Rezension


Gerhard J. Lischka /Thomas Feuerstein (Hg.)

Media-made - Wie kommen wir uns nahe?


Die Metaphorik von Nähe und Ferne durchzieht den medientheoretischen Diskurs von Anfang an. Programmatisch sind bereits die Bezeichnungen Fernsprecher und Telefon, später kamen Fernsehen und Teletext hinzu und schließlich wurde es sogar notwendig, das "normale", also nicht technisch vermittelte Gespräch mit dem Retronym Face-to-face-Kommunikation zu bezeichnen.

Unter dieser Prämisse stellen die Herausgeber des Buches Media-made die unschuldig klingende Frage: Wie kommen wir uns nahe? Dabei geht es nicht nur darum zu klären, ob technische Medien die Distanz zwischen annäherungswilligen Individuen verringern oder möglicherweise sogar vergrößern, sondern auch und vor allem darum, wie sich Mensch und Medien in diesem Prozess annähern. Der Begriff "media-made" weist auf den Anteil der Medien an der Identitätskonstitution hin, macht jedoch gleichzeitig deutlich, dass daraus kaum Individualität, sondern höchstens "Kondividualität" entstehen kann. Virtuelle Persönlichkeiten wie die Tomb Raider-Protagonistin Lara Croft, oder die künstliche Pop-Sängerin Kyoko Date werden in der Einleitung von Thomas Feuerstein als Prototypen überindividueller Charaktere präsentiert, die einerseits "reale" Persönlichkeitszüge assimilieren und andererseits selbst Identifikationsangebote machen.

Der Hinweis auf diese Phänomene darf jedoch als reine Konzession an den Zeitgeist verstanden werden, denn in den folgenden Beiträgen zu Media-made spielen diese Figuren keine weitere Rolle. Vielmehr versuchen die Autoren, den Begriff "media-made" auf das mediatisierte Subjekt auszuweiten. Dies macht insofern Sinn, als die Subjektkonstitution in den systemtheoretischen und konstruktivistischen Diskursen, die hier die Grundlage bilden, als Prozess der Ko-Orientierung verstanden wird, der notwendigerweise immer vermittelt ist.

Es ist daher nur konsequent, dass Gerhard Johann Lischka gleich zu Anfang seines Beitrags konstatiert: "Wir sind Medien" und daraus folgert, dass es nichts "Unvermitteltes" gibt. Gleichzeitig folgt daraus, dass verschiedene Situationen verschiedene Grade von Medialität aufweisen. Lischka führt am Beispiel des Begriffspaares Ferne/Nähe vor, dass eine solche Betrachtungsweise notwendig zu einer Begriffsdifferenzierung führt, in der auch scheinbar paradoxe Begriffe wie Fern-Nähe und Nah-Ferne eine analytische Funktion haben.

Den scheinbaren Paradoxien solcher "polykontexturaler" Begriffe widmet sich der Beitrag von Stefan Weber. Dabei wird deutlich, dass die Beobachtung komplexer medialer Zusammenhänge sich notwendigerweise aus der Begrifflichkeit starrer Oppositionen lösen muss. Denn die untersuchten Situationen sind immer prozessual, sie oszillieren immer zwischen mehreren gegensätzlichen Zuständen gleichzeitig. Einander widersprechende Aussagen können daher in einer polykontexturalen Untersuchung nebeneinander stehen, ohne sich aufzuheben. Doch so einleuchtend dies in der Theorie klingt, dem Autor gelingt es nicht, diesen Ansatz für seinen Beitrag schlüssig umzusetzen.

Dieses Problem betrifft jedoch nicht nur Weber, sondern auch die anderen Autoren des Buches. Denn obwohl hier Fragen aufgeworfen werden, die gerade die Defizite der systemtheoretischen Medientheorie deutlich machen, ist man nicht gewillt, auf die klassische Systemtheorie zu verzichten. Bei F. E. Rakuschan äußert sich dies in apodiktischen Sätzen wie "Die Ansicht, dass Individuen die Bausteine einer Gesellschaft sind, ist ein epistemologischer Irrtum." Überhaupt läuft der Motor der Systemtheorie auf diesem unwegsamen Gelände rasch heiß und produziert semantische Fehlzündungen. Selbst der unerschrockenste Leser nimmt angesichts von Wortungetümen wie "temporalisierte Systeme in Dauererregung" von seinem Vorhaben Abstand, der Materie näher zu kommen.

Man merkt den Autoren das Bemühen an, eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Thema zu entwickeln. Dies ist notwendigerweise ein Prozess der gegenseitigen Annäherung, der Vereinheitlichung der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz. Das Ergebnis präsentiert sich jedoch als hermetischer Textkörper, der dem Leser kaum Zugang gewährt. Eins führt diese Abkoppelung immerhin vor: Das Sich-Näherkommen ist immer mit einem Sich-Entfernen verknüpft. (jk)



Gerhard J. Lischka / Thomas Feuerstein: Media-made - Wie kommen wir uns nahe?, Köln: Wienand 2001

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