Daniel Krause

 

„Der Ton enthält das Wesen“. E. M. Cioran bei supposé.

 

 

Abstract: Das Label supposé hat eine Hörbuchreihe mit Originalaufnahmen bekannter wie unbekannter Denker aufgelegt. Immer neue Autoren kommen hinzu. Anhand eines besonders gelungenen Beispiels, der E. M. Cioran-Edition, wollen wir das verdienstvolle Wirken dieses Kölner Verlags würdigen.

 

„Der Ton enthält das Wesen.“

Supposé hat seit mehreren Jahren Tonaufnahmen von Wissenschaftlern und Philosophen herausgebracht – dies schon zu Zeiten, da Hörbücher weit weniger verbreitet waren. Längst ist ein stattlicher Fundus ‚tönender Philosophie’ zustande gekommen. Kaum ein Denker von Bedeutung, der nicht im Katalog vertreten wäre: Albert Einstein, Werner Heisenberg, Vilém Flusser, Paul Feyerabend, Heinz von Foerster, Boris Groys e tutti quanti. Supposé verlegt aber auch solche Autoren, die außerhalb der akademischen Welt wenig Bekanntheit erlangt haben: Gotthard Günther, René König oder Siegfried J. Schmidt. Schließlich gibt es so manchen ‚Verfemten’ und Außenseiter des Betriebs, darunter Ludwig Klages und E. M. Cioran, vielleicht den größten Aphoristiker der Moderne. Seine akustischen Selbstzeugnisse wurden unter dem Titel „Cafard“ zusammengefasst. (Cioran schlägt „Katzenjammer“ als deutsche Übersetzung vor.) Die Edition wurde mit Liebe und tiefem Verständnis besorgt. Die Vorbemerkung der beiden Herausgeber: Thomas Knöfel und Klaus Sander geht weit über die gängigen Floskeln hinaus. Sie bringt das Anliegen des Verlages zum Ausdruck:

„Die verschiedenen akustischen Räume und Aufnahmemodalitäten und die, an der Grenze zum Rauschen, bereits überalterten Tonbänder, lassen uns […] keinen Augenblick vergessen, mit was (oder wem) wir es hier zu tun haben, mit den zum Gespenstischen hin ausgedünnten und in den Hallen der Archive zum Klingen gebrachten Stimmen der Toten.“ (Booklet, 10f)

Die geschmackvolle (nicht: geschmäcklerische), überaus sorgfältige Machart der supposé-Editionen ist einer klingenden Nekropole allemal würdig. (So gesehen sind die stattlichen Preise vertretbar.) Das lässt sich an Cafard exemplarisch belegen. Selbst die Farbe von Booklet und Cover ist wohlkalkuliert: Nachtblau scheint E. M. Ciorans Empfindungswelt am präzisesten auszudrücken. Das üppige Booklet umfasst annähernd 100 Seiten, samt eindringlichen Porträtphotographien, klug gerafftem Lebenslauf und Verzeichnis der Publikationen. Darüber hinaus bietet es Marcel Prousts notorischen Fragebogen. Der fördert manches Luzide zu Tage. Die Frage „Wer oder was hätten Sie sein mögen?“ quittiert Cioran so: „Luzifers Adjutant“. „Am meisten verabscheut“ er „die Optimisten und die Pessimisten“. (Auch der Pessimismus sei eine bloße Ideologie.) „Das größte Unglück“ bestünde darin, „das Weltende zu verpassen“.

Auch wenn supposés Fügung „Audiophilosophie“ etwas phrasenhaft klingt – der Sache nach ist sie nicht sinnlos: In ihren griechischen Anfängen entspinnt sich Philosophie dialogisch. (Plato verachtet das geschriebene Wort.) Auch E. M. Cioran, dem Aphoristiker, muss die mündliche Äußerungsform besonders zupass kommen. (Auch wenn es eher Monologe sind.) Sein ‚Existenzialismus ohne Ismus’ gewinnt an Überzeugungskraft, wo er stimmlich, durch die Person, beglaubigt erscheint. Knöfel und Sander bringen es auf den Punkt:

„Zu Gehör gebracht werden der spezifische Sound des Sprechenden, seine ‚Musikalität’ und Klangfarben, die Modulationen der angeschlagenen Töne – „der Ton“, schreibt Cioran […] enthält das Wesen“ –, um so eine Nähe zu ermöglichen, die von der Transkription, vom geschriebenen Wort her immer ausgeschlossen bleiben muß.“ (Ebd., 10)

