Jahresarchiv | 2017


Der Bunker als Monitor – Unbreakable Kimmy Schmidt und die Ästhetik der Hysterie im Fernsehen

Fernsehen wurde durch seine der Hysterie vergleichbare Begehrensstruktur des Gesehen-werden-wollens bereits als psychopathologischer Komplex beschrieben. Meine Überlegungen zur Traumaerzählung in Unbreakable Kimmy Schmidt und der daraus hervorgehende Vorschlag einer Hysterie-Ästhetik knüpfen an ebendiese Affinität zwischen Fernsehen und Trauma an. Unbreakable Kimmy Schmidt übt sich im hysterisch-performativen Vorgang der (Bild- und) Affektsimulation, wendet die traumatisch-pathologische Struktur der (inhärent seriellen) Wiederholung an und schreibt diese damit nicht nur strukturell der innerdiegetischen Traumaerzählung Kimmy Schmidts ein, sondern reflektiert darüber hinaus die Funktionsweisen des Mediums Fernsehen.

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Das Melodrama und das notwendige „Andere“. Ressentimentalität als Zugang zur melodramatischen Konstellation. Eine Notiz zu einer wegweisenden Überlegung

Die melodramatische Konstellation von Rollen in Film und Theater (in abgemilderter Form auch in der Literatur) und die fatale Verquickung des Bemühens der Figuren um Kontrolle und Verlust sind oft als genuine Qualität der melodramatischen Erzählung und der mit ihr zugleich ermöglichten Konstitution der bürgerlichen Konzeption des Subjekts angesehen worden. Allerdings zeigt sich unter anderem Blickwinkel das Melodramatische als ethische Diskursformation, in der ein notwendiges „Anderes” als den Figuren entgegenstehende Wertkategorie im Spiel ist, der die Frage nach der Sentimentalität insbesondere der Schlüsse neu stellt.

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Die Krise eines Furchteinflößenden. Le Redoutable (2017) über Jean-Luc Godard

Michel Hazanavicius Film Le Redoutable über einen kurzen Lebensabschnitt des Filmvisionärs Jean-Luc Godard lief bereits auf den Filmfestspielen von Cannes und war auch Teil des Programms des Münchner Filmfestes 2017. Kritiker, Professionelle wie Laien, zeigten sich jedoch bis jetzt oftmals gespalten in Hinsicht auf das neue Werk des französischen Regisseurs, der die Filmgeschichte bereits im vielgefeierten Stummfilm The Artist oder in den James Bond-Persiflagen um den Agenten OSS 117 behandelt hat. Denn entgegen aller Erwartungen ist der Film keine Hommage, die eine lebende Legende feiert, sondern die komödiantische Darstellung einer künstlerischen, beruflichen und privaten Krise, die den doch so unerreichbaren Regisseur von seinem Podest hebt. Aber ist dies wirklich ein Sakrileg oder vielleicht sogar genau der richtige Weg, sich diesem Provokateur der Filmgeschichte zu nähern?

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Sie haben mich zum Weinen gebracht! Lisa Azuelos Dalida-Film, mit einem Seitenblick auf Olivier Dahans Piaf-Film La vie en rose

Der Film Dalida von Lisa Azuelos, der im Sommer des Jahres 2017 auf dem Münchner Filmfest als deutsches Preview lief und die Geschichte der italienisch-französischen Schlagersängerin Dalida erzählt, kam in der Kritik bisweilen nicht gut weg. Seine Strategie, die Zuschauer emotional anzusprechen, so der Tenor einiger Rezensionen, versagte. Die folgenden Überlegungen wollen zeigen, dass ein solches Urteil wohl eher auf die analytische Betrachtung einzelner Komponenten dieser Strategie zurückzuführen ist; betrachtet man hingegen das Zusammenspiel aller Komponenten dieser Affektsteuerung, die erzählte Geschichte, die Erzählweise und die Funktionalisierung der Musik, so muss man von einer perfekten Strategie sprechen, die kaum ihr Ziel, die Zuschauer emotional anzusprechen, verfehlen wird. Das lässt sich durch einen Seitenblick auf einen ähnlichen, aber doch anders argumentierenden Film – Olivier Dahans La vie en rose über Edith Piaf – zusätzlich erhellen. Der Artikel liefert so einen kleinen Beitrag zur Rezeptions- und Emotionstheorie der Medien am Beispiel von Filmmusik, genauer: am Beispiel von biopics einer Sängerin und Künstlerin in der Gattungsform des fiktionalen Spielfilms auf der Basis einer realen Biographie. Und einen Beitrag zur Frage, wie der Film Musik in Szene setzen kann.

