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Uni-Kino

In dieser Rubrik erscheinen die Vorträge, die die Kolleginnen und Kollegen in Zusammenarbeit mit dem Münchner CinemaxX vor der Aufführung der Filme gehalten haben. Bislang hat es zwei Vortragsreihen gegeben: „Gewalt im Film, Gewalt des Films“ im Wintersemester 2008/09 und „Die Skandalfilme der Filmgeschichte“ im Sommersemester 2009.


Das Leid an der Zeit. Gaspar Noés Skandalwerk Irréversible als zeitbasiertes Filmereignis

Das Liebespaar Marcus und Alex und ihr gemeinsamer bester Freund Pierre besuchen eine ausgelassene Party, wo es, unter Einfluss von Drogen und Alkohol, zum Streit zwischen den beiden Liebenden kommt. Alex verlässt entnervt die Fete. Doch sie kommt nie zuhause an: In einer Unterführung wird sie Zeugin, wie der schwule Zuhälter El Tenia erbost eine seiner Huren attackiert, bevor sie selbst von ihm vergewaltigt und ins Koma geprügelt wird. Die grässliche Schändungs-Szene aus Gaspar Noés Film Irréversible nimmt geschlagene neun Minuten Zeit in Anspruch. Quälende, körperlich empfundene Zeit – und in ihr eine erschütternde und unerträgliche Erfahrung von Nähe, die jede ‘splendid isolation’ des Zuschauers zerstört. Gaspar Noé schert sich einen Dreck um die Distanzübereinkunft des Mediums Film. Das Bild schändet Auge und Psyche.

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Quentin Tarrantino’s Kill Bill und der Zusammenhang von Kino, Gewalt und Rache

Kaum ein anderer Film als Quentin Tarrantinos Kill Bill in seinen zwei Teilen aus den Jahren 2003 und 2004 hat so sehr Eingang gefunden in die Alltagskultur – jedenfalls in meine Alltagskultur. Seit ich die FünfPunkte-Pressur-Herzexplosions-Technik (Five Point Palm Exploding Heart Technique) beherrsche, fällt es mir wesentlich leichter, soziale Konflikte zu bewältigen, seit ich ein Küchenmesser von Hattori Hanzo besitze, das übrigens nicht den Sicherheitsbedingungen des internationalen Flugverkehrs unterliegt, kommen keine Vertreter mehr an meine Haustür, und seit ich einen gelben Lederanzug wie Uma Thurman habe, hat sich mein Weg zur Uni doch erheblich beschleunigt. Ich erzähle Ihnen das nur, weil ich von Ihnen eine entsprechende – wie ich das nennen würde – Rezeptionsdisposition erwarte für den heutigen Abend, für den heutigen Film.

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„How Could They Ever Make a Movie of Lolita?“ Über Stanley Kubricks Lolita

Wenn von Stanley Kubricks Lolita als Skandal-Film die Rede sein soll, dann ist es unvermeidlich, zunächst einen anderen Skandal ins Auge zu fassen, und zwar einen, der den durch den Film ausgelösten an Intensität bei weitem übertrifft: den Skandal um das Buch nämlich, das dem Film zugrundeliegt, also Vladimir Nabokovs Roman Lolita. Der Skandal, den dieses Buch entfesselte – Nabokov selbst sprach von dem „Wirbelsturm Lolita“ –, war unter den nicht eben wenigen Skandalen in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts einer der größten und wirkungsreichsten. Welcher Roman sonst hätte es geschafft, dass nach seinem Erscheinen der Pfarrer einer Kleinstadt, die zufällig denselben Namen trägt wie der Roman, einen Antrag auf Namensänderung – der Stadt, nicht des Romans – gestellt hätte? So geschehen in Lolita, Texas; der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Dass aber damals viele so dachten wie jener Pfarrer, zeigt sich daran, dass der Name Lolita, nachdem er sich in den 1940er Jahren noch auf der Liste mit den tausend beliebtesten weiblichen Vornamen befunden hatte, Ende der 1950er Jahre von dieser Liste verschwand. Nach dem Erscheinen von Nabokovs Roman wollte niemand mehr seiner Tochter diesen Namen geben. Gleichzeitig wurden in aller Welt aber desto mehr Lolita-Bars und Lolita-Nachtclubs eröffnet sowie Lolita-Dessous, Lolita-Kosmetik und Lolita-Sonnenbrillen auf den Markt gebracht; in den 1970er Jahren entstand in Japan sogar eine Lolita-Mode, die sich schnell über den ganzen Globus ausbreitete und von der sich bald eine zweite, unabhängige Bewegung abspaltete: die sogenannte Gothica Lolita-Mode, bei der Accessoires wie Fledermäuse und Kruzifixe eine Rolle spielen. Und von dem, was man im Internet unter dem Stichwort ‚Lolita‘ alles finden kann, wollen wir besser schweigen. Doch auch dies gehört zu den überaus erstaunlichen Rezeptionsphänomenen, die dieser Roman, wie im 20. Jahrhundert wohl in der Tat kein zweiter, hervorgerufen hat.