‚Einheit von Leben und Kunst’, von ‚Autor und Werk’ – diese viel bemühte Floskel wird mit Sinn erfüllt. Viel können wir lernen, über Werk und Person Ciorans. Da ist die Transparenz und Vielfalt des Timbres, der manchmal gefestigte, manchmal fast zitternde, stotternde Ton: Zuweilen scheint es, als sprächen verschiedene Menschen. Da ist Ciorans Lachen. Wer hätte gedacht, dass der „Schwarzgnostiker“ (Sloterdijk) ein derart charmanter, bisweilen heiterer Zeitgenosse sein kann? Wer wusste um Ciorans beinahe muttersprachliches Deutsch? Cioran erweist sich als begnadeter Erzähler. Der Knabe Emile, Fußball spielend auf dem Gottesacker, mit Totenschädeln. Der Jüngling, durch Hermannstadt irrend, als nächtlicher Peripatetiker. Der Zweite Weltkrieg und die Frauen. Fahrradfahren in Frankreich. Mallarmé auf Rumänisch. Die Bogumilen, Pascal, die deutsche und indische Philosophie. Der erhellenden, erleuchtenden Geistesblitze sind viele. Auch Ciorans Porträtkunst kann beglücken. Mit wenigen Strichen werden Charaktere und Viten zur Kenntlichkeit gebracht. Denn eigentlich, so Cioran, interessiert ihn nur dieses: Was eine Person „in ihrem Wesen ist“, „unabhängig von der Zeit und sogar von der Ewigkeit“.

Hans-Jürgen Heinrichs Gespräch mit Cioran (1983) – es handelt von Gott und der Welt, im wörtlichsten Sinne – wird vollständig abgedruckt, in Teilen ist es zu hören. Heinrichs berichtet, sprachlich brillant, von der Begegnung:

„Wenn ich nicht noch die weniger als mannshohe Decke über mir spürte und den resopalbedeckten Küchentisch vor mir sähe, die unentwirrbare Mischung von Büchern und oft getragenen Strümpfen, Hemden und Hosen körperlich spürte, wenn ich nicht dazwischen die kleine, hagere Gestalt vor mir sähe, würde ich es vielleicht nicht glauben, daß ich tatsächlich an einem Sommertag in der Rue de l’Odeon war, die Treppen hinausgestiegen bin […]“ (Ebd., 14)

Sein Resümee:

„Habe ich für eine gewisse Zeit Ciorans Bücher aus den Augen verloren, ist es mir, als hätte ich mich von ihnen so weit entfernt, daß sie mich nicht mehr in ihren Bann zu ziehen vermöchten. Kaum jedoch, daß sie wieder in mein Blickfeld geraten sind, bin ich unmittelbar von ihrem Reichtum an Gedanken und deren chiffrenartiger Form ergriffen, gefangen im Labyrinth ganz eigener Formeln, im wunderbaren Wechselspiel aus Wahrheit und Lüge, Unbestimmtheit und Klarheit.“ (Ebd., 15)

Wer Cioran liest, der ahnt, was Heinrichs meint. Wer ihn hört, weiß es.

Das Booklet wird vom Nachwort Peter Sloterdijks beschlossen. Was immer man vom Karlsruher Selbstdenker und -darsteller halten mag – sein Essai trägt genialische Züge nach Form und Gehalt, nicht zuletzt dort, wo Ciorans Schlafstörung verhandelt wird:

„Seine beispiellose Hellsichtigkeit bei der Entzauberung sämtlicher positiven und utopischen Konstrukte hat ihren Grund in dem durchdringenden Stigma seiner Existenz – in einer Schlaflosigkeit, die […] ihn in seiner formativen Phase über Jahre hin geprägt hat. […] Ciorans Insomnie-Apriori schließt […] für das Denken die Möglichkeit auf, daß die Bitte des Subjekts um temporäre Aufhebung des Weltzwangs vom Leben selbst nicht erhört wird. […] Schon der frühe Cioran denkt aus der Position einer permanenten ontologischen Kreuzigung, die nie an den Punkt gelangt, wo das Opfer consummatum est sagen dürfte. […] Die Schlaflosigkeit ist die Dekonstruktion ohne Dekonstruktivisten.“ (Ebd., 69)

Gleich, ob man Sloterdijk zustimmen mag – er vermag es, seine Thesen biographisch zu fundieren. Vor allem aber findet er treffende, unübertreffliche Worte für E. M. Ciorans einsamen Rang:

“Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem alten Cioran im Deutschen Haus der Cité Universitaire zu Paris Mitte der 80er Jahre, in dessen Verlauf ich die Rede auf seine argwöhnischen und herabsetzenden Äußerungen über Epikur brachte. Er schien sofort zu verstehen, was ich mit meiner Nachfrage im Sinn hatte; freimütig erklärte er, er widerrufe seine Aussage und fühle sich Epikur jetzt sehr nahe, er sehe heute in ihm doch einen der wirklichen Wohltäter der Menschheit. Das Wort „Wohltäter“, leise ausgesprochen, klang auf seltsame Weise wichtig in seinem Mund. Für dieses Mal hatte er auf jeden Sarkasmus verzichtet. Vielleicht war im Garten seiner Schlaflosigkeit die Erkenntnis gereift, daß es einer Generosität besonderer Art bedarf, den Menschen den Rückzug von den Fronten des Realen zu gestatten, und daß diese Welt die Lehrer des Rückzugs weniger denn je entbehren kann. Unser Jahrhundert hat keinen entschiedeneren als ihn gekannt.“ (Booklet, 72)

 

Hinweis

Das Verlagsprogramm ist unter www.suppose.de abzurufen. Ciorans Werke in einem Band sind bei Gallimard erschienen, in einer musterhaften Edition. Deutsche Übersetzungen liegen u.a. bei Suhrkamp vor.



Verfasser: Daniel Krause, veröffentlicht am 11.04.2007

   
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