Jerome Philipp Schäfer Kommerz und PopulärkulturBeispielanalysen zum progressiven Potential von Werbefilmen
Abstract: Führten in den 1920er-Jahren Avantgarde-Regisseure wie Hans Richter und Oskar Fischinger Werbespots zur künstlerischen Blüte, erstickte der Nationalsozialismus diese durch die für ihn spezifische Instrumentalisierung im Keim – bei den Alliierten war es vordergründig die Vermischung mit Kriegspropaganda. Das Genre konnte sich an die sechzig Jahre lang nicht von diesem Trauma erholen und entwickelte sich – trotz Wirtschaftswunder und TV – zum kreativlosen 30-Sekünder, der als notwendiges Übel betrachtet wurde. Allein der Musikclip, in den 1980er-Jahren eingeführt und dank MTV und VIVA bis heute institutionalisiert, schaffte den Sprung zum Kunstwerk mit inhaltlich wie ästhetisch progressivem Anspruch. Währenddessen gelang es der Werbeindustrie auch durch den Einsatz von Star-Regisseuren wie David Lynch, Oliver Stone oder Volker Schlöndorff nicht, die anhaltende Ablehnung des Publikums gegenüber dem konventionellen Werbefilm zu überwinden. Doch manchmal wandeln sich Dinge – und in diesem Fall war es eine gleichermaßen rasante wie spektakuläre Entwicklung. Wer zurzeit durch das Internet streift, der kann nur staunen: dort gibt es viel frequentierte Websites wie „Cartoonland“ und „Clipland“, wo aus dem Fernsehen zusammengetragene Werbespots beste Vorabend-Unterhaltung bieten. Sogar eine eigene „Rezensionskultur“ hat sich herausgebildet, was zahlreiche Foren wie „Werbeblogger“ bestätigen, da hier interessierte Laien mit Marketing- und Werbeexperten lebhaft diskutieren, um durch konstruktive Kritik für eine „bessere“ Werbung zu sorgen. Die dogmatische Ablehnung des Werbefilms als einer „minderwertigen“, weil nicht an der Kunst orientierten Gattung, ist damit überflüssig geworden, und es ist an der Zeit zu fragen, ob Werbespots nicht doch wie Musikclips in der Lage sind, kommerzielle Intention und populärkulturelle Lesart zu verbinden, d.h. zwischen eindeutiger Werbeabsicht und populärer Unterhaltung zu oszillieren. Wenn weiter unten nun die Werbespots von „Bonus.net“(1) und „AXA TwinStar“ (2) als exemplum ex negativo analysiert werden und daran anschließend jener positive von „Peugeot“ (3) zum Modell 207, dann soll nicht nur demonstriert werden, dass Werbespots überhaupt in der Lage sind, populär zu wirken und zu erscheinen, sondern es soll auch gefragt werden, welche Verfahren am ehesten geeignet sind, dies zu erreichen bzw. wodurch dies nicht erreicht wird. Hierfür wird die Kombination verschiedener Disziplinen notwendig sein – namentlich Cultural Studies, Filmanalyse und Marketing. EinleitungWoody Allen, Slapstick-Komiker und Konzentrat zynisch-intellektueller Lebensweisheit, soll einmal gesagt haben: „Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak bekommt“ (4). Gleichermaßen hedonistisch wie pragmatisch formuliert, verweist diese Aussage auf einen grundlegenden Widerspruch innerhalb der Populärkultur, nämlich auf jene Diskrepanz zwischen intellektuellem Habitus und materiellem Konsum, wie er für einen großen Teil der Menschen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts – und mittlerweile nicht nur in der westlichen Hemisphäre – prägend ist. Stand die Soziologie nach dem zweiten Weltkrieg – besonders die Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno – derartigen Phänomenen skeptisch gegenüber, versuchten Wissenschaftler der Cultural Studies wie John Fiske im Hinblick auf die Interpretation von Populärkultur aus der Not eine Tugend zu machen: die Populärkultur als Kultur der „ Unterdrückten“ könne ihre Ressourcen nicht