Jahresarchiv | 2020


Das okkulte Medium und die Aufhebung der Zeit. Zur Einführung in die Thematik.

Das Vorwort führt in die Beiträge ein, die für das Panel Jenseits-Zeit & Geistes Reich. Zeitlichkeit im Okkultismus für den 26. Germanistentag in Saarbrücken entstanden sind. Es bündelt die Thesen, dass im Okkultismus und in damit verwandter Literatur Zeitlichkeit überschritten und dass gerade in der Medienkultur der letzten Jahre und in den Kulturtheorien Positionen erstarkt sind, die in der Wirkung eine große Nähe zu okkultistischen Überlegungen aufweisen.

Dieser Artikel erschien am 21.12.2020 in der Zeitschrift Medienobservationen.
Er ist durch die DNB archiviert. urn:nbn:de:101:1-2020122112161836899335

DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/18872

20201221wolfinger

Susanna Schmida-Wöllersdorfer. Eine vergessene Wiener Esoterikerin.

Susanna Schmida-Wöllersdorfer (1894–1981) war eine österreichische Schriftstellerin, deren Name der literarischen Germanistik und – im weitesten Sinne – der Kulturwissenschaft bislang gänzlich unbekannt geblieben ist. Schmida-Wöllersdorfers Werk verdient dabei eine ausführliche Behandlung nicht nur im literarischen, sondern auch im esoterischen und okkultistischen Diskurs, denn insbesondere ihre Memoiren Die Spuren stellen eine Quelle für interessante esoterische und okkulte Praktiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Überdies hielt Schmida-Wöllersdorfer in ihren Texten Visionen fest, die als wahrer Grenzgang zwischen Literatur und alltagsmystischer Erfahrung anzusehen sind.

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Avantgarde und Geistesgegenwart. Okkultistische Erinnerungspraktiken im Künstlerkreis Der Sturm.

Die Verbindungslinien zwischen Okkultismus und Avantgarde sind bereits vielfach nachgezeichnet worden, Beispiele sind Künstler wie Wassily Kandinsky, aber auch Alfred Döblin, die beide zum Sturm-Kreis gehörten. In welchem Verhältnis Herwarth Walden, der Leiter der avantgardistischen Künstlervereinigung, zu okkulten Praktiken und paranormalen Phänomenen tatsächlich stand, gleicht hingegen einem blinden Fleck. Ausgehend von einem Brief Döblins und den darin berichteten Wahrträumen Nell Waldens soll eine Spurensuche zeigen, inwieweit Walden vor dem Hintergrund seines Kunstideals und des Ersten Weltkriegs eine Art spiritistisches Erinnerungsritual praktizierte.

20201221lorenz

Der Stellenwert der Photographie im Okkultismus Albert von Schrenck-Notzings.

Im Münchner Okkultismus nach 1900 behauptet Albert von Schenck-Notzing eine Sonderstellung durch seine Pionierleistungen auf dem Gebiet der Photographie. Von diesem Befund ausgehend, entwickelt mein Beitrag eine einfache These: Schrenck- Notzings Okkultismus und die ihm eigene Ästhetik ist überhaupt erst ein Produkt der neuen, durch das Medium der Photographie ermöglichten Wahrnehmungsweisen.

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Totenreich als Idylle des Heute. Zeitcollage in Monika Marons Zwischenspiel.

Eine Vielzahl von Phantomen darf in Monika Marons Roman Zwischenspiel in Erscheinung treten. Der eintägige Ausflug der Protagonistin ins Land der Phantastik ermöglicht eine Auseinandersetzung mit ihrer Schuld, ihrem Trauma und ihrer Todesangst. In der vorliegenden Untersuchung des Textes wird ein Blick auf die Zeitstruktur dieser okkultistischen Praxis geworfen, beginnend mit Marons Rekurs auf die literarische Tradition der Idylle, worin sich der Tod re-präsentiert. In der Hinterfragung der Gegenwärtigkeit der Geschehnisse werden die hybridischen Formen der textuellen Darstellung, insbesondere am Beispiel eines menschlichen Hundes, in den Fokus genommen. Abschließend wird die Frage gestellt, ob solche literarisch inszenierten Verfahren des Spiels dem Geist des Okkultismus nahestehen.

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„Einmal hatte ich in dieser Zeit das Erlebnis, tot zu sein.“ Jenseitige Zeitlichkeiten bei Carl Zuckmayer und Thomas Mann.

