Romantik, Romantikforschung, Romantik-Handbuch, Novalis, Schlegel, Helmut Schanze, Kröner Verlag


Oliver Jahraus

 

Das Romantik-Handbuch von Helmut Schanze – ein romantisches Hand-Buch?

 

Seit 2001 war es vergriffen, und jetzt wurde es, leicht aktualisiert, wieder aufgelegt – das Romantik-Handbuch von Helmut Schanze. Dieser Umstand beweist nicht nur die große Resonanz und die starke Nachfrage, die dieses Buch ausgelöst hat, sondern das ist auch Anlass genug, noch einmal einen Blick in dieses immerhin über 800 Seiten starke, dennoch im Taschenbuch-Format gedruckte Buch zu werfen.

Die Neuauflage wurde vor allem dazu genutzt, die Beiträge durchzusehen, den Stand der Forschung zu aktualisieren und die bibliographischen Angaben weiterzuführen. Grundlegendes hat sich am Buch nicht geändert; die Konzeption ist identisch geblieben. Schon bei der Erstauflage wurden von der Kritik Desiderate geäußert, die jedoch nur – so berichtet der Herausgeber – im Rahmen der bestehenden Konzeption berücksichtigt werden konnten. Wo sie die Konzeption selbst oder die Zusammenstellung des Bandes betrafen, mussten solche Desiderata schon aus pragmatischen Gründen unberücksichtig bleiben. Entsprechende Erwartungen werden „auf eine grundlegende Neubearbeitung aus größerer zeitlicher Distanz verwiesen“ (S.XV).

Dass in dem Band Beiträge fehlen, das gibt der Herausgeber selbst zu. Er vermisst selbst z.B. einen Beitrag über das eigene Fach, die Literaturwissenschaft, im Kontext der Enzyklopädie der romantischen Künste und Wissenschaften. Ein entsprechender Beitrag sei gesucht worden – offenbar vergeblich. Gewisse Einschneidungen sind auch zu rechtfertigen, wie z.B. die Auslassungen im komparatistischen Überblick über die Romantik als einer europäischen Bewegung und die daraus resultierende Dominanz der deutschen Verhältnisse. Nicht nur dient das Werk vor allem germanistischen Literaturwissenschaftlern als Handbuch, Herausgeber und Autoren gehen auch von einem deutschen Phänomen der Romantik aus, das sich als Forschungsgegenstand relativ klar umreißen lässt, was wiederum die „’Optik eines deutschen Gegenstandes’“ (S:11) befördere.

Aber es ist viel weniger entscheidend, dass man bestimmte Beiträge und Themen vermissen kann, entscheidend ist vielmehr, dass man diesen angeblichen Mangel überhaupt erst auf der Basis wirklich erfolgreicher Bemühungen um ein weitgehend systematisch abgestecktes Forschungsfeld Romantik feststellen kann.

Der Band besitzt vier Teile, die ersten drei Teile beinhalten 26 Beiträge. Die Teile sind überschrieben mit „Zeitkontext – Einflüsse und Wirkungen“, „Literarische Formen“ und „Künste und Wissenschaften“. Der vierte Teil enthält ca. 230 (!) Bio-Bibliographien, erstellt von Birgit Gottschalk, zu Personen der Romantik der Jahrgänge 1765 bis ca. 1815, die in den anderen Teilen des Buches im systematischen Kontext angesprochen wurden.

Die 26 Beiträge beschäftigen sich mit der Zeitgeschichte, der Phaseneinteilung der Romantik, dem Verhältnis Aufklärung-Romantik, den europäischen Einflüssen und dem europäischen Kontext der deutschen Romantik, der ‚realistischen’ Romantikkritik im 19. Jahrhundert, der Forschungsgeschichte, mit dem romantischen Roman, mit der Novelle, dem Märchen, dem Fragment, dem Drama, der Lyrik, der Rhetorik, der romantischen Ironie, dem Verhältnis von Symbol und Allegorie in der Romantik, dem Konzept einer Neuen Mythologie, sodann mit der Malerei, der Musik, der Philosophie, der Politik, der Gesellschaftstheorie, dem Geschichtsdenken (Mittelalterbild und Europa-Vorstellung), der Religion und Theologie der Romantik, der Psychologie und mit der Naturwissenschaft (in) der Romantik.

Wie immer man nun die Desiderata einschätzen mag, allein die Systematik und ihre Auffüllung durch die Einzelbeiträge rechtfertigt den Titel 'Handbuch'. Die Artikel sind selbst wiederum sehr feingliedrig unterteilt, was dem Leser nicht nur die Orientierung und den Zugriff auf bestimmte Thematisierungskomplexe sehr erleichtert, sondern auch bereits angibt, welche Information ihn erwartet. Die Beiträge sind allesamt auf dem letzten Stand der Forschung. Hier und da gäbe es wohl etwas zu kritteln, aber es scheint nicht der Mühe wert und wirkt angesichts des insgesamt und durchgängig hohen Niveaus der Beiträge wirklich fehl am Platze.

