem joystick bedient werden wollten.

Aber in diesem Zitat klingt noch etwas anderes an, was für die Aufarbeitung des Materials in diesem Buch charakteristisch ist: der legere Umgang der Autoren mit Medientheorie. Begriffe wie "mediales Dispositiv", "Extension" und die unentbehrlichen Huizinga-Zitate sind mit leichter Hand in die "Geschichten vom Computerspielen" (Untertitel) eingearbeitet und wirken dort nur selten deplaziert. Diese respektlose (aber nicht despektierliche) Art der Behandlung von Foucault und McLuhan ist eine der großen Stärken des Buches, weil sie dem Leser medienwissenschaftliche Begriffe an die Hand gibt, die er sich sonst durch mühevolles Studium erarbeiten müsste. Gleichzeitig wirken die Zitate jedoch wie bloßes Beiwerk, Verzierungen, die in letzter Minute angebracht wurden, um dem Band mehr theoretisches Gewicht zu verleihen. Diese Beliebigkeit wird vor allem diejenigen Leser irritieren, die sich bereits in ihrer eigenen Arbeit mit Medientheorie beschäftigt haben. Störend wirken auch Ausflüge in die Urzeit der Medienwirkungsforschung, wie es etwa anklingt, wenn vom "passiven Sichberieselnlassen vor der Glotze, im Kino oder im Konzertsaal" die Rede ist.

Doch nicht nur hier, sondern auch bei der Betrachtung von Geschlechterrollen ist die Diskussion von Stereotypen geprägt. So heißt es sinngemäß an einer der beiden Stellen, wo überhaupt von weiblichen Spielern die Rede ist, dass nur wenige Frauen sich für das Spielen und die Produktion von Computerspielen interessieren. Als Ausnahme wird Donna Bailey präsentiert: "Sie sorgte mit Pastellfarben dafür, dass Centipede auch für Mädchen interessant wurde." Dieser unreflektierte Umgang mit Klisches ist zwar ärgerlich, aber auf anderen Gebieten machen Mertens und Meißner diese Ausrutscher wieder wett. Gelungen ist beispielsweise die Analyse des Phänomens Tomb Raider, bei der die Autoren herausarbeiten, warum sich Lara Croft als "Rollenmodell für Girlies" genauso eignet wie als Vorbild für "Riot Grrrls, selbstbewusste Backpack-Touristinnen und toughe urbane Karrierefrauen." Der Sex-Appeal Laras funktionierte dabei in erster Linie als trojanisches Pferd zur Erschließung neuer Zielgruppen, während sie im Spiel "nur unser Platzhalter" ist, eine Funktion, die jede andere Figur auch erfüllen könnte.

Brillant ist das Buch vor allem an den Stellen, wo die Autoren die Inhalte der behandelten Spiele auf die zugrunde liegende Technik beziehen. Diese Strategie erinnert an Charles Bernsteins These vom "Unbewussten" des Computers, das sich auf dem Bildschirm manifestiert, nur dass sie hier in eine handfeste Methode zur Analyse von Spielen umgemünzt ist. Dies erweist sich etwa bei der Betrachtung des Nintendo-Klassikers Donkey Kong als fruchtbar, der als "Erzählung von den Möglichkeiten, die sich mit solchen Kästen bieten" interpretiert wird. Mit "Kästen" sind natürlich die ersten Heimcomputer gemeint, die eigentlichen Stars von Wir waren Space Invaders. Denn das Buch ist auch die Geschichte einer medialen Sozialisation, die mit der Ankunft eines allem Nimbus der Hochtechnologie beraubten "Kastens" im Kinderzimmer beginnt. Die ersten selbst geschriebenen Programme wurden aus der Commodore-Zeitschrift 64er abgetippt, der Umgang mit dem Computer wurde immer spielerischer und damit immer natürlicher und schließlich arbeitete man im "Webdesign", in der "Datenbankverwaltung" oder in einer "Online-Redaktion".

Diese Betrachtung von Computerspielen als Erzählungen über die Technologisierung von Welt zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch. Was dabei deutlich wird, ist vor allem die ungeheure Geschwindigkeit, mit der sich Computer unsere kulturellen Codes einverleibt haben. Anfang der 80er Jahre erschien etwa Impossible Mission, bei dem Mertens und Meißner darauf aufmerksam machen, dass es Erfahrungen mit Fernsehserien, Filmen und Computerspielen voraussetzte. Diese Selbstreferenzialität ermöglichte es, dass Computerspiele "von uns und dem Computer erzählen" konnten, dass eine Reflektion der Geschichte des Computers im Spiel möglich wurde. Dies zeigen die Autoren auch durch teilweise aberwitzigen Assoziationen, wie etwa die Verbindung des Goya-Zitats vom "Schlaf der Vernunft" mit der Geburt von Ungeheuern in Doom. Man mag darüber streiten, ob solche Feuilletonismen witzig sind, aber immerhin erfüllt es in Wir waren Space Invaders eine Funktion. Die Nachzeichnung der Verbindungen zwischen MS-DOS und Lemmings gehört jedenfalls zu den Höhepunkten des Buches.

