Jahresarchiv | 2006


Schönbrunns Größe

Schönbrunn sollte Versailles übertrumpfen – so wollte es Fischer von Erlach. Dann fehlten die Mittel: Schönbrunn ist kaum halb so groß. Durch Schönheit der Lage, Proportionskunst und Farbgeschmack, vor allem Beschränkung der Maße überragt es das Vorbild. K a i s e r l i c h e Architektur trumpft nicht auf. Sie bleibt verhalten, auch in der Pracht, monumental und intim: Nie wurde Wien hausmannisiert. So gleicht es den Bauherren: Habsburg. Welches der großen Geschlechter hätte von Menschlichem, Allzumenschlichem, mehr zu erzählen? Welches sonst weckt Verehrung u n d Zuneigung? Wittelsbach: Nett, provinziell. Hohenzollern: Krautjunker, machtgeil. Bourbonen: Hohle Perücken, häufig debil. Daher das maßlose, öde Versailles.
Schönbrunn ist das Inbild der Größe mit Zartheit, verschatteten Glanzes. So fasst es zusammen, was Wien ist, was Habsburg. Schönbrunn: ein Traum von Österreich.

Celibidache

Ein Missverständnis: Musik ist Ausdruck. Die Widerlegung: Celibidache. Die meinen, Musik stellte dar, als Sprache der Seele, verhöhnt er: Mag sein, Mahler spricht für die Menschheit, aber er spricht. Musik ist ein Jenseits der Zeichen, pythagoreisch: harmonia mundi, die inneren Proportionen der Welt. Musizieren: praktische Ontologie. Daher die Ahnung beim Hören: So ist es. Es geht in Musik, mit Heideggers Worten, um das „Ereignis“: Eines wird Anderes. Eines und Anderes sind immer schon eins. So offenbart sich, „was die Welt zusammenhält“.

Elsheimer

Die kleinsten Gemälde der großen Museen sind im Barock, zu Zeiten Rubens, van Dycks, der Carracci entstanden. In einer Welt der Veräußerlichung, des Theaters, Exzesses schauen sie nach innen. Man halte Elsheimers „Flucht nach Ägypten“ neben den „Höllensturz“ Rubens: Ein Bruchteil der Fläche, vielleicht ein Prozent, doch wie viel länger verweilt dort der Blick.
So lernt man Stille begreifen.

Zumthor

Es gibt eine Sehnsucht nach Einfachem, Klarem. Ein Baumeister weiß sie zu stillen: Die Räume Zumthors sind nichts als sie selbst. Wie wesentlich, schlicht scheinen sie. Das Kunsthaus in Bregenz – es lehrt die Gesetze des Bauens: Die Schwere des Steins und Betons. Das Tragen und Lasten. Die Reinheit der Form. Das Lichte der Hülle.
Wer eintritt, findet sich.

Örkény Istváns Egyperces Novellák oder: Die Moral der Kürze. Versuch einer Annäherung

Örkény István zählt zu den herausragenden ungarischen Autoren der Moderne. Ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod ist er im Ausland nahezu unbekannt. Das ist bedauerlich, denn Örkény ist Wittgensteins Bruder im Geiste. Beide treten ein für die Moral der Kürze. Wir gehen Örkénys Eigenart nach – und seiner Bindung an die ungarische Kultur. Unser Augenmerk gilt den Egyperces Novellák (Minutennovellen).

Gibt es unheimliche Musik? Ein Antwortversuch

Es gibt das Unheimliche in der Musik – überall dort, wo die Brüchigkeit der musikalischen Weltordnung aufscheint, zumal in solchen Klängen und Modulationen, die de iure unzulässig sind, aber wie nebenbei zu Gehör gebracht werden, als Teil des musikalischen Alltags. Dergleichen ist weit unheimlicher als effektsichere Soundtracks zu Mystery-Filmen und allerlei Kakophonien. Mephisto ist kein Schreihals.

Die Münchner Pinakothek der Moderne. Eine Bilanz nach vier Jahren

Die Münchner Pinakothek der Moderne gilt als wichtigster Museumsneubau der letzten Jahre in Europa. Ihre Bedeutung bemisst sich zunächst nach Ausstellungsfläche und Renommee der Sammlungen: der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der Designschau Neue Sammlung, des Architekturmuseums der Technischen Universität und der Staatlichen Graphischen Sammlung. Doch auch die Leistung Stephan Braunfels’, des Architekten, wird gerühmt: Ihm sei der überzeugendste Museumsbau seit langem gelungen. Wir wollen dieses Urteil kritisch prüfen.

Duchamp, Kosuth, Neo Rauch – Wie die Welt dem Künstler abhanden kam (und ob er sie wiederfand)

Von Duchamp geht eine der prägenden Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts aus: Konzept-Kunst. Sie will die Materialität des Kunstwerks transzendieren. Auf die Idee kommt es an. Bei Duchamp sind es Ideen von Welt. Bei Kosuth Ideen von Kunst: Kunst wird „tautologisch“, die Welt kommt ihr abhanden. Es entsteht eine Leere. In den 90er Jahren wird sie gefüllt – durch die figürliche Malerei der Neuen Leipziger Schule.

„Renaissance des Erzählens”? – Eine Fußnote zur Gegenwartsliteratur mit Blick auf John Barth

Zu den einflussreichsten Wortmeldungen zeitgenössischer Literaturtheorie zählen zwei ‚klassisch’ zu nennende Essais aus der Feder John Barths: The Literature of Exhaustion (1967) und The Literature of Replenishment (1979). Wenn die neue ‚Lust’ an (konventionellen) erzählenden Formen dingfest gemacht werden soll, werden sie häufig zitiert. Darüber hinaus reklamiert man sie für den ‚Postmoderne’-Diskurs. Beide Lesarten gehen in die Irre: Die erste, weil Barth keineswegs für eine Kunst des Romans nach Art des 19. Jahrhunderts eintritt, die zweite, weil seine Essais wenig geeignet erscheinen, der sog. ‚Postmoderne’ Kontur zu verleihen.

Flugzeuge im Bauch oder: wie entscheiden wir über Verschwörungstheorien?

Dieser Aufsatz setzt sich mit der Argumentationsweise konspirologischer Autoren auseinander. Im Vordergrund steht dabei das Buch „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ von Mathias Bröckers und Andreas Hauß. Im Vorwort betont Bröckers, er wolle lediglich als „Dokumentarist“ und seinerseits gerade nicht „Konspirologe“ auftreten. Im Folgenden soll demgegenüber allerdings gezeigt werden, dass die Autoren nicht als Kritiker von Verschwörungstheorien auftreten, sondern sich vielmehr an ihrer Verbreitung beteiligen.