Medienobservationen-Sonderausgabe

Fake.

Herausgegeben von Julia Lebe
April 2020

Bild: Johanna Warda

„The FAKE NEWS media (failing @nytimes, @NBCNews, @ABC, @CBS, @CNN) is not my enemy, it´s the enemy of the American People!“ – Donald Trump via Twitter, 17.2.2017

Die Sonderausgabe „Fake“ geht auf die Fachtagung zum Begriff Fake der Studierenden des Masterstudiengangs Film- und Medienkultur-Forschung der LMU am 23.–25. Januar 2019 zurück.

Der Fake-Begriff ist nicht zuletzt wegen seines prominentesten Verwenders Donald Trump ein virulentes Thema und eher negativ konnotiert. Gerade eine medienwissenschaftliche Tagung bietet einen geeigneten Rahmen, um sich dem Themenkomplex rund um den Fake-Begriff aus einer differenzierten und interdisziplinären Perspektive heraus zu nähern. Die einzelnen Beiträge fokussieren demnach nicht nur die journalistische Begriffsdimension der klassischen Zeitungsente oder von Fake News, sondern fragen darüber hinaus nach den zugrunde liegenden Strukturen des Fakes. Die einzelnen Beiträge grenzen den Begriff des Fakes von jeweils gegenteiligen Vorstellungen wie z.B. Authentizität, Originalität, Realität, Wahrhaftigkeit und Wahrheit ab. So lassen sich Parallelen zu weit älteren Fake-Konzeptionen wie der Kunstfälschung, Leoprints in der Mode oder literarischen Erzählweisen ziehen. Ebenso lassen sich zeitgenössische Phänomene wie Mockumentaries, Roboter-Influencer auf Instagram oder ganze Städte, die nachgebaut werden, in diesem Feld verorten.

Die Sonderausgabe eröffnen zwei Artikel, die sich mit dem journalistischen Fake News-Begriff in Zeitungen oder Social Media auseinandersetzen. Valerie von Boehn zeichnet die Begriffsgeschichte der Fake News und ihr aktuelles Vorkommen nach, während Juliane Becker die Möglichkeit aufzeigt, öffentliche Aufklärung im Umgang mit Fake News über ein interaktives Computerspiel zu betreiben. Die folgenden Beiträge arbeiten mit den oben aufgezeigten Fake-Strukturen an diversen Gegenständen. So grenzt Carolina Rachel Felberbaum am Beispiel des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi die Fälschung vom Fake ab. Julia Lebe erarbeitet eine Struktur des Fake-Erzählers in „Faserland“ von Christian Kracht und Jennifer Münster verdeutlicht, dass dem ‚Faken‘ am Beispiel der Architekturnachbildungen in China im Prozess des Medienwerdens nach Joseph Vogl ein generatives Moment innewohnt. Alena Rolinski macht deutlich, dass Fake-Science als Paradigmenwechsel innerhalb der Wissenschaft zu sehen ist. Regine Hader verweist anhand von Instagram-Influencern auf kulturhistorische Umbrüche innerhalb der Mode, die durch Leoprints statt echten Pelzmänteln und Sneaker in Raumfahrtoptik ausgelöst wurden. Auch Johanna Warda beschreibt Fakes auf Instagram. Allerdings liegt ihr Schwerpunkt nicht auf dem Inhalt einzelner Instagram-Posts, sondern auf sogenannten Roboter-Influencern und ihren Accounts. Laura Laabs verdeutlicht, dass im Dokumentarfilm von Jennie Livingston „Paris is Burning“ von 1990 ein Widerspruch zwischen Form und Inhalt eingelagert ist, der hegemoniale Normen unkritisch zu übernehmen scheint, obwohl er seit knapp 30 Jahren fester Bezugspunkt der Gender und Queer Studies ist. Eine andere Seite des Dokumentarfilms und seiner Strukturen zeigt Amelie Völker auf. Sie fragt, weshalb sich das Genre der Mockumentaries die Mittel des Dokumentarfilms aneignet und was diese Gradwanderung zwischen Wahrheit und Lüge ‚faked‘.

Kracht und Trump. Strategien des unzuverlässigen Erzählens.

Eine Brücke von Kracht zu Trump zu schlagen ist an sich abstrus genug, doch kann man noch weiter gehen und Parallelen zwischen Trumps Inauguration und Krachts Poetikvorlesung sehen? Krachts Erzählstrategie aus den 90ern eröffnet die Möglichkeit, eigentlich unvereinbare Inhalte zu erzählen, ohne dabei – wie zuerst vermutet – unzuverlässig zu erzählen. Dieser Erzählgestus, den Kracht selbst bei seiner Inszenierung als Autor aufrechterhält, findet sich auch hinter den Trumpschen Inszenierungen. Dieser Aufsatz möchte das aktuelle politische Geschehen nicht aus journalistischer, kommunikationswissenschaftlicher oder politikwissenschaftlicher Sicht beleuchten, sondern aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Daher kann die Erzählstrategie hinter der Neuen Politischen Kommunikation in Anlehnung an ihren prominentesten Verwender Fake-Erzählen genannt werden.

