Kritik


Dwarf-Mania. Zu ‘La Distancia’ (2013) von Sergio Caballero

Ein Spanier in der russischen Tundra? Ein österreichischer Künstler als Konsumobjekt und Verbrecherkopf gleichermaßen? Drei Zwerge für seinen großen Coup? Das Objekt der Begierde: Der Abstand. Regisseur Sergio Caballero beutet mit seinem zweiten Spielfilm verfügbare Genrekonventionen – vom Heist-Movie über epische Elemente zur klassischen Revenge-Dramaturgie – sowie narrative Denkgewohnheiten schamlos aus, rüttelt einmal kräftig an deren Gerüst und vermengt die visuellen Restbestände zu einer meisterhaft-surrealen Ménage-Fou.

Gleiss_LaDistancia

Mike Cahill: I Origins – Ein Mann zwischen Rationalität und Institution

Wissenschaft oder Religion? Die Frage nach dem Sinn des Lebens oder der Entstehung der Menschheit teilt die Bevölkerung in zwei Lager: Wissenschaftler gegen Gläubige. I Origins von Mike Cahill setzt das Auge, ein einzigartiges Körperteil jedes einzelnen Menschen, als Kreuzung der beiden Richtungen ein. Doch dabei wird schnell klar, ganz so einfach kann man diese beiden Gruppen nicht trennen.

Lenz_Origins

„Mein Leben ist ein einziges Drama.“ Warum Oliver Hirschbiegels Diana nicht nur Kitsch, sondern auch Reflexion einer medialen Präsenz ist.

Als Königin der Herzen wird sie uns immer im Gedächtnis bleiben. Nun schreibt ein neuer Film ihren Mythos fort: Oliver Hirschbiegels Diana erzählt die Liebegeschichte zwischen der einst berühmtesten Frau der Welt, Lady Diana, und dem Herzchirurgen Hasnat Khan. Dabei fängt der Film in dem Moment an, spannend zu werden, als er aufhört, kitschig zu sein, und die Prinzessin von Wales als das zeigt, was sie war: eine Frau, deren Existenz fundamental von Medien abhängig war.

Otto_Diana

Warten auf das Wunder. Zu Terrence Malicks jüngstem Film To the Wonder

Den wahren Malick-Fan kann nichts erschüttern. Oder doch? To the Wonder ist durchaus ein Film mit gewissen Höhepunkten. Doch er offenbart einmal mehr die Defizite des Regisseurs, der zwar ein großer Poet, doch kein großer Erzähler ist. So liefert der Film den Anstoß dazu, die Erzählweise Malicks zu reflektieren, die zwischen dem Verweigern erzählerischer Konvention, dem Suchen nach adäquaten Ersatzmechanismen und dem romantischen Versprechen des ,Symphilosophierens‘ oszilliert.

otto_wonder

Wahrheit statt Wirklichkeit – Quentin Tarantinos großartiger Film Django Unchained als inoffizielle Fortsetzung von Inglorious Basterds

Quentin Tarantino inszeniert historische Wahrheit statt historischer Wirklichkeit; und deswegen zielen sämtliche feuilletonistische Debatten um die vermeintlich nicht sauber recherchierten historischen Details oder die Frage, wie oft wer zu wem in welchem Kontext wann „Nigger” sagt, meilenweit an der Großartigkeit dieses Films vorbei, der weder Genre- noch Historienfilm, weder Arthouse noch Mainstream, weder postmodern noch klassisch, sondern alles irgendwie auf einmal ist: Django Unchained wird in Tarantinos gewaltvoller filmischer Interpretation zu einem Brecht’schen Epos, das Vergangenheit nicht be-, sondern überwältigt; und in seiner politisch unkorrekten Umschrift des Rassismus-Diskurses subversive politische Qualität entfaltet.

gaul_django

Im Hass vereint. Orpheus steigt herab an den Münchner Kammerspielen inszeniert gelungen, wie sehr das Fremde ängstigt und fasziniert

Am 29.09.2012 fand die Premiere von Orpheus steigt herab an den Münchner Kammerspielen statt. Sebastian Nübling inszeniert Tennessee Williams’ Drama als popkulturellen Rummelplatz. Auf der Bühne steht nicht nur ein grell blinkendes Kettenkarussell, es treten auch ein Hund, ein Motorrad und viele toupierte Blondinen auf. Die unangefochtene Aufmerksamkeit gehört jedoch der Hauptfigur Val Xavier, einem Fremden mit Schlangenlederjacke, der sich in das rassistische Milieu der Kleinstadtidylle wagt. Der Estländer Risto Kübar spielt diesen Exoten so schrill, bizarr und durch und durch queer, dass der Theaterabend nicht zuletzt aufgrund seiner Performance ein gelungener ist.

orpheus

Im Labyrinth der ewigen Stadt. Zu Woody Allens Sommerkomödie To Rome With Love.

Während der Herbst in Deutschland Einzug hält, zaubert Woody Allens To Rome With Love noch einmal die Stimmung einer lauen Sommernacht auf die Leinwand. Die jüngste Komödie des amerikanischen Regisseurs ist leicht, amüsant und ein bisschen verrückt. An die Größe seiner letzten cineastischen Europastreifzüge reicht sie jedoch nicht heran. Das Labyrinth ist Motiv und narrative Strategie zugleich – kein Wunder also, dass sich der Film bisweilen in seiner chaotischen Komik verliert.

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Die Wiederentdeckung des gebrochenen Westernhelden in True Grit

Mit den Namen „Coen-Brothers“ verbindet man aufgrund von Filmen
wie The Big Lebowski, No Country for Old Men oder A Serious Man innovatives, spannungsgeladenes und intelligentes Kino, das das gelegentlich stagnierende und zu Konventionen des Massengeschmacks neigende Hollywood belebt bis revolutioniert hat. Auch in dem neuen Film True Grit des Brüderpaars finden sich erfrischende Ansätze einer Dekonstruktion des durch Männlichkeitsmythen bestimmten Westernhelden. Für eine wirkliche Revolutionierung des Genres, die man von Ethan und Joel Coen erwarten könnte, reichen die durchaus unterhaltsamen ironischen Spitzen der Literaturverfilmung des Romans von Charles Portis und Remakes des John Wayne Klassikers von 1969 allerdings nicht aus. Zu sehr bleibt True Grit altbekannten Genrekonventionen treu.

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