selber produzieren, weshalb sie auf jene des ökonomischen power bloc (Konzerne etc.) zurückgreifen müsse, obwohl sie gegen eben diesen power bloc mikropolitischen Widerstand leiste. Nach Fiske konstruiert die Populärkultur ihre Identität also über jene materiellen Güter, die zur Stärkung des „herrschenden Systems“ beitragen, wobei diese Fremdkörper nur durch eine semiotische Wandlung Eingang in die Populärkultur finden können. (5) Die Werbung nimmt im Rahmen der Populärkultur eine dezidierte Sonderstellung ein. Sie reichert materielle „Texte“ – ihrem Sinngehalt nach beworbene Produkte – mit Bedeutung an und nimmt gleichzeitig für sich in Anspruch, eigenständiger Text zu sein. Wenn in den letzten Jahren zunehmend Elemente des Musikclips Eingang in die Form der Werbefilme gefunden haben, liegt dies in einer neuen Rezipienten-Generation begründet, die mit MTV und VIVA groß geworden ist und den Musikclip zur Kunst statt zum Marketing rechnet. Werden Werbefilme dagegen meist als reines Instrument zur Absatzsteigerung verstanden, das durch Bekanntmachen die Selektion in Top oder Flop überhaupt erst ermöglichen soll, werden sie von vielen Rezipienten als „notwendiges Übel“ betrachtet, das in vom Hauptprogramm getrennten Blöcken „ghettoisiert“ (6) gezeigt wird. Die Werbeindustrie selbst versteht viele ihrer Produkte als Kunst und versucht dies zu beweisen und zu manifestieren, indem sie auf dem International Advertising Festival in Cannes alljährlich ihre besten Werbefilme mit den Cannes Lions prämiert. Dabei ist nicht zu übersehen, dass nicht nur die Filme selbst, sondern auch ihre Botschaften wohlwollend von einem großen Publikum aufgenommen werden. Dass die individuelle Meinungsbildung weniger rigide ist als die öffentliche, vermuten nicht nur Marketing-Experten (7), auch TV-Formate wie die Sendung „WWW – Die Witzigsten Werbespots der Welt“ (8) und Online-Portale wie „Clipland“ legen nahe, dass Werbespots nicht allein „Manipulation“ und „Volksverdummung“ sind, sondern es auch Werbefilme gibt, die populärkulturelle Lesarten ermöglichen. Grundlagen Sind Begriffe wie „Populärkultur“ und „Werbung“ fest in der Alltagssprache verankert und werden sie oft zu ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich orientierten Debatten herangezogen, ist ihre exakte Eingrenzung im wissenschaftlichen Rahmen problematisch. Um nicht unnötig in fachspezifische Diskussionen verwickelt zu werden, müssen jene Bedeutungen, Ausprägungen und Beziehungen von „Werbung“ und „Populärkultur“ herausgestellt werden, die als Grundlage einer Analyse notwendig sind und helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Die Populärkultur
Entstand die Populärkultur erst im 20. Jahrhundert durch eine Reihe gesellschaftlicher wie technischer Entwicklungen und hat sie die Volkskultur in vielen Lebensbereichen abgelöst, besteht die eigentliche Neuerung darin, dass sich der „moderne Mensch“ mehr über seine Individualität als seine Zugehörigkeit zu einer „Klasse“ definiert. Weil für sie der „Kapitalismus“ die Triebfeder dieser Entwicklung war, schöpften die marxistische Linke und besonders die Frankfurter Schule den Verdacht, es handele sich hier um „Vermassung“ und „Entindividualisierung“. Adorno und Horkheimer kritisierten 1944 in dem Kapitel Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug (9) ihrer Dialektik der Aufklärung das neue System auf pathetische Weise und legten die Vermutung nahe, dass der Mensch zum willenlosen Konsumenten mutiert, der sich „seinem vorweg durch Indizien bestimmten ‚level’ gemäß verhalten und nach der Kategorie des Massenprodukts greifen [soll], die für