Medienobservationen-Sonderausgabe

Realismus und Ökonomie

Hg. von Iuditha Balint, Markus Engelns & Rolf Parr
1. Oktober 2018

Foto: Lyza (Lizenz: CC BY-SA 2.0,
Nachbearbeitung: Martin Hinze)

Die von Iuditha Balint, Markus Engelns und Rolf Parr herausgegebene Sonderausgabe nimmt die Verzahnung des Ökonomischen und des Realismus in den Blick.

Realismus und Ökonomie stehen spätestens seit der Finanzkrise von 2008ff. in einem prekären Verhältnis zueinander. Semantische Analogien sind zwar während und nach der Finanzkrise virulent, sie sind aber weder auf diesen Zeitraum, noch auf diesen Gegenstand begrenzt. Nicht erst in Zeiten digital-mediatisierter Welten gibt es ein Bedürfnis nach physisch erfahrbarer Realität; nach einer ‚Erdung in der Elemen-tarkultur‘. Auch wenn lediglich Realitätseffekte erzeugt werden, stellen viele mediale Produkte Bindeglieder zwischen den de facto anzutreffenden elementar-kulturellen Praktiken und verschiedenen Medien dar.

Jenseits einfacher Gegenüberstellungen von Pragmatismus und einer unkontrollierter Ökonomie, die sich jenseits von Warenströmen längst verselbständigt hat, geht es in diesem Schwerpunkt darum, zu zeigen, wie aus medialen Kontexten heraus und zugleich durch Rückgriff auf eine pragmatisch und als Verfahren verstandene Ökonomie ‚Erdung‘ durch Effekte des Realistischen evoziert wird, und zwar ohne dazu auf die ‚empirische Realität‘ zugreifen zu können. Das bedeutet, ‚Realismus‘ als eine Sammlung medial vermittelter Zeichen zu verstehen, die nicht auf eine außermediale bzw. außerdiskursive Wirklichkeit verweisen (müssen), sondern Realitätseffekte in relativer Unabhängigkeit von der empirischen Realität erzeugen.

Die Ökonomie erweist sich dabei als besonders geeigneter Konstrukteur von Effekten des Realistischen: Als mindestens ebenso psychologisches wie mathematisches Planspiel ist sie nämlich ein System, das sich seines eigenen Status durch Simulationen vergewissert. Es verrechnet abstrakte Entitäten gegeneinander, um am Ende positiv oder negativ bilanzieren zu können. Einen Bezug zu den Bereichen außerhalb ihrer selbst erhält sie vor allem dadurch, dass ihre Regeln zuweilen auf die Realität übertragen werden.

Spielball der Elemente. Zu Geld, Natur und Realismus in den Medien

Im gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs um Geld sind zwei Tendenzen zu beobachten, die sich grundsätzlich gegenüberstehen, sich gleichzeitig aber aufeinander beziehen: Zum einen ist immer wieder die Rede von der Unsichtbarkeit des Geldes, der Nichtfassbarkeit und Unsicherheit nicht nur der neuen Kryptowährungen, sondern auch der elektronischen monetären Transaktionen und Akkumulationen. Zum anderen tauchen in den Medien kontinuierlich Bilder von Bargeld in Verbindung mit natürlichen Materialien auf, wodurch dessen Wert wiederum greifbarer, realer wirkt. Vor allem aber treten durch diese Form der Inszenierung die medialen Qualitäten des Geldes hervor, die im Aufsatz in ihrer visuellen Beziehung zu Erde und Wasser untersucht werden sollen.

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Fernsehformate der ökonomisch-realistischen Singularisierung – Shopping Queen, Bares für Rares, Zwischen Tüll und Tränen

Im Vorabendprogramm sowohl der öffentlich-rechtlichen als auch der privaten Sender gibt es eine ganze Reihe von als Quotenhits geltenden Fernsehserien, die sich gleichermaßen durch eine ökonomische Akzentuierung wie auch eine zur Singularisierung tendierende Profilierung und Selbstdarstellung der Akteure auszeichnen. Es handelt sich dabei um Formate, die dokumentarische Präsentationsformen mit Elementen der Unterhaltung zu Dokutainment kombinieren. Wie dabei die Verzahnung von Ökonomie, Singularisierung und Realismus-Effekten genauer aussieht, wie realistische und ökonomische Prinzipien und Verfahren in diese audiovisuellen Medienprodukte und ihre Inhalte eingehen, wird an ausgewählten Serien aufgezeigt.

