Miszellen


Der letzte Mohikaner? Franz Schuh zum Sechzigsten

Franz Schuh wird sechzig. Die Feuilletons jubilieren. Fast gewinnt man den Eindruck, der vormals Unbekannte sei zum allenthalben gehätschelten Lieblingskind deutscher und österreichischer Feuilletonisten aufgestiegen. Weshalb? Bei Wiener Rezensenten mag der Lokalpatriotismus eine Rolle spielen. (Eva Menasse gehört zu den glühendsten Bewunderern Schuhs.) Bei deutschen die Neigung, Wien zum kulturellen Sonderfall, zum ‚ganz Anderen’ Deutschlands hinaufzustilisieren. Da kommt einer vom Schlage Franz Schuhs ganz recht. Seine Beliebtheit allerdings ist damit nicht erklärt. Gewiss, da wäre die hohe Qualität seiner Prosa. Dass Schuh zu den fähigsten Publizisten deutscher Sprache gehört, wer wollte es bestreiten. Als Kolumnist der ZEIT hat er seit längerem Gelegenheit gehabt, mit Glossen, Miszellen und Essais zu exzellieren.

Die „Blonde Negerin“

Die Einheit der Vielheit ist schön. So sieht es Plato.
Schönheit ist nicht gefällig und Kitsch ist ihr fremd. Nichts spricht dafür, dass sie „unmodern“ sei. Keiner wusste das besser als Brancusi. Das zeigt eine Bronze in Wien: „La négresse blonde“. Sie stellt die Einheit der Vielheit vor Augen – gegen die Logik, ohne Versöhnung. Heraklit, nicht Hegel, steht Pate. Sein Bild vom „gespannten Bogen“ drückt Brancusis Anliegen aus: Das Starre, Gerade ist nicht einmal hässlich. Das einfach Harmonische – plump. Im Goldglanz muss Dreck sein, denn schön ist, was lebt.

Dresdens Klang

Dresdens größtes Geschenk an die Welt ist nicht ein Bauwerk, sondern ein Klang.
Die Sächsische Staatskapelle schöpft ihn aus dreierlei Quellen: Sinfonik, Oper und Kammermusik. Ein einziges anderes Orchester pflegt alle drei Repertoires: die Wiener Philharmoniker. Beide Ensembles zeichnet vor reinen Opernorchestern ein Sinn für m u s i k a l i s c h e – nicht nur dramatische – Spannungen aus; allein an s i n f o n i s c h e m Repertoire kann man ihn schulen. Vor Sinfonieorcherstern – auch vor den besten – die Sanglichkeit der Phrasierung und Humanisierung des Klangs: Die O p e r lehrt beide, Balance und Obertonspektrum nach der menschlichen Stimme zu bilden. Ihr Streicherklang strahlt, doch ohne die Kälte Chicagos und Clevelands und Londons grelle Brillanz. Bassschwerer „deutscher Klang“ nach Münchner und Leipziger Art und Amsterdams uferloses Volumen sind Dresdnern und Wienern ebenso fremd. K a m m e r m u s i k lehrt beide Ensembles z u s a m m e n zuspielen, schlacken- und schwerelos, durchsichtig bis ins Detail. Doch einzig den Dresdnern ist religiöse Inständigkeit eigen. Sie verdankt sich dem pietistischen Erbe des Landes. Ihr Musizieren, voll Hingabe, gleicht einem Gebet. „Engelsharfe“ – so nennt sie Wagner. Die Wiener mögen mehr Farben besitzen und Klangphantasie, frivoler und geistvoller agieren – die Dresdner spielen stets wie um Leben und Tod. Ihr Formsinn und Stilgefühl versagt dabei nie. So schaffen sie beides: Transparenz und Ekstase.

