Jahresarchiv | 2018


Verschränkungen ökonomischer Wissensbestände und realistischer Effekte in digitalen Diskursen: Schrauben, schleifen und hobeln an der Online-Enzyklopädie Wikipedia

Der vorliegende Beitrag analysiert Verschränkungen ökonomischer Wissensbestände und realistischer Effekte im digitalen Diskurs der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Neben den Metadiskursen auf den Diskussionsseiten der Wikipedia werden auch die metaphorischen Benennungen von Hilfe-, Spezial- und Gemeinschaftsseiten fokussiert. Zuletzt unter-sucht der Beitrag das Inventar an digitalen Preisen und Orden als Anreizsystem im dynamischen Hypertext der Online-Enzyklopädie.

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„Es ist Faust.“ Anne Imhofs Performance auf der Biennale 2017

Der Beitrag geht der These nach, dass in Anne Imhofs „Faust“ eine Verhandlung der medialen Bedingtheit der Gegenwart stattfindet, indem diskursiv die Ausstellungskultur an sich, das Medium des Körpers und die Agency von Betrachter*innen/Zuschauer*innen fokussiert wird. Die Performance kann als eine Auseinandersetzung mit einer Warenlogik von Ausstellungskultur begriffen werden, die den Körper der Performer*innen als Ware und die Zuschauer*innen/Betrachter*innen als Konsument*innen einer ephemere Materialität positioniert.

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The Sinner (2017). Klassischer Krimi oder Aufklärung eines Tabubruchs

Oberflächlich erzählt THE SINNER die Geschichte des Kriminalpolizisten Harry Ambrose, der die wahren Motive hinter dem mysteriösen Mord von Cora Tanetti an einem anderen Badegast sucht. Ein verdrängtes Trauma und ihre Kindheit voller Buße, Enthaltsamkeit und religiösem Fanatismus seitens der Mutter scheinen der Auslöser gewesen zu sein. Polizei und Justiz bringen somit Licht in Coras nebulös, religiös verwobenes Unterbewusstes und sorgen für die empirische Aufklärung des Falls. Eigentlich jedoch – so meine These – werden in THE SINNER mystische Opferfeste, Totems und Tabus verhandelt. Allerdings stehen sich Magie und Ratio nicht unversöhnlich gegenüber oder vermischen sich gar. Vielmehr wird der Mord als Überschreitung der innerdiegetischen Rechtsordnung, parallel zu den Tabubrüchen in der Tiefenstruktur verhandelt. Werden durch diese Parallelführung etwaige Grenzen und Sanktionssysteme einer – wenn man so will – magischen (Rechts-?)Ordnung durchdekliniert?

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Allzumenschliche Verbrechen. Zur Anthropologie des Kriminalgenres

Der Deutsche scheint eine Schwäche für Krimis zu haben. Mit der Erstausstrahlung einer Tatort-Folge im Jahr 1970 begann eine bis in die Gegenwart andauernde Erfolgsgeschichte. Etwa 9 Millionen Menschen schalten jeden Sonntag Abend den Fernseher an: Tatort-Zeit. Der weniger kriminalaffine Zuschauer muss sich dieser Vorliebe beugen. Denn auch wer sich von Montag bis Samstag in der Hauptsendezeit vor allem durch das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender zappt, scheint oft nur zwei Möglichkeiten zu haben: sich auf einen der Fälle einzulassen oder zum guten alten Buch zu greifen. Aber auch der krimischeue Leser sieht sich zunehmend in Bedrängnis: In den Buchhandlungenerweitert die Kriminalliteratur ihr Territorium, begründet Festivals, bevölkert Lesungen – ja, es entsteht häufig der Eindruck, als dominiere sie den Buchmarkt. Beruhtder Erfolg dieser Gattung ausschließlich auf unserer Faszination für das Abgründige und Rätselhafte?

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Kein Ausweg aus der Mi-seri(e)! Das Endlose Erzählen einer Endlichkeit in The Walking Dead

Ein tödlicher nicht abklingender Virus hält immer noch an, greift um sich, legt im außergewöhnlichen Maße weite Teile der Bevölkerung flach und lässt die Infizierten auf dem Zahnfleisch kriechen. Wirkt dieses Bild für die Beschreibung einer grassierenden Grippewelle hypochondrisch übertrieben, so untertrieben wirkt jene Beschreibung hingegen, wenn man der postapokalyptischen Endlosserie THE WALKING DEAD (USA 2010 ff.) auf den Zahn fühlt. Spätestens nach der achten Staffel von THE WALKING DEAD stellt man ernüchtert fest, dass die erste Staffel es auch getan hätte. Doch so zäh diese Serie auf einen wirken mag, drängt sie gerade wegen ihres frappanten Zuschauererfolgs zu einer Reflexion des ihr zu Grunde liegenden Zeitkonzepts. Es ist nämlich fast schon beeindruckend wie zäh sich die Serie entsprechend der Zombie-Gangart dahinschleppt und sich trotz enormer Handlungsarmut so lange am Leben halten kann, ohne dem Zuschauer einen Ausblick auf ein potenzielles Ende zu bieten. Wie lässt sich der merkwürdig geartete Überlebenstrieb dieser Serie medientheoretisch fassen, der an einem Schrecken ohne Ende mehr Gefallen findet als an einem Ende mit Schrecken? Wie kann eine postapokalyptische Narration, die bereits mit dem Ende beginnt erfolgreich einem Serienende aus dem Weg gehen? Diesen Fragen geht der folgende Essay nach.

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American Dreaming Reloaded. Vom Sein zum Tode zur Lust am Leben – Lana del Rey preist in ihren melancholischen Retro-Oden bittersüße Freiheit und Hedonismus sowie ein überkommenes Frauenbild

Vier Alben hat die amerikanische Popballaden-Sängerin mittlerweile an die Spitze der internationalen Charts platziert. Lust for Life (2017) will mit dem bewährten Konzept brechen. Mit Born to Die (2012) hatte Lana del Rey eine eigene Marke in der Musiklandschaft etabliert. Melodramatik und suizidale Atmosphäre, erzeugt durch eine tragische Stimme, „reflektierenden“ Sprechgesang, flächige Synthesizer, verschattete Texte über Verlustängste in der Liebe, menschliche Endlichkeit und Einsamkeit, nicht zuletzt entschleunigte Bewegungen in den Musikvideos, bilden die Charakteristika ihrer Songs. Del Rey scheint die verdrossene amerikanische Hausfrau in ihrer narkotisierenden Vorstadtwelt zu porträtieren, ein Sinnbild der „Müdigkeitsgesellschaft“ (Byung-Chul Han), – oder wie die ZEIT titelte: „Ihre Liebe fault in der Sonne“. Die unglücklichen Lebens- und Liebesgeschichten münden in die Todessehnsucht aus dem irdischen Jammertal. – Verkündet die strahlende Sängerin auf dem jüngsten Albumcover die Abschaffung des Grübelzwangs? Das verbindende Glied zwischen Schwer- und Lebensmut bleibt der Lobgesang auf den amerikanischen Traum, den es nun nicht mehr in seinem Verlust zu betrauern, sondern für die Zukunft zu beschwören gilt, der Jetzt-Zeit zum Trotz.
Eine Retrospektive.

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