Am Schluss des Bandes steht eine Reflektion über "Unsere düstere Zukunft". Und tatsächlich ist es ja eigentlich unübersehbar, dass Computerspiele überwiegend dystopische Geschichten über die Zukunft erzählen. Der einzige Hoffnungsschimmer besteht darin, dass es in der Hand des Spielers liegt, alles wieder ins Lot zu bringen. Es dräut also doch noch kein apokalytisches Game Over am Horizont. Aber von welcher Realität ist nun eigentlich die Rede? Von der "realen" oder der "virtuellen"? Diese Entscheidung entpuppt sich am Schluss von Wir waren Space Invaders als völlig willkürlich. Computerspiele sind genauso Teil der Wirklichkeit wie andere Medien auch. Und die Realität wird zu einer Option unter vielen, zu einem der unzähligen Paralleluniversen, in denen wir unser Leben verbringen.

Game OnDie Frage nach der "Musealität" von Computerspielen, die in den meisten hier vorgestellten Büchern explizit oder implizit behandelt wird, stellt sich für Lucien King gar nicht erst. King ist der Herausgeber des Begleitbandes zu der bereits erwähnten Ausstellung Game On in der Londoner Barbican Gallery und für ihn ist die Tatsache, dass sich die heiligen Hallen der Museen für Computerspiele öffnen, einfach nur "cool". Dass sich King und seine Kollegen bei der Konzeption der Ausstellung nicht in Grundsatzdebatten verstrickt haben, spiegelt sich in der Gestaltung des Buches wieder, das sich über 140 Seiten in Hochglanzoptik und satten Farben präsentiert. Eine Augenweide für die Leser von Büchern über Videospiele, die sich bisher meist mit grob gerasterten Schwarzweiß-Abbildungen begnügen mussten. Was die Ausstellungsobjekte selbst betrifft, so ist fast alles vertreten, was im Universum der Space Invaders Rang und Namen hat. Ein Original-Computer-Space-Automat aus dem Jahr 1971 gehört genauso zu den Exponaten wie die legendäre Magnavox Odyssey, die mythenumwobene Pong-Konsole und der nostalgieverklärte Commodore 64. Doch die Vielfalt der Hardware verblasst neben der schieren Menge der Spiele, die die Kuratoren aus den entferntesten Ecken der Welt und seit Jahrzehnten nicht mehr betretenen Kellern zusammengetragen haben. Das Spektrum reicht dabei von Spacewar! über Donkey Kong und Mortal Kombat bis hin zu aktuellen Spielen wie Max Payne, Quake III und Black & White.

Thematisch knüpft Lucien Kings Einleitung in etwa dort an, wo Wir waren Space Invaders aufhört. King macht sich darüber Gedanken, wie sich eine Ausstellung über Computerspiele angesichts einer von Kriegen, Not und Vertreibung gezeichneten Welt rechtfertigen lässt. Es ist bezeichnend, dass gerade eine Ausstellung über Spiele unter einem solchen Rechtfertigungszwang steht, während Museen, die anderen Aspekten der Alltagskultur gewidmet sind, meist über jeden Verdacht der Trivialität erhaben sind. King gelingt es jedoch, die Einwände auszuräumen, die gegen die Musealisierung von Spielen sprechen, indem er auf ihren sozialen Aspekt aufmerksam macht. "Spiele," schreibt er, "sind wie Musik, Filme und Theater Erfahrungen, die wir teilen können." Spiele haben daher das Potenzial sowohl zwischen unterschiedlichen Generationen als auch zwischen verschiedenen Kulturen zu vermitteln. Dies macht Game On auch durch die Sammlung einiger Erfahrungsberichte von Spielern aus der ganzen Welt deutlich. So berichtet Gautam Narang etwa über Grand Theft Auto als grenzüberschreitende Erfahrung zwischen Indien und Großbritannien, zwischen Kindheit und Erwachsensein. Mazzi Binaisa aus Uganda beschreibt ihr Verhältnis zu Videospielen als "gegenseitige Hassbeziehung", die sich vor allem darauf gründet, dass sie Spiele als Katalysator sozialer Isolation betrachtet. Alice Taylor beleuchtet die Situation weiblicher Videospieler im Vereinigten Königreich und Jeremy Relph aus den USA beschreibt Computerspiele als Mittel einer gelungenen Resozialisierung.

