Jahresarchiv | 2016


Amakasu, für Film zuständig. Stil und Medienreflexion in Christian Krachts Die Toten (2016) mit einem Seitenblick auf Bertoluccis Der letzte Kaiser (1987)

In Christian Krachts Roman Die Toten spielt der Film eine eigentümliche Rolle. Der Film soll – so die Geschichte, die in den frühen dreißiger Jahren spielt – mit seinen ureigenen medialen Möglichkeiten zu der totalitären Idee einer politischen oder gar militärischen Hegemonie in einer Achse zwischen Berlin und Tokyo beitragen. Der Beitrag stellt die Frage, welche Rolle angesichts einer solchen Aufgabe die literarische Eigenqualität des Romans beansprucht; und die Antwort, die er skizziert, lautet: Die Literatur kann den Film zumal vor diesem historischen und theoretischen Hintergrund umso besser transparent machen, je stärker sie auf das mediale Fundament setzt, das sie exklusiv auszeichnet: nämlich ihren Stil. So zeigt der Beitrag, wie Kracht abermals einen Roman geschrieben hat, in dem stilistische und narrativen Qualitäten sich zu einem Meisterwerk zusammenfügen.

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“Aber wir sollen uns nicht beruhigen!”. Nachruf auf Ilse Aichinger

Sie hat sich in die Literaturgeschichte mit Texten eingeschrieben, die nicht eingängig sind, sich in keiner Weise in eine literarische Schule einordnen lassen. Hermetisch, enigmatisch, opak, bizarr scheint ihr literarisches Erbe. Es macht das Widerständige, Paradoxe und Absurde der Existenz so eindrücklich bewusst, dass es am Ende nur diese Bewusstheit selbst sein kann, aus der noch Hoffnung erwächst. Der in jedem Augenblick er-lebten absurden Existenz begegnete Aichinger mit einer bescheidenen, in poetischer Hinsicht aber nur scheinbar leisen Revolte der Hoffnung.

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„We don’t submit to terror. We make the terror.“ Szenarien und Erprobung des Ausnahmezustands in Medien der Populärkultur

Der Beitrag untersucht, wie und unter welchen Voraussetzungen in den Medienangeboten der Populärkultur der Ausnahmezustand inszeniert, erprobt und reflektiert – und damit auch etwas antizipiert wird, was in der Politik aus verfassungsrechtlichen Gründen (noch) undenkbar ist. Er geht dabei auch auf das Spannungsverhältnis zwischen fiktionalen Plädoyers für den Ausnahmetzustand und politischen Rhetoriken, die mit dem Ausnahmezustand spielen, ein. Dabei soll deutlich werden, dass die Fiktion mit dem Ausnahmezustand schon längst ernst gemacht hat, wo die Politik den Ausnahmezustand ausschließen muss.

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Ins finstere Herz der Präsidentschaft: wo Demokratie und Totalitarismus ununterscheidbar werden. Zum Ende der vierten Staffel House of Cards

Der Beitrag versucht einige der Bezüge (Volkssouveränität, totaler Krieg, Staatsterrorismus) in den programmatischen Äußerungen der Figur des US-Präsidenten Frank Underwood am Ende der letzten Folge der vierten Staffel in der Serie House of Cards aufzudecken. Die politischen Implikationen, die sich daraus ableiten lassen, lassen die Serie als einen neuen medialen Ausdruck von moderner, aber auch hochproblematischer politischer Theorie verstehen, denn hier wird der Zusammenfall von parlamentarischer Demokratie mit ihrem Gegenteil, dem Totalitarismus in Gestalt einer attraktiven Spielhandlung vorgeführt.

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Imaginäre Palimpseste. Beobachtungen und biographische Exkurse zu Batman v Superman

Es ist immer spannend, wenn ein Film es schafft, zu polarisieren. Der mediale ‚fallout‘, der sich im Fahrwasser von Zack Snyders Batman v Superman: Dawn of Justice (2016) über Feuilletons, Kommentarseiten, Blogs und soziale Netzwerke zieht, erscheint aber auf sehr merkwürdige und widersprüchliche Weisen beispiellos. Kritiker bemängeln Snyders inkohärente Erzählweise und sein problematisches Figurenverständnis, zumeist mit Rückgriff auf ungeklärte Begriffe wie ‚Videospiel-‘ oder ‚Videoclip-Ästhetik‘. Dieser Artikel sucht nach Möglichkeiten, stattdessen eine tatsächliche Transformation filmischer Erzählweisen beschreibbar zu machen, indem er die Handlungs- und Figurenlogik von Batman v Superman in einer biographisch geprägten Leseweise mit Entwicklungen im Superheldencomic kurz vor und nach der Jahrtausendwende kontrastiert.