seinen Typ fabriziert ist“ (10). Allerdings darf diese „apokalyptische“ Sichtweise nicht überinterpretiert werden, ist sie doch in einem spezifischen historischen Kontext verankert: Als die beiden Theoretiker 1944 die „Dialektik der Aufklärung“ schrieben, waren Deutschland noch von nationalsozialistischer und die Vereinigten Staaten von Kriegspropaganda überflutet – was für die beiden Exilanten ein Schock gewesen sein mag. So wenig das Werk der beiden Soziologen aus dem heutigen Kulturverständnis wegzudenken ist – ihr „kritischer“ Ansatz kann nicht für eine unvoreingenommene Analyse populärkultureller „Texte“ fruchtbar gemacht werden. Eine für unsere Zwecke sinnvolle Annäherung an Populärkultur und Werbung ermöglichen dagegen die Cultural Studies angelsächsischer Prägung. Im Centre for Contemporary Cultural Studies Birminghams wurden jene Grundlagen einer „positiven“ und „integrativen“ Sichtweise gelegt, wie John Fiske als Theoretiker der „zweiten Generation“ sie weiterführte und schließlich synthetisierte. Auch wenn die Fiske’schen Gedankengänge einige Angriffspunkte zulassen, etwa „dass nicht jeder Akt der Konsumation subversiv ist und als Ausdruck der Unterdrückten gefeiert werden muss, dass Populärkultur häufig rassistisch und frauenfeindlich ist“ (11), berühren diese zur Diskussion stehenden Punkte nicht direkt jenes begriffliche Handwerkszeug, das für eine Analyse notwendig ist und dessen wichtigste Thesen sich aus dem Aufsatz Politik. Die Linke und der Populismus und dem Buch Lesarten des Populären in aller Kürze zusammenfassen lassen: Demnach wird Populärkultur immer von jenen Gruppen geschaffen, die im Kapitalismus zu den Unterdrückten, jedoch nicht den Geschlagenen gehören und die versuchen, ihren vom power bloc (12) eingeengten Bewegungsspielraum durch mikropolitischen – wenn auch nicht revolutionären – Widerstand auszubauen, was primär über die ihnen eigenen pleasures (13) und Bedeutungszuschreibungen geschehen soll. Weil Populärkultur aber die für sie notwendigen Ressourcen nicht selber herstellen kann – ihre Mitglieder verfügen im marxistischen Sinne nicht über die „Produktionsmittel“, ist der Rückgriff auf das Angebot des ökonomischen power bloc unumgänglich und damit eine tief greifende Ambivalenz nicht zu vermeiden: während die Populärkultur auf diese Weise dem Status Quo in die Karten spielt und das System durch Konsum stärkt, nutzt sie dessen Ressourcen in einem oppositionellen Sinne, d.h. leistet sie semiotischen Widerstand, der den Individuen helfen soll, „die Kontrolle über die Bedeutungen in ihrem Leben auszuüben“ (14) . Ein Produkt, das Eingang in die Populärkultur findet, muss demnach eine progressive Lesart ermöglichen, d.h. ein „progressives Potential“ beinhalten, das zu einer Ausweitung des Handlungsspielraumes beitragen kann. Der Werbespot
Um die Vielfalt der Ressourcen in einer freien bzw. sozialen Marktwirtschaft überblicken zu können, benötigt der potentielle Konsument Informationen, die nicht nur über das Angebot aufklären, sondern auch demonstrieren, welches Produkt mit welcher Bedeutung versehen ist, denn nur so kann Identität über Konsum konstruiert werden. Für eine solche semantische Anreicherung – das Marketing spricht hier meist von „Image“ – sind besonders Werbespots geeignet. Bezeichnen Kritiker diese oft als „Manipulation“, darf nicht übersehen werden, dass Werbung Bedeutungen nur anbieten, jedoch nicht festlegen kann. Welches „Image“ letztlich dominiert, fällt in den „Kontroll-Bereich“ der Populärkultur. Definiert die einschlägige Literatur Werbespots als einen Kurz-Film mit Reklamecharakter, der „einen Impuls [...] zum Wünschen“ auslösen soll, wobei „die psychologische und ästhetische Wirkung ausschlaggebend ist“ (15), heißt es auch, dass unter Reklame „eine Beeinflussung der Psyche des Verbrauchers“ (16) zu verstehen ist – und „Beeinflussung“ kann gelingen oder nicht. Damit sind Werbespots ein für die Populärkultur interessanter Bereich: „Viel [...] ist ein Kampf um Bedeutungen, und populäre Texte können ihre Popularität nur dadurch absichern, dass sie sich zu einladenden Terrains für diesen Kampf machen [...]