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Ganz schön gewaltige Bilder Zack Snyder‘s Film 300

300 todesmutige Spartaner metzeln in endloser stereotyper Wiederholung böse Perserhorden, bevor sie selbst den Heldentod erleiden. Daneben gibt’s noch ein bisschen Liebe und Verrat. Zack Snyders Film 300 (2006) erzählt – ohne jegliche political und ohne jede historical correctness – eine Episode aus den Perserkriegen, nämlich die Geschichte der Schlacht bei den Thermopylen im Jahre 480 v Chr., bei der angeblich 300 Spartaner einem übermächtigen Heer von Persern bis zuletzt Widerstand geleistet haben.

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Ein Therapeut und Gentleman

Beginnen wir mit einem Ende. Die Großaufnahme zeigt einen Mann mittleren Alters, der gerade ein Telefonat beendet. „I do wish we could chat longer,“ erklärt er höflich und gibt auch gleich den Grund für den Abbruch des Gespräches an: „I’m having an old friend for dinner.“ Die Doppeldeutigkeit dieser Bemerkung erschließt sich nur demjenigen, der um die Identität des Sprechers weiß. Der distinguierte Herr ist der Serienmörder Hannibal Lecter, genannt ‚Hannibal, the cannibal’. Dieser Spitzname ist Programm: Lecter plant nicht etwa, mit seinem Gast zu speisen. Er hat stattdessen vor, den Gast zu verspeisen.

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Heimkehrer. Über Taxi Driver

Dass der Film eine enge Beziehung zum Mythos oder genauer: zu mythischen Erzählungen verschiedenster Art und Herkunft unterhält, ist bekannt. Um sich klarzumachen, wie eng diese Beziehung im Einzelfall tatsächlich sein kann, genügt es, an ein Projekt wie Star Wars zu denken, das sich sowohl offenkundig mythischer Muster als Modell für seine plots bedient – so begegnet etwa der Kampf des Sohnes mit dem Vater schon in der griechischen und auch in der germanischen Mythologie –, als auch selbst einen neuen Mythos gestiftet hat. Oder man denkt an die in jüngster Zeit so beliebten Filme, die ganz explizit als Mythenverfilmungen angelegt sind wie Troy oder Beowulf. Oder aber man denkt an die zahllosen Beispiele für Filme, die die modernen Mythen der Popkultur wieder- und weitererzählen, wie zuletzt The Dark Knight und Quantum of Solace, oder, als mittlerweile klassisches Beispiel, Kill Bill. Insgesamt wird man sagen können, dass der Film einen nicht geringen Teil seiner Stoffe, Figuren und plots aus den verschiedenen Mythologien dieser Welt bezieht, dass diese also gleichsam zu seinen wichtigsten Energiequellen gehören, und zwar in einem wahrscheinlich höheren Maße, als dies bei der Literatur des 20. Jahrhunderts der Fall ist.

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Das Gute am Bösen. Einführung zu dem Film A Clockwork Orange

Fast 40 Jahre alt ist A Clockwork Orange, einer der berühmtesten und erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte. Bis heute hat er seinen Platz in vielen internationalen Top-Ten-Listen. 1971 unter der Regie von Stanley Kubrick in Großbritannien produziert, wurde er 1972 für mehrere Oscars nominiert (beste Regie, bester Film, bestes adaptiertes Drehbuch, bester Schnitt). A Clockwork Orange erhielt mehrere bedeutende Preise. Dieser Film hat als Kultfilm durchaus Karriere gemacht: Andere Filme oder Fernsehserien zitieren ihn direkt oder indirekt (von Andy Warhols „Vinyl“ bis hin zu den „Simpsons“). Natürlich gibt es längst auch eine Musicalversion von A Clockwork Orange. Musikgruppen benennen sich nach dem Film und die „Toten Hosen“ veröffentlichen 1988 das Album Ein klein bisschen Horrorshow mit dem Titel Hier kommt Alex. Aufnäher, Anstecker, Tätowierungen, alles ist verfügbar.

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Salo oder die 120 Tage von Sodom. Pasolinis radikaler Abgesang auf eine sadofaschistische Kultur

Der Film, den ich Ihnen heute vorzustellen habe, ist – ich scheue mich nicht, dies so unumwunden auszusprechen – ein grandioses Meisterwerk, und er ist furchtbar, schrecklich, quälend, im eigentlichen Wortsinne ekelerregend. Beide normativen Urteile widersprechen sich nicht, sondern haben zugleich im vollen Umfang Geltung. Sie, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, werden gleich Bilder extremer und extrem sexualisierter Gewalt sehen, eingebettet nicht nur in den Rahmen eines faschistischen Terrorregimes, sondern auch eingebettet in eine bisweilen geradezu poetische Bildregie.

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