Miszellen


Böhmischer Klang

Könnte ein Instrument den Klang eines Orchesters charakterisieren – für die Bamberger Symphoniker, vormals „Deutsche Philharmoniker in Prag“, wäre die Bratsche zu nennen: Sie scheinen heller timbriert als alteingesessene deutsche Ensembles, doch matter, weniger seidig und strahlend als Wiens und Dresdens Opernorchester. Ihr Streicherklang ist füllig, wohlfokussiert. Gerundet, voll Wärme das Blech. Beseelt, voller Zartheit der Holzbläserton. Ihr Spiel ist frei von Tiefsinnsprätentionen, von virtuoser Gefallsucht und Frivolität. Es ist ganz Herzlichkeit. Darin liegt sein böhmisches Wesen. In Smetanas „Verkaufter Braut“ kommt seine Eigenart zur Entfaltung: Seit vierzig Jahren ist Kempes Bamberger Aufnahme das Maß aller Dinge im tschechischen Repertoire.

Rosenkavalier

Richard Strauss hat zwei wertvolle: avantgardistische, neutönende Opern geschrieben, „Salome“ und „Elektra“. Das Spätwerk fällt dem 19. Jahrhundert anheim. Drum ist es künstlerisch ohne Belang. So denken kluge Philister. Aber sind Opern am Fortschritt zu messen? Muss Kunst sich stets um das Neue bemühen? Was, wenn sie aller „Programme“ entsagt – um einer zweiten Leichtigkeit willen? Die abgeklärte Konzilianz des „Rosenkavalier“ folgt Mozarts, des ewig Gültigen, Gesetz.

Abbado

Zwei Musiker ragen heraus: Furtwängler, Toscanini. Dieser ist Klarheit, Prägnanz; straffe Tempi, trockener Klang ohne Schlacken. „Cantare“ ruft er den Musikern zu: Verdi als Maß aller Dinge. Jener schafft fülligen Mischklang, weich konturiert. Die Tempi, oft breit, werden elastisch gedehnt, stets nach harmonischer Dichte und emotionalem Gehalt der Musik.
Wagner, Brahms, Bruckner, die späte Romantik sind Furtwänglers Maß.

Der weiß-blaue Himmel

Wer sich Bayern von Franken oder von Schwaben her nähert, die Donau, den Lech überquert, dem geht der Himmel auf. Die Wolken sind tiefer gelagert: greifbar, in Formen, wie von den Asam stuckiert, und türmen sich hoch, wie auf barocken Gemälden. So meint man zu fliegen. Kein Land Europas liegt höher, es sei denn Tirol. Doch das ist von Gipfeln umgrenzt, die Atem und Aussicht einschnüren. Bayern, wie Tibet, liegt hoch und ist weit. Bei Fön scheint der Umriss der Dinge geschärft, zu seltener Klarheit gebracht. Die Welt strahlt dann heller und Himmel und Erde berühren einander.

Tot sparen

Uli Hoeneß ist stolz auf die Finanzen der Bayern: Schuldenfrei, Millionen Gewinn. Da lacht das Herz des Wurstfabrikanten. Doch zählen im Fußball Bilanzen? Die großen Vereine verschwenden ihr Geld. Seit Menschengedenken ist Barça bankrott. Es spielt den schönsten Fußball auf Erden. ManU, Real, heute Chelsea verbrennen Millionen – anders ist Fußball nicht möglich, auf höchstem Niveau. Und Bayern? Ein Ex-Titan, neun brave Balltreter, ein Weltklassespieler – so greift man nicht nach den Sternen. Der schwäbelnde Biedermann mag sich an Zahlenkolonnen erfreuen, Millionen Zuschauer werden enttäuscht. Spektakulär, nicht solide hat Fußball zu sein. Der Zirkus: kein Ort für Sparkommissare.

Oskar Werner

Im Film, im Theater sind „Authentizität“, „Intensität“, manchmal „Coolness“ gefragt. Deswegen konnte Til Schweiger Karriere machen. Doch eines haben Schauspieler seines Schlages niemals gelernt: zu sprechen. Einst war das anders: Schauspiel- war Sprechkunst. Ihr Meister hierzulande: Oskar Werner. Er formte die Laute exakt, wie ausgestochen. Die Silben- und Wortgrenzen verschliff er: Ein wohlartikulierter Tonstrom enstand, mit klug bemessenen
Kadenzen. Die Tempi: flexibel, stets in Entsprechung zum Textsinn. Die Stimme: klar, fokussiert, aber fein modulierend. Der Wiener Akzent, bar alles Dialektalen, ging restlos im Hochdeutschen auf: als Mittel, Vokale zum Klingen zu bringen. Es war das „Burgtheaterdeutsch“. Seit Peymanns Intendanz ist es gefährdet: Regisseure, nicht Dichter und Rezitatoren, beherrschen das Haus. Sie meinen, Text „interpretieren“, „dekonstruieren“ zu müssen. Dergleichen ist oft interessant, manchmal erhellend. Doch eins geht verloren: Die Sprech-, bald auch die Hörkunst.

Feinsinn

15. Juli 1904. Im Schwarzwälder Kurort Badenweiler spielt sich die folgende Szene ab: Doktor Schworer beendet die Untersuchung eines Patienten. Er läßt das Zimmermädchen rufen und bestellt eine Flasche Champagner – vom Feinsten. Auf silbernem Tablett wird der eisgekühlte Champagner gebracht, mit einem Bleikristallglas. Der Arzt öffnet die Flasche, füllt das Glas bis zum Rand und reicht es dem Kranken. Der versteht: So teilen Ärzte mit, daß keine Hoffnung mehr besteht. Der Moribunde leert das Glas in einem Zug. »Daß ich zum letzten Mal Champagner trank, ist lange her«. Er lächelt.
Dies sind die letzten Worte des großen Meisters kleiner Gesten, Doktor Anton Pawlowitsch Tschechow.

Vierzehnheiligen

Zwei Raumformen beherrschen Europas Sakralarchitektur: Lang- und Zentralbau. Die erste geht vom konstantinischen Petersdom aus. Meist nimmt sie die Form einer Basilika an: Das überhöhte Mittelschiff soll Transzendenz vermitteln: den Aufstieg vom Dunkel ins Licht. Die zweite ist heidnischen Ursprungs, das Pantheon ihr vollkommenster Ausdruck: Immanenz wird bejaht. Alle Rotunden, vom Pantheon bis in die Gegenwart, verdanken sich dieser Idee.

Stifter und die Natur

Stifter: der langweiligste aller. So sagt man. In Wahrheit: der Fesselndste. Nur er will Natur lesen. Nicht als Moderner. Als Christ. Er liebt, was ist, weil es Spuren des Göttlichen trägt. Ein alter Gedanke im Katholizismus: Natur ist Gegenwart Gottes und darum der Andacht und Hingabe wert. In Mücken, sagt Thomas, ist Gott. Im Singsang der Vögel: Messiaen. Cézannes Äpfel – ohne Dingfrömmigkeit? Beuys, Merz, de Maria, Goldsworthy: Mehr Weltseligkeit als Moderne. Das Virtuelle? Hier kommt´s auf die wirkliche Wirklichkeit an. Metaphysik? Irrtum. Radieschen sind ebenso schön wie Saturn. „Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche.“ Hofmannsthal: Landsmann Husserls, des Gründers der philosophischen Praxis denkender, liebender Anschauung: Sterbend las Husserl im „Nachsommer“, Stifters Roman des Zur-Welt-Kommens.