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Jan Böhmermanns Provokationen. Eine Medientheorie der Satire

Dass aus Satire ein politischer Ernstfall wird, ist keine Seltenheit, wie etwa der Streit um die Mohammed-Karikaturen oder der Anschlag aufdie französische Zeitschrift Charlie Hebdo beweisen. Im Fall deraktuellen Debatten über das satirische Werk Jan Böhmermanns undmöglicher rechtlicher Konsequenzen zeigen sich jedoch neue Facetten: Der Kunst- und der Rechtsdiskurs verstricken sich derart, dass eineLösung nur gefunden werden kann, wenn man sich auf einengemeinsames Medienverständnis einigt. Doch wie kann das gelingen?

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Kunst = Realität + x? Auf der Suche nach einer Gegenständlichkeit des Hyperrealismus

Mit dem Begriff Hyperrealismus erfasst die Hermeneutik eine spezifische Art der Ästhetik – und zwar die einer übertriebenen Realitätssimulation. Insbesondere im 21.Jahrhundert tritt diese Erscheinungsform in diversen populärkulturellen Artefakten wie auch in Malerei, Theater, Film und Fernsehen auf und liefert damit Fallbeispiele, die an den philosophischen Diskurs (Baudrillard etc.) anknüpfen. Allerdings finden sich ästhetische auch dramaturgische Vorreiter dieser Strömung bereits im Naturalismus des 19. Jahrhunderts oder im Fotorealismus des 20. Jahrhunderts, die allesamt ihre Arbeiten mit idealistischen Zielen verknüpfen. Welche Ziele verfolgt diesbezüglich der Hyperrealismus des 21. Jahrhunderts? Um derartigen Fragen auf den Grund zu gehen, wählt dieser Artikel die Herangehensweise, den Hyperrealismus als distribuierte Ästhetik aufzufassen.

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Donald Trumps House of Cards

Zunächst amtiert Frank Underwood als Majority Whip im Repräsentantenhaus, dann wird er zum Vizepräsidenten ernannt und schließlich rückt er ins Amt des Präsidenten auf. Geschildert wird diese Karriere in der grandiosen Netflix-Serie House of Cards. Sie kann den Blick schärfen für die derzeitigen Vorwahlen um die Präsidentschaft in den USA, als deren auffälligster Kandidat sich längst Donald Trump etabliert hat. Ihn und Frank Underwood vergleicht der vorliegende Artikel im Hinblick darauf, wie Donald Trump auf Unentscheidbarkeiten reagiert, die die Komplexität des politischen Lebens in der modernen Gesellschaft mit sich bringt.

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Empathie-Maschinen? – Soziale Folgen der Verbreitung von Virtual-Reality-Datenbrillen

Virtual-Reality-Technologien setzen sich zum Ziel, die Unterscheidung zwischen natürlicher und virtueller Realität in dem Sinne aufzuheben, als dass Erlebnisse in der virtuellen Realität wahrgenommen und emotional erfahren werden sollen, als hätten sie sich in der natürlichen Realität ereignet. Insbesondere VR-Datenbrillen mit Bewegungserkennung sind in der Lage, starke Präsenzgefühle sowie eine enorme Intensität der Immersion zu erzeugen. Sie erlauben es Nutzern, aus der Perspektive eines Avatars, mit welchem eine starke Identifikation stattfindet, agieren und virtuelle Handlungszusammenhänge sowohl kognitiv als auch emotional nachvollziehen zu können. Mit der Bezeichnung „empathy-machines“ soll das gesellschaftsverbessernde Potenzial der neuen Technologie umrissen werden. Daran anschließend untersucht der folgende Aufsatz aus einer medienpsychologischen sowie techniksoziologischen Perspektive, inwiefern VR-Datenbrillen die Fähigkeit zur Empfindung von Empathie steigern können. Ganz entscheidend ist dies von der Entwicklung und Anwendung von serious games abhängig, welche den Spieler in die Erfahrungswelt von Fremdgruppen hineinversetzen. Die Nutzung von VR-Technologien macht jedoch auch in verstärktem Maße Isolationsarrangements erforderlich, in welche Personen sich begeben müssen, um digital erzeugte Stimuli auf sich wirken lassen zu können. Dies schottet die Nutzer von ihrem sozialen Kontext ab und verringert damit das, was umgekehrt gefördert werden sollte, nämlich soziale Kohäsion.

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Die Lorbeeren des Caesar. Was die Philosophie im neuen Film Hail, Caesar! (2016) der Coen-Brüder verloren hat

Film-Philosophie im Film: das ist manchmal so, als ob man in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, deren Existenz man sich nicht sicher sein kann. Den Coen-Brüdern gelingt es, solche Denkzettel in ihre Filme zu schmuggeln, ohne dabei das Vergnügen beim Anschauen zu mindern. Und wie das geht: durch ein kapriolenhaftes Erzählen, das den Film selbst zum heiklen Helden macht, der lustig an sich selber leidet. In „Hail, Caesar!“ (2016) kann man das mit großem Genuß am plotless plot, am Genre-Looping und an einem berühmten Echtzeit-Philosophen verfolgen, den es nach Hollywood verschlagen hat.

Braun_Coen