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Fake It Till You Make It? Künstlichkeit, Konstruktion und Realness in Paris Is Burning

Jennie Livingstons Dokumentarfilm Paris is Burning von 1990 ist seit knapp 30 Jahren ein fester Bezugspunkt der Gender und Queer Studies wie der Filmwissenschaft. Noch immer erweist er sich als produktiv für die Diskussion über Konstruktion und Artifizialität, denn er bringt als Dokumentarfilm über die Drag-Szene im New York der 1980er Jahre sowohl Aspekte der Geschlechterkonstruktion als auch Fragen zur Konstruiertheit bzw. Authentizität des Dokumentarfilms zusammen. Während Paris is Burning die Konstruiertheit von Geschlechter- und Klassennormen thematisch vor Augen führt, scheint im Zusammenspiel von Inhalt und Form allerdings insofern ein Widerspruch eingelagert zu sein, als letztere hegemoniale Normen unkritisch zu übernehmen scheint.

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Raumschiffschuh und Leoprint: politische Dimensionen und Funktion einer Hyperaffirmation der Fälschungen in der Mode

Winter 2018/2019: Auf den Straßen der Metropolen bewegen wir uns modisch zwischen Leopardenherde und Mondexpedition. Im Trend liegen jedoch nicht echte Pelze und echtes Metall, sondern deren exzessiv verfehlte Imitationen. In der folgenden Analyse untersuchen wir Fakefelljacke und Spacesneaker historisch und systematisch in ihrer politischen Dimension. Welche Funktion erfüllt deren gegenwärtiger, hyperaffir- mativer Umgang mit der Fälschung? Wir erforschen, wie die Modefälschung ihr reflexives und subversives Potenzial aktiviert, wenn sie tradierte Motive der Macht vom antiken Orient bis zum Kalten Krieg sowie der Geschlechterkonventionen und der Entgegensetzung von Orient und Okzident ästhetisch verhandelt.

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Fake News spielend enttarnen? Aktuelle Ansätze der Gaming-Industrie

Der Kampf gegen Fake News gleicht dem endlosen Kampf gegen die Hydra: Kaum ist ein Kopf abgeschlagen, wachsen zwei neue nach. Nachrichtenportale, Rundfunkanstalten und private Organisationen haben es sich daher zum Ziel gesetzt, ihre Leser- und Hörerschaft für gefakte Informationen zu sensibilisieren. Das ist sehr sinnvoll, aber oft auch äußerst trocken und belehrend. Einen anderen Ansatz verfolgt das Serious Game Bad News: Es versetzt den Spielenden in die Rolle eines Fake News-Tycoons und bringt ihm so die Strategien echter Fake-News-Schaffenden näher. Der vorliegende Artikel soll aufzeigen, welche Möglichkeiten und welche Limitierungen der Gebrauch von Serious Games im Kampf gegen Fake News bietet.

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„Schwedische Wissenschaftler haben herausgefunden…“ – Fake Science als Symptom eines Paradigmenwechsels in der Wissenschaft?

Fake Science wird zunehmend zu einem Problem für die Wissenschaft. Raubverlage sind ein Symptom. Der wachsende Einfluss der Wirtschaft auf wissenschaftliche Forschung führte zu Fake Science und droht das System nachhaltig zu destabilisieren. Um die aktuellen Entwicklungen besser zu verstehen, sollen in diesem Beitrag vor allem die durch Digitalisierung und Ökonomisierung bedingten Hintergründe der Entstehung von Fake Science aufgeschlüsselt werden.

20200411rolinski

Belebte Fakes – Architekturnachbildungen in China

In China werden immer wieder westliche Städte und Denkmäler nachgebaut, doch sie sind mehr als nur ein weiteres Beispiel für Chinas Kopierfertigkeiten. Vielmehr entpuppen sich die Städte als Erlebnisse, in denen der Fake im Prozess des Medienwerdens nach Josef Vogl nachvollzogen werden kann. Die Fake-Orte sind keine Zeugen einer Verwestlichung Chinas, sondern generativ.

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„Die Kunst der Fälschung“ Wenn es der Experte verifiziert… Echter Fake in der bildenden Kunst. Besitzt ein gefälschtes Kunstwerk eine Aura?

Kunstfälschungen sind so alt wie die Kunst selbst, Kunstfälscher betrogen bereits in der Antike ihre Kunden. Doch ab wann spricht man von einer Fälschung? Und wann von einem Fake? Am Beispiel des Kunstfälschers Wolfgang Beltracchi und seinem Millionenclou soll untersucht werden, inwiefern Totalfälschungen nach der Definition von Walter Benjamin eine Aura besitzen.

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Fake statt Fakt – wie Fake News uns beeinflussen

Der Begriff Fake News ist in aller Munde, spätestens seit dem US-Wahlkampf 2016. Fake News werden medial diskutiert, aufgedeckt, revidiert und als Gefahr für unsere Demokratie angeprangert. Dabei handelt es sich um kein neues Phänomen. Wieso erst jetzt der Diskurs? Was macht falsche Nachrichten zu Fake News? Können sie wirklich die Meinung beeinflussen? Und haben sie womöglich auch eine positive Seite?

20200411boehn