. Deshalb werden populäre Texte im Spannungsfeld zwischen Kräften der Abschließung (oder Herrschaft) und der Offenheit (oder Popularität) strukturiert.“ (17) Will ein Werbespot als „Text“ nicht einfach abgelehnt werden, sondern als populäre „Kampf-Arena“ funktionieren – was den Vorteil einer Übertragung auf das beworbene Produkt mit sich bringt, ist es notwendig, eine „progressive Lesart“ in ihm anzulegen. Doch diese „progressive Lesart“ bedeutet immer einen kalkulierten „Selbstanschlag“ des power bloc, da hier zur mikropolitischen Ausweitung des Handlungsspielraums der Rezipienten beigetragen wird. Ist dies die Ursache der Beliebtheit vieler Werbespots, darf dies nicht überinterpretiert werden – schließlich handelt es sich um ein Zugeständnis an die Populärkultur, das hinsichtlich Stärkung und Schwächung genau kalkuliert ist. Formen des Werbespots – Affinitäten zum Musikclip
Ob ein Werbespot populär ausgerichtet ist, hängt maßgeblich davon ab, in welches Schema er sich einordnen lässt: während sich unterhaltsame Produkt-Stories, bei denen der Firmenname erst am Ende des Films auftaucht, größerer Beliebtheit erfreuen, gelten jene Spots, die als Leitmotiv die reine Produktpräsentation haben, als im besten Falle informativ, meist jedoch als „nervtötend“. (18) Die so genannten DRTV (19)-Spots gelten als Extremform der filmischen Produktpräsentation. Sie vermitteln die blanke Produktinformation und fordern durch das Einblenden von Telefonnummern etc. zum Kauf auf, und all dies ohne Handlung – der fehlende Interpretationsspielraum macht sie unpopulär. Populäre Werbespots dagegen bieten eine Bedeutung an, mit der der Rezipient produktiv umgehen kann, d.h. er kann sie annehmen oder ablehnen, aber auch verändern. Dass dabei Statussymbole wie Automobile und Kleidung eher populär beworben werden, da sie innerhalb der Populärkultur Identität stiften helfen, liegt in der Natur der Sache, während es absurd erschiene, einen Toiletten-Reiniger zum Schauplatz des „Kampfes um Bedeutungen“ zu machen. Dabei greifen populäre Werbespots häufig auf Musikclips als einer künstlerischen und fest in der Populärkultur verankerten Form der Werbung zurück – dass dies funktioniert, zeigt sich unter anderem darin, dass die Frage, welcher Song in welchem Spot zu hören war, zu den FAQ der offiziellen Peugeot-Homepage zählt (20), es eigene Internetseiten wie www.werbesongs.tv gibt und die Band „The Dandy Warhols“ durch einen Vodafone-Spot den Durchbruch in Europa schaffte. Außerdem liegt die Anlehnung an die Form des Musikclips aus praktischen Gründen nahe: weil Ausstrahlungs-Zeit im Fernsehen knapp bemessen ist, müssen Musikclip wie Werbespot ihre Erzählung auf ein Minimum komprimieren, d.h. sich auf das filmische Vorwissen des Rezipienten stützen, um wie beim Musikclip in wenigen Minuten und beim Werbespot in höchstens 20 Sekunden überhaupt eine Geschichte erzählen bzw. eine Botschaft herüberbringen zu können. Dadurch wird dem Zuschauer nicht nur eine aktive Rolle zugewiesen, die fehlende Geschlossenheit bietet auch offene Räume zur Interpretation – Eigenschaften, die populäres Potential