In Thomas Manns Zauberberg erscheint im Kapitel „Fragwürdigstes“ das Gespenst von Hans Castorps Vetter Joachim Ziemßen in einer Uniform aus dem Ersten Weltkrieg, der zu diesem Zeitpunkt der Romanhandlung noch in der Zukunft liegt. Diese Erscheinung, deren spiritistischer Status im Text ernst genommen wird, wurde in der Forschung lange ignoriert oder als ein Ärgernis wahrgenommen, jedenfalls aber nicht in der Gesamtkomposition des Romans betrachtet, wie Mann das selbst nahegelegt hat. Die Lektüre verdeutlicht einerseits den diskurshistorischen Hintergrund von soldatischen Geistererscheinungen und macht andererseits plausibel, dass das okkulte Material in den Texten von Zuckmayer und Mann zu einer Verdichtung und Verkomplizierung einer Darstellung von Zeit eingesetzt wird.

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“And I shall have to go deeper still” – Die Traum-im-Traum-Struktur in der Sonderfolge “The Abominable Bride” (2016) der BBC-Serie Sherlock.

Die BBC-Serie Sherlock (seit 2010) hat schon mehrfach innovative Darstellungsweisen im seriellen Fernseherzählen etabliert – nicht zuletzt auf formal-gestalterischer Ebene. Der One-off-Film “The Abominable Bride” (dt. „Die Braut des Grauens“, 2016) geht dabei noch einen Schritt weiter: Er spielt weitgehend im Kopf des Protagonisten. Oder doch nicht? Welche Vorstellung von ‚Kopfkino‘ vermittelt er dabei? Dieser Artikel untersucht die Traumkonzeption dieser Sonderfolge. Sie erfüllt serielle intratextuelle Funktionen, steht aber auch im Zeichen komplexer ‚Bewusstseinsfilme‘ wie Inception (2010).

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Verschwörungstheorien, Verschwörungsmythen und ihre Attraktivität

Warum können Verschwörungstheorien überhaupt erfolgreich verbreitet werden? Warum sind Verschwörungstheorien meist äußerst schwer oder gar nicht zu widerlegen? Warum ist es überhaupt möglich, dass sogar ein weitgehend gesichertes wissenschaftliches Wissen bei den Anhängern einer Verschwörungstheorie überhaupt keine Rolle spielt? Gezeigt werden dabei die Erklärungs-Möglichkeiten „konstruktivistischer“ Antworten. Abschließend werden einige Vorschläge skizziert, wie mit Verschwörungstheorien bzw. mit Verschwörungsmythen umzugehen wäre.

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Spürtechniken. Von der Wahrnehmung der Natur zur Natur als Medium – Einleitung

Die vorliegende Sonderausgabe der Medienobservationen knüpft an Diskussionen über Grundfragen an, die einen Teil der Kultur- und Medienwissenschaftler*innen gegenwärtig abermals intensiv beschäftigen: Was sind die Prämissen der Naturwahrnehmung in einer medial durchdrungenen, von menschlicher Gestaltung geprägten Welt, im sogenannten Anthropozän? Der Zusammenhang von Umweltdaten, Sensoren und ihrer Vernetzung fordert die traditionellen Vorstellungen einer Natur- ästhetik heraus, die an einem unverstellten Zugang, einer direkten, unvermittelten Wahrnehmung der Natur (im Sinne des Nicht-Mensch-gemachten) interessiert ist.

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Dem Spüren auf der Spur: Zur Wahrnehmung biologischer und technischer sensorischer Systeme

Das Spüren gilt als eine eher diffuse Form des Wahrnehmens, die sich nicht in die Differenzierung der fünf Sinne einordnen lässt. Damit scheint es für eine Instrumentalisierung wissenschaftlicher Erkenntnis untauglich zu sein. Und dennoch: Insbesondere in den 1960er Jahren werden derartige diffuse, ganzheitliche Wahrnehmungsmodalitäten zum Gegenstand philosophischer Diskussion, als vor allem in der Phänomenologie an der Formulierung gesamtleiblicher Epistemologien gearbeitet wird. Zur selben Zeit beschäftigt sich die Kybernetik in verschiedenen technischen und biologischen Experimentalsettings mit der Frage nach der Wahrnehmung, wobei sie zunächst von der prinzipiellen Isomorphie menschlich-biologischer und technischer Sensoren ausgehen. Auch hier spielt das Spüren als alternative Wahrnehmungsform, die sich jenseits der sensorischen Differenzierungen bewegt, eine Rolle. Der Beitrag setzt beide Diskussionen – die anthropozentrisch-phänomenologische und die technobiologisch-kybernetische – zueinander in Bezug und tastet sie auf Parallelen und Differenzen ab.

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