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Dinieren in der Apokalypse. Realitäten des Abendessens in Endzeitfilmen

Essen spielt in Endzeitfilmen eine nicht zu unterschätzende Rolle, immerhin müssen die Protagonisten permanent Nahrung finden, um zu überleben. Zugleich hat auch der Genuss lang vermisster Speisen Bedeutung, weil sie an eine Welt des Überflusses erinnern, die im Film schon längst nicht mehr existiert. Der vorliegende Beitrag nimmt die Darstellung feierlicher endzeitlicher Abendessen in den Blick, um zu zeigen, wie in solchen Situationen die als Utopie verklärte Vergangenheit mit der dystopischen Gegenwart verglichen wird, sodass Realität allererst hergestellt werden kann. Im Vergleich zweier einander recht ähnlicher Filmbeispiele kann dabei gezeigt werden, inwiefern das endzeitliche Abendessen sowohl als Grundlage für eine Kapitalismuskritik als auch als Basis für die Erfüllung von Konsum- und Warenversprechen dient.

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Neue Menschen, neue Arbeit, neue Realität. Wirklichkeitskonstruktionen im sowjetischen Stummfilm

In kaum einem filmhistorischen Abschnitt wurden grundlegende filmische Mittel der Einstellungskomposition und Montage so eng zu gesellschaftlichen Realitätskonstruktionen und der Propagierung des (ökonomischen) Fortschritts verwoben wie im Kino der frühen Sowjetunion. Besonders die Werke von Dziga Vertov stehen in diesem Kontext für eine Mischung aus filmischer Dokumentation und Gestaltung einer neuen Wirklichkeit des jungen Sowjetstaates. Vertovs kinematographische Methoden werden hier in ihrer Genese genauer analysiert. Anschließend wird ein Blick auf parallel an-zutreffende Filmformen geworfen, die wiederum ihren Anteil an der Etablierung der ‚Neuen Menschen‘ und der sowjetischen Wirklichkeitskonstruktion haben.

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Der Traum von 18 Trillionen virtuellen Welten: No Man’s Sky zwischen Realismus, Spielspaß und der Leere des Weltalls

Der vorliegende Artikel untersucht die Welten des Computerspiels unter den Vorzeichen von Realismus und Ökonomie, öffentlicher Erwartung und technischer Weiterentwicklung am Beispiel No Man’s Sky. Dieses Spiel wurde aufgrund seiner primär durch automatische Algorithmen gestalteten, in Umfang und Detailgrad einer realen Milchstraße nacheifernden Welt zu einem der am sehnsüchtigsten erwarteten, aber schließlich nach Erscheinen auch am härtesten kritisierten Computerspiele der letzten Dekade. Der Artikel lokalisiert den Hauptgrund für beides in der komplexen Beziehung des Computerspiels zu modernen Konzeptionen von Realismus und Zeitökonomie. Er verfolgt zunächst, wie das Computerspiel im Zuge technischer Entwicklungen immer mehr zum Erfüllungsinstrument einer vollständigen sekundärweltlichen Mimesis (oder deckungsgleichen Realitätsabbildung) stilisiert wurde, und wie es schließlich durch das Novum prozeduraler Weltgestaltung bestehende produktionsökonomische Grenzen der Weltgestaltung zu überwinden schien. Die extrem kritische Rezeption von No Man’s Sky – das als Gipfel dieser revolutionären Entwicklung gehandelt wurde – wird zur Grundlage für eine Untersuchung der Bruchstellen zwischen virtueller Unterhaltung und virtueller Arbeit.

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Verschränkungen ökonomischer Wissensbestände und realistischer Effekte in digitalen Diskursen: Schrauben, schleifen und hobeln an der Online-Enzyklopädie Wikipedia

Der vorliegende Beitrag analysiert Verschränkungen ökonomischer Wissensbestände und realistischer Effekte im digitalen Diskurs der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Neben den Metadiskursen auf den Diskussionsseiten der Wikipedia werden auch die metaphorischen Benennungen von Hilfe-, Spezial- und Gemeinschaftsseiten fokussiert. Zuletzt unter-sucht der Beitrag das Inventar an digitalen Preisen und Orden als Anreizsystem im dynamischen Hypertext der Online-Enzyklopädie.

20181001-Gredel

„Es ist Faust.“ Anne Imhofs Performance auf der Biennale 2017

Der Beitrag geht der These nach, dass in Anne Imhofs „Faust“ eine Verhandlung der medialen Bedingtheit der Gegenwart stattfindet, indem diskursiv die Ausstellungskultur an sich, das Medium des Körpers und die Agency von Betrachter*innen/Zuschauer*innen fokussiert wird. Die Performance kann als eine Auseinandersetzung mit einer Warenlogik von Ausstellungskultur begriffen werden, die den Körper der Performer*innen als Ware und die Zuschauer*innen/Betrachter*innen als Konsument*innen einer ephemere Materialität positioniert.

20181001-Nusser