Die gebotene Orientierung, der Gesamtüberblick ist hingegen um so wichtiger, zumal jede Systematik immer mehr oder weniger auch einen Kompromiss darstellt. Insofern kann es auch nicht ausbleiben, dass es bestimmte Wiederholungen über das gesamte Buch hinweg gibt. Insbesondere zentrale Konzepte wie z.B. die frühromantische, Schlegelsche Literaturtheorie einer Universal- oder Transzendentalpoesie taucht sowohl beim Roman, beim Fragment, bei der Ironie als auch bei der romantischen Philosophie auf. Solche Folgelasten einer Systematik kann man nicht umgehen; angesichts der detaillierten Auffächerung muss man bewundernd anerkennen, dass die Beiträge sich nicht wesentlich häufiger wiederholen. Und das spricht sehr für die Systematik.

Vielleicht ist das auch kein Wunder, weil das universale Moment der Romantik, das natürlich häufig Gegenstand der Beiträge sein muss, sich zugleich auf der Formebene dieses Unternehmens niederschlagen muss und zu so etwas wie dem Prinzip, dem Leitmotiv des Bandes avanciert. Universalität heißt nicht nur auffächern, sondern auch das Prinzip erkennen, dem die Auffächerung folgt. So muss das Handbuch der Romantik ein romantisches (Hand-)Buch werden. Es ist selbst eine Enzyklopädie geworden, die die verschiedensten Forschungsgattungen der Literaturwissenschaft integriert: Interpretation, Kommentar, Literaturgeschichte, Kulturgeschichte, Gattungsgeschichte, selbst Mediengeschichte, auch Bibliographie und nicht zuletzt Biographie. In diesem Sinne ist das Handbuch auch im romantischen Sinne universal.

Das Buch lebt davon – und wird dadurch zu einem romantischen Buch –, dass es nicht nur verschiedene Formen umfasst, sondern diese auch vereint. Es ist die Einheit in der Vielheit, die es zu einem Handbuch macht. Und dies wiederum ist bezeichnend für den Forschungsgegenstand Romantik. Man könnte es so formulieren. Will man erkennen, ob ein Phänomenbereich, zumal ein historischer und zumal ein so weit gefächerter wie der der Romantik überhaupt als dennoch eingrenzbares und konsistent in einer Gesamtschau zu behandelnder Forschungsgegenstand in Frage kommen kann, dann lohnt sich ein Blick auf seine mögliche enzyklopädische Systematisierung. Gelingt sie, wie im vorliegenden Fall, so kann man in der Tat von einer vielversprechenden Forschungssituation ausgehen, in der es möglich ist, Einzelinteressen im Gesamtfeld dennoch so aufeinander zu beziehen, dass die Zusammenhänge durchschaubar werden, dass die Einheit in der Vielheit sichtbar wird. Forschungsgegenstand und Forschungsdokumentation in Form eines solchen Handbuches sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich – so kann man wohl annehmen – gegenseitig. Dieses Buch wird weiterhin dazu beitragen, auch künftige Forschungen anzuregen und zu unterstützen, allein dadurch, dass es einen solchen Forschungsgegenstand Romantik präsentiert und Romantik-Forschung dokumentiert. Insofern verdient das vorliegende Werk den schlichten Titel Romantik-Handbuch in jeder Hinsicht. Wer etwas – so ganz allgemein kann man es zunächst ruhig stehen lassen – über Romantik wissen will, kann getrost zu diesem Handbuch greifen.

Nicht weil es dazu gehört, nicht weil es unbedingt gerechtfertigt ist, soll auch hier ein Desiderat benannt werden: Man hat sich bei dem vorliegenden Band entschiedenen, einen großen Bio-Bibliographischen Teil hinzuzufügen, der die Personen der Romantik betrifft. Damit wird zusammengefasst, was zu den Personen in den Einzelartikeln nur sehr verstreut gesagt wird. Ähnliches wünschte man sich, vielleicht besonders auch aus studentischer Sicht, für die Texte der Romantik – sozusagen kanonische Interpretationen zu kanonischen Texten der Romantik. In der vorliegenden Form kommen interpretative Ausführungen etwas kurz; am deutlichsten finden sie sich selbstverständlich noch in den Beiträgen zu den literarischen Formen. Natürlich, anders als bei den Personen stellt sich die Frage wesentlich dringlicher nach der kanonischen Auswahl und vor allem nach der einigermaßen verbindlichen Interpretation. Man hätte auch hier die Erwähnung der Texte zum Auswahlkriterium und die Vorstellung von Interpretationsansätzen zu den Texten zum Hauptkriterium der Interpretationen machen können.

Es gehört zur romantischen Idee des Universalen, dass sie sich nur in einem fortgesetzten Prozess annäherungsweise und progressiv realisieren lässt: Und in diesem Sinne ist ein Handbuch zur Romantik ebenso ein Forschungsquerschnitt wie auch ein work in progress. Niemand weiß das besser als der Herausgeber selbst.

Romantik-Handbuch. Hg. v. Helmut Schanze. 2. durchges. u. aktualisierte Auflage. Stuttgart: Kröner 2003, ISBN: 3-520-36302-X, XXVIII + 810 S., 29,- €.



Verfasser: oliver.jahraus@gmx.de , veröffentlicht am 01.12.2003

   
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