Genauso vielfältig wie diese Erfahrungsberichte sind auch die theoretischen Artikel, die Game On versammelt. Den Anfang macht Clive Thompson mit einem Beitrag über Gewalt in Videospielen. Auch dieser Artikel gewinnt aus den jüngsten Ereignissen eine gespenstische Aktualität, die dadurch pointiert wird, dass Thompson eine Begegnung mit David Grossman schildert, einem Psychologen, der den Zusammenhang zwischen medialer und tatsächlicher Gewalt für erwiesen hält. Der Autor will Grossmans These auf die Probe stellen, indem er sich mit ihm zum Schießtraining verabredet. Letztendlich sind Thompsons Reflexionen über die Überrepräsentation gewalttätiger Spiele in den Medien, die Bedrohung konventioneller Identitätsmodelle durch Videospiele und die integrierende Kraft von Teamspielen jedoch aussagekräftiger als sein nahezu perfektes Ergebnis beim Zielschießen.

Um den sozialen Aspekt von Computerspielen geht es auch Masuyama, der sich mit Pokémon als Teil der japanischen Kultur auseinandersetzt. Seine kenntnisreiche Nachzeichnung der kulturellen Einflüsse, die dieses Spiel in sich vereint, macht deutlich, wie tief Computerspiele in die japanische Populärkultur eingebettet sind - in der Tat so tief, dass sie zu einem gewissen Grad "unsichtbar" werden. Dieser Unsichtbarkeit wirkt der Autor entgegen, indem er das "nicht-geschlossene" System Pokémon mit dem offenen System Napster und anderen Peer-to-Peer-Anwendungen vergleicht. Laut Masuyama ist es dieser strukturelle Unterschied, der zu einem großen Teil dafür verantwortlich ist, dass zwischen den Spielern ein hohes Maß an Kommunikation stattfindet. Zusammenfassend stellt der Autor fest, dass Pokémon als Hybridprodukt zwischen der japanischen und der westlichen Kultur verstanden werden kann.

Die europäische Computerspielszene ist das Thema des Beitrags von Andreas Lange, dem Direktor des Computerspielemuseums in Berlin. Darin zeigt Lange auf, dass Europa seit den 50er Jahren mehrmals die Chance hatte, die Marktführerschaft im Bereich der elektronischen Unterhaltung zu übernehmen. Dass diese Chancen nicht wahrgenommen wurden, führte zu einer heterogenen Spielkultur, die momentan von Großbritannien, Frankreich und Deutschland dominiert wird. Allerdings haben Spiele aus Finnland (Max Payne), Spanien (Commandos) und der Tschechischen Republik (Hidden and Dangerous) gezeigt, dass mittlerweile auch aus "Resteuropa" Spiele kommen, die sowohl bei der Kritik als auch kommerziell ein Erfolg sind. Die lange als Hindernis begriffene kulturelle Diversität Europas erweist sich dabei immer öfter als ein Vorteil.

Das eigentliche Herzstück des Buches sind jedoch die Artikel von Henry Jenkins, Steven Poole und J.C. Herz. Alle drei haben sich bereits mit Veröffentlichungen zu Computerspielen einen Namen gemacht und allen dreien gelingt es, die damit einhergehenden Erwartungen zu übertreffen. So geht Henry Jenkins in seinem gemeinsam mit Kurt Squire verfassten Beitrag über seine bekannte These hinaus, dass Computerspiele in erster Linie räumlich orientierte Erzählungen sind und behandelt auch bestimmte Raumkonzeptionen aus der bildenden Kunst, die dabei eine Rolle spielen. Seine Beschreibung der Welt von Black & White als "romantische" Landschaft, die die moralischen Entscheidungen des Spielers wiederspiegelt, ist zwar nicht weiter ausgeführt, vermag aber dennoch in ihrer Pointiertheit zu überzeugen. Auch Poole knüpft in seinem Beitrag über die Kunst der Gestaltung von Videospielcharakteren an sein Buch Trigger Happy an, aber mit den Begriffen der "dynamischen" und der "bildlichen" Anziehungskraft, die jeweils auf Nachbarmedien wie Filme und Cartoons bezogen werden, leistet er einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung der Identifikation in Computerspielen.

J.C. Herz porträtiert schließlich die neue Form des digitalen Kapitalismus, die sich im Bereich der Videospiele etabliert hat. Dabei sichert die Einbeziehung der Konsumenten in den Produktionsprozess und die Ausdehnung des Produktionsprozesses selbst den Erfolg des Spiels über Jahre hinweg, ohne dass den Unternehmen dadurch irgendwelche Mehrkosten entstehen. Die "Entlohnung" der Spieler erfolgt in Form von symbolischem Kapital, d.h. der Möglichkeit, in der Welt bestimmter Spiele einen gewissen Status zu erlangen. Dabei nehmen neuere warenästhetische Verfahren wie "virales Marketing" eine Schlüsselposition ein. All dies beschreibt Herz mit beeindruckender Präzision, allerdings gelingt es ihr nicht immer, den wünschenswerten kritischen Abstand einzuhalten.

