„How Could They Ever Make a Movie of Lolita?“ Über Stanley Kubricks Lolita

Wenn von Stanley Kubricks Lolita als Skandal-Film die Rede sein soll, dann ist es unvermeidlich, zunächst einen anderen Skandal ins Auge zu fassen, und zwar einen, der den durch den Film ausgelösten an Intensität bei weitem übertrifft: den Skandal um das Buch nämlich, das dem Film zugrundeliegt, also Vladimir Nabokovs Roman Lolita. Der Skandal, den dieses Buch entfesselte – Nabokov selbst sprach von dem „Wirbelsturm Lolita“ –, war unter den nicht eben wenigen Skandalen in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts einer der größten und wirkungsreichsten. Welcher Roman sonst hätte es geschafft, dass nach seinem Erscheinen der Pfarrer einer Kleinstadt, die zufällig denselben Namen trägt wie der Roman, einen Antrag auf Namensänderung – der Stadt, nicht des Romans – gestellt hätte? So geschehen in Lolita, Texas; der Antrag wurde jedoch abgelehnt. Dass aber damals viele so dachten wie jener Pfarrer, zeigt sich daran, dass der Name Lolita, nachdem er sich in den 1940er Jahren noch auf der Liste mit den tausend beliebtesten weiblichen Vornamen befunden hatte, Ende der 1950er Jahre von dieser Liste verschwand. Nach dem Erscheinen von Nabokovs Roman wollte niemand mehr seiner Tochter diesen Namen geben. Gleichzeitig wurden in aller Welt aber desto mehr Lolita-Bars und Lolita-Nachtclubs eröffnet sowie Lolita-Dessous, Lolita-Kosmetik und Lolita-Sonnenbrillen auf den Markt gebracht; in den 1970er Jahren entstand in Japan sogar eine Lolita-Mode, die sich schnell über den ganzen Globus ausbreitete und von der sich bald eine zweite, unabhängige Bewegung abspaltete: die sogenannte Gothica Lolita-Mode, bei der Accessoires wie Fledermäuse und Kruzifixe eine Rolle spielen. Und von dem, was man im Internet unter dem Stichwort ‚Lolita‘ alles finden kann, wollen wir besser schweigen. Doch auch dies gehört zu den überaus erstaunlichen Rezeptionsphänomenen, die dieser Roman, wie im 20. Jahrhundert wohl in der Tat kein zweiter, hervorgerufen hat.

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