besitzen. (21) Werbespots ohne progressives PotentialDie Zahl populärer Werbefilme ist – verglichen mit der Gesamtproduktion der Werbeindustrie – verschwindend gering, doch auch wenn die nicht populären Varianten meist als „langweilig“ empfunden werden, gibt die Unterscheidung in „populär“ bzw. „unpopulär“ keine Auskunft über die Güte eines Spots. Schließlich soll nicht jedes Produkt als Zielgruppe nur Mitglieder der Populärkultur ansprechen. Verglichen mit den Filmen von Peugeot schöpfen die Spots von Bonus.net und AXA TwinStar deshalb nicht alle Möglichkeiten aus, was allerdings auch nicht beabsichtigt ist: Bonus.net expliziert seine ökonomische Intention, weil der Rezipient sich nur rational für eine Dienstleistung wie das Ermöglichen von Massen-Rabatten entscheiden kann. Und AXA macht das, was typisch für Anbieter von Altersvorsorgen, Versicherungen, Bausparverträgen etc. ist: die eigene Unpopularität wird in eine Verheißung von individueller Freiheit umgemünzt, wobei die Ambivalenz sichtbar bleibt, d.h. unpopuläre Verfahren nicht ausgespart werden, weil der Bezug zum „Konservativen“ und „Spießigen“ bewahrt werden soll, um Tugenden wie „Sicherheit“ und „Vertrauen“ hervorzuheben. Bonus.net – Die antipopuläre Werbung Der Werbefilm von Bonus.net enthält alle Elemente eines DRTV-Spots (22), wie er aus einem Lehrbuch des Marketing stammen könnte: der unbewegliche, also „solide“ Rahmen ist in den vertrauenswürdigen und gleichzeitig „frisch-modernen“ Farben Blau und Orange gehalten, wobei fortwährend Telefonnummer, Internet-Adresse sowie Informationen zu Testzeit und Kosten eines Anrufs eingeblendet bleiben. Innerhalb des Rahmens finden sich textlastige Informationen zum Angebot, deren wichtigste Schlagwörter durch rudimentäre „Grafik-Effekte“ und die Betonung des Sprechers hervorgehoben werden. Illustriert wird dies durch Einzelbilder von „begehrenswerten“ Objekten wie Geld und einem Auto sowie von Frauen, deren Gestik und Mimik ausdrücken sollen, dass ein Leben ohne Bonus.net viele Nachteile mit sich brächte. Während die Dienstleistung – also das Sichern von Massen-Rabatten beim Einkauf – nach Fiske wohl progressiv interpretiert werden kann, weil der ökonomische power bloc so weniger Geld für seine bereitgestellten Ressourcen erhält, sind die Verfahren des Werbespots unpopulär und können zu dem gerechnet werden, was Fiske den „Predigerrealismus“ nennt. Hier wird „dem in kulturellen Zusammenhängen Handelnden die Arbeit [abgenommen] [...], indem [...] den Rezipienten erklärt [wird], was bedeutsam ist und was nicht“ (23). Der Werbespot von Bonus.net veranschaulicht dies deutlich, wie ein einziger Ausschnitt mit der Aussage „Garantierte 30 % Rabatt!“ (24) demonstriert: Die Kombination und Auswahl der Wörter, Zahlen und Zeichen basiert auf Prägnantem und Ökonomischem, es wird kein Wort zu viel verwendet, es bleiben keine Fragen offen. Die andauernd wiederkehrenden Zahlen und das Rabattzeichen vom Typ „30 %“ unterstützen dies, weil sie als „harte Fakten“ gelten. Das Ausrufezeichen taucht im gesamten Werbespot achtmal auf und unterstützt den Eindruck des „Predigens“ von Vorteilen, die sich der Zuschauer nicht entgehen lassen sollte. Die graphische wie akustische Hervorhebung der „30 %“ lässt außerdem keine Zweifel daran, wo der Schwerpunkt der Information liegen soll. Der Zuschauer – sicher und behütet durch den Werbespot geleitet – kennt nun die Vorteile, die der Bonusclub zu bieten hat, auch wenn ihm eine progressive Lesart vorenthalten wurde. AXA TwinStar – Die demokratisch-populistische Werbung Zwar stimmt der Werbespot von AXA TwinStar nicht den allzu