Schönbrunns Größe

Schönbrunn sollte Versailles übertrumpfen – so wollte es Fischer von Erlach. Dann fehlten die Mittel: Schönbrunn ist kaum halb so groß. Durch Schönheit der Lage, Proportionskunst und Farbgeschmack, vor allem Beschränkung der Maße überragt es das Vorbild. K a i s e r l i c h e Architektur trumpft nicht auf. Sie bleibt verhalten, auch in der Pracht, monumental und intim: Nie wurde Wien hausmannisiert. So gleicht es den Bauherren: Habsburg. Welches der großen Geschlechter hätte von Menschlichem, Allzumenschlichem, mehr zu erzählen? Welches sonst weckt Verehrung u n d Zuneigung? Wittelsbach: Nett, provinziell. Hohenzollern: Krautjunker, machtgeil. Bourbonen: Hohle Perücken, häufig debil. Daher das maßlose, öde Versailles.
Schönbrunn ist das Inbild der Größe mit Zartheit, verschatteten Glanzes. So fasst es zusammen, was Wien ist, was Habsburg. Schönbrunn: ein Traum von Österreich.

Celibidache

Ein Missverständnis: Musik ist Ausdruck. Die Widerlegung: Celibidache. Die meinen, Musik stellte dar, als Sprache der Seele, verhöhnt er: Mag sein, Mahler spricht für die Menschheit, aber er spricht. Musik ist ein Jenseits der Zeichen, pythagoreisch: harmonia mundi, die inneren Proportionen der Welt. Musizieren: praktische Ontologie. Daher die Ahnung beim Hören: So ist es. Es geht in Musik, mit Heideggers Worten, um das „Ereignis“: Eines wird Anderes. Eines und Anderes sind immer schon eins. So offenbart sich, „was die Welt zusammenhält“.

Elsheimer

Die kleinsten Gemälde der großen Museen sind im Barock, zu Zeiten Rubens, van Dycks, der Carracci entstanden. In einer Welt der Veräußerlichung, des Theaters, Exzesses schauen sie nach innen. Man halte Elsheimers „Flucht nach Ägypten“ neben den „Höllensturz“ Rubens: Ein Bruchteil der Fläche, vielleicht ein Prozent, doch wie viel länger verweilt dort der Blick.
So lernt man Stille begreifen.

Zumthor

Es gibt eine Sehnsucht nach Einfachem, Klarem. Ein Baumeister weiß sie zu stillen: Die Räume Zumthors sind nichts als sie selbst. Wie wesentlich, schlicht scheinen sie. Das Kunsthaus in Bregenz – es lehrt die Gesetze des Bauens: Die Schwere des Steins und Betons. Das Tragen und Lasten. Die Reinheit der Form. Das Lichte der Hülle.
Wer eintritt, findet sich.

Wiener Oper

Die größten Häuser: Scala, Colón. Die reichsten: Met, Covent Garden. Die besten Sänger: in Zürich. Die Wiener Oper: das erste und vornehmste Haus. Nirgends ist so viel Geschichte: Von Mahler ging die Moderne aus. Nirgends so viel Begeisterung: Die Stehplatzklientel, 500 Habitués, hört jeden Tag Oper, fünf Dutzend Werke im Jahr. Ihr ist das Leben Klang. Drum gilt sie als wildestes, kundigstes Publikum. Das „Haus am Ring“: theatrum mundi.

Bösendorfer

Mit aggressiven Methoden hat Steinway den Weltmarkt erobert, die Vielfalt der Timbres vernichtet. Das ganze Repertoire, ob Bach, ob Boulez, wird im stählernen Steinwaysound exekutiert. Der glockenklare Bösendorfer, für Mozart und Schubert geschaffen, die farbige Zartheit des Bechstein, sie finden kaum noch Gehör: Globalisierung der Klänge.

Kollegienkirche

Weingarten, Einsiedeln, St. Gallen, die großen barocken Abteikirchen Mitteleuropas, bilden sämtlich ein Bauwerk nach: die Salzburger Kollegienkirche. Deutlich lässt sie Fischer von Erlachs Handschrift erkennen: Monumentalität entsteht aus tektonischer Klarheit. Das Dekor tritt zurück hinter die räumliche Form als Erscheinung der kosmischen Ordnung. Der Blick wird zur Mitte gesogen, von dort in die Höhe: Die Vierung trägt, lichterfüllt, einen hohen Tambour. Selten entfaltete Architektur solche zentrierende, weitende, klärende Kraft – zuletzt in der Hagia Sophia.