Das in der Einleitung gegebene Versprechen, auch die Zukunft der Computerspiele miteinzubeziehen, wird schließlich im letzten Teil von Game On eingelöst. Katie Salen, Eric Zimmerman und Mark Pesce setzen sich mit verschiedenen Trends im Bereich der Videospiele auseinander, die künftig eine entscheidende Rolle in diesem Medium spielen könnten. Der wohl interessanteste Beitrag ist der von Katie Salen, die sich mit dem Phänomen "Machinima" beschäftigt. Dabei handelt es sich um ein neues Verfahren zur Produktion digitaler Animationsfilme auf der Basis der game engines von Spielen wie Quake, Half-Life oder Unreal. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten der Produktion und Distribution, aber auch völlig neue Verfahrensweisen, die bei traditionellen Filmen nur mit dem Einsatz aufwendiger Computertechnik realisiert werden könnten. Zwar übernehmen Machinima-Filme teilweise die Formensprache traditioneller Filme - etwa Schnitte, Kameraeinstellungen und Effekte - aber sie haben sich innerhalb kürzester Zeit auch ein eigenes Formenrepertoire geschaffen. Einige dieser Möglichkeiten werden in den dem Artikel folgenden "Zehn Geboten" der Machinima-Theorie schlaglichtartig beleuchtet.

Eric Zimmerman setzt sich in seinem Beitrag mit der Frage auseinander, ob es so etwas wie "unabhängige" Videospiele gibt, ähnlich dem independent cinema in den USA. Zwar bleibt Zimmerman eine letzte Antwort auf diese Frage schuldig, doch sein dialektischer Ansatz, bei dem sowohl den Argumente dafür als auch denen dagegen gebührender Platz eingeräumt wird, wird dem Thema gerecht. Denn tatsächlich kommen momentan so gut wie alle erfolgreichen Spiele aus den großen und bekannten Software-Häusern, während der Anteil von Spielen aus dem "Untergrund" nach wie vor verschwindend gering ist. Für diejenigen, die sich bisher nur kursorisch mit Videospielen beschäftigt haben, ist Zimmermans Plädoyer für die Existenz von independent games jedoch ein Anreiz, sich näher mit der Materie zu beschäftigen, während seine Leugnung der Existenz von unabhängigen Spielen jene anstacheln sollte, die bereits mit dem Thema vertraut sind.

Im Beitrag von Mark Pesce schließlich geht es nun tatsächlich explizit um die Zukunft der Videospiele. Im Vergleich zu den Beiträgen von Salen und Zimmerman wirkt diese Zukunft hier allerdings reichlich altbacken. Der Autor bemüht sich zwar, aktuelle Entwicklungslinien zu verlängern, doch es gehört kaum viel Fachwissen dazu, eine weitere Zunahme photorealistischer Grafiken und immersiver Schnittstellentechnik zu prophezeien. Mit einem Neuromancer-Zitat versteigt sich Pesce schließlich sogar dazu, zukünftige Videospiele als "Halluzinationen" zu bezeichnen, die möglicherweise durch die Nanotechnik realisiert werden könnten. Videospiele als die Designerdroge einer neuen Generation zu feiern wird allerdings kaum dazu beitragen, die Missverständnisse zu beseitigen, die mit Game On aus der Welt geräumt werden sollten. Insofern ist Pesces Beitrag ein enttäuschender Abchluss dieses insgesamt durchaus gelungenen Bandes.



Mark J.P. Wolf (Hg.): The Medium of the Video Game. 223 Seiten, 9 Abbildungen. University of Austin Press 2002. ISBN 0-292-79150-X, $19,95 (Taschenbuch). Zu beziehen unter: http://www.utexas.edu/utpress.

Konrad Lischka: Spielplatz Computer. 187 Seiten, 14 Abbildungen. Verlag Heinz Heise 2002. ISBN 3-88229-193-1, €15.

Mathias Mertens / Tobias O. Meißner: Wir waren Space Invaders. Geschichten vom Computerspielen. 192 Seiten, gebunden. Eichborn Verlag 2002. ISBN 3-8218-3920-1. €16,90.

Lucien King: Game On. The History and Culture of Videogames. 144 Seiten, 300 Abbildungen. Laurence King Publishing 2002. ISBN 1-85669-304-X, £19,95. Zu beziehen unter: http://www.laurenceking.co.uk.


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