offensichtlichen Prediger-Ton des vorherigen Beispiels an, doch wird auch hier dem Rezipienten das Interpretieren abgenommen – wenn auch auf „elegantere“ Art: Die ersten dreizehn Einstellungen (25) thematisieren die semantische Trennung zwischen „Erwachsensein“ und „Kindsein“. Während die bildliche Darstellung kindlich-unbeschwerter Handlungen wie das Leicht-bekleidet-durch-den-Regen-rennen oder das Vom-Turm-in-den-See-springen den Unverfügbarkeitsbereich der Kindheit demonstriert, spielen akustisch die Worte „Sorgen“ und „Angst“ sowie die Umschreibung des Auf-sich-allein-gestellt-seins auf die Folgen der Unterdrückung durch den power bloc an – den Bereich des Erwachsenen. Scheint der Werbespot bis zu diesem Punkt „progressives Potential“ zu besitzen, weist eine Besonderheit auf die Kehrtwende im zweiten Teil hin: in drei der Einstellungen ist die Mutter zu sehen, die dem Kind trotz des „Unfugs“, das es anstellt, bereitwillig hilft, während der Vater in nur einer Einstellung zu sehen ist und bezeichnenderweise keine aktive Funktion hat, denn das Kind zieht die Schachtel aus der Pyramide, während der Erziehungsberechtigte mit anderen Dingen beschäftigt ist, also nicht aufpasst und sich nicht um das Kind kümmert. Der Vater, in der deutschen Sprache durch „Vaterland“ mit dem Staat konnotiert, ist nicht präsent, während die Mutter eine „aufpassende“ Funktion hat und nur dann eingreift, sollte es zu „gefährlich“ werden. Der power bloc scheint sich hier in zwei semantische Bereiche aufzuteilen: den „strengen und doch seine Bürger vernachlässigenden“ Staat und die „mütterlich liebende“, private Altersvorsorge. Im zweiten Teil (26) nun findet die Grenzüberschreitung vom semantischen Bereich des „Erwachsenseins“ zu dem des „Kindseins“ statt, indem Erwachsene wie die im ersten Teil gezeigten Kinder handeln. Ob dies für die persönliche Entwicklung progressiv oder eher regressiv interpretiert werden sollte, sei dahingestellt, auf jeden Fall verspricht der Sprecher diesen „Fortschritt“ durch die AXA TwinStar Altersvorsorge, also eine Integration in den power bloc, der vorgibt, keiner zu sein, weil er eben nicht der „böse Vater Staat“ (politisch), sondern die „liebende Mutter Altersvorsorge“ (privat, ökonomisch) ist. Damit wird das „Kindsein“ als „progressives Potential“ endgültig zur regressiven Variante: Denn mit „Kind“ ist ebenfalls „Unmündigkeit“ und „fehlende Urteilsfähigkeit“ konnotiert. Freiheit soll durch den Verlust von Verantwortung und Urteilsfähigkeit erkauft werden, denn der Erwachsene verliert seine Unbeschwertheit nicht durch die „Unterdrückung“ selbst, sondern dadurch, dass er in der Lage ist, sie zu erkennen. Das vermeintliche Potential erweist sich als Aufruf zur Integration in den power bloc, d.h. es handelt sich hier um jenes Verfahren, das Fiske als den „demokratischen Populismus“ bezeichnet, „bei dem die Unterschiede zwischen dem Staat und den diversen sozialen Formationen nicht als Antagonismen, sondern als einander ergänzende Strukturen organisiert und be-griffen werden. [...] Dieser Populismus wird zwar von einem auf sozialer Herrschaft beruhenden System hervorgebracht, zugleich jedoch von ihm absorbiert, so dass dieses System alle Erfahrungen, Vergnügungen und Verhaltensweisen der untergeordneten Strukturen in seinen Kontrollbereich aufnimmt. Schließlich werden die Entmächtigten zu Komplizen des sie entmächtigenden Systems und erteilen ihm, wenngleich möglicherweise unbewusst oder gegen ihren Willen, ihre Zustimmung“ (27).
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Verfasser: Jerome Philipp Schäfer; Datum der Veröffentlichung: 11.04.2007 |