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Westworld: Der Mensch wird erst durch Gewalt zum Menschen. Die böse Anthropologie einer Fernsehserie

Mit einer Problematisierung des Begriffs des quality tv versuchen die folgenden Überlegungen, dem Grundkonflikt der Fernsehserie Westworld auf die Spur zu kommen. Sie ordnen Westworld in eine Traditionslinie mit Matrix, The Truman Show, Inception, A.I., Eyes Wide Shut und Ex Machina ein und zeigen so durchgängige Muster, aber eben auch historische Neuerungen und Radikalisierungen. So liegt der Fokus auf einer dunklen Emanzipationsgeschichte, die damit überhaupt erst kritisierbar wird: Westworld führt vor, dass erst durch Gewalt der Mensch zum Menschen werde.

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‘Plädoyer für die Todesstrafe’ – ein Gesetz der Fernsehserie?

Die folgenden Überlegungen plädieren eben gerade nicht für die Todesstrafe, sondern untersuchen ein bestimmtes Muster von Storytelling, narrative Strukturen, die mit ihnen verbundenen Strategien der Normvermittlung und deren ideologische Implikationen im audiovisuellen Polizei- und Detektivgenre. Im Blickpunkt steht dabei eine bestimmte Art und Weise, Konflikte radikaler zu entfalten, bei der Polizisten oder Detektive (zumeist Männerfiguren, gelegentlich aber auch Frauenfiguren) entweder nicht mehr die Möglichkeit haben, den Verbrecher der Justiz zu übergeben, oder aber dieses Vorgehen sich als die schlechtere Option darstellt, und stattdessen entweder ein Kampf auf Leben und Tod stattfindet oder es besser gewesen wäre, den Verbrecher – in einem Akt von Lynchjustiz – selbst zu töten.

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David Lynch: Die Transzendenz des Rätsels und des Verbrechens

Die Verrätselungsstrategien, die David Lynch in seinen Filmen und in der Serie Twin Peaks, zuletzt in der dritten Staffel The Return umsetzt, mögen zwar den Zuschauer in eine lustvolle oder frustrierende hermeneutische Sackgasse führen, dennoch beruhen sie auf einem überschaubaren Set an Bausteinen, die sich transparent machen und analysieren lassen. Die folgenden Überlegungen führen einige Bausteine vor, kontextualisieren sie und fokussieren mit ihnen den narratologischen und ideologischen Kern des Lynch- bzw. Twin-Peaks-Universums.

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Der deutsche Weste(r)n. Zu Valeska Grisebachs Western (2017) – unter anderem

Valeska Grisebachs Film WESTERN verweist bereits mit seinem Titel auf ein amerikanisches Genre, das zunächst wenig mit dem deutschen Kino gemein zu haben scheint. Wenn man diesen Titel als Hinweis versteht, diesem nachgeht und einen Rückblick in die Geschichte des deutschen Films macht, dann zeigt sich, dass zwischen amerikanischem und deutschem Western eine Beziehung besteht, die weiter zurückreicht, als man vielleicht vermuten mag. Dabei nutzt der deutsche Film ein amerikanisches Genre, das von Grenzen und dem Weg vom Osten in den Westen erzählt, nicht nur um die eigene innerdeutsche Grenze zu verhandeln, sondern letztlich auch, um den deutschen Film von Deutschland zu entfremden und in der Konsequenz seine „Deutschlandbilder“ neu zu schreiben.

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“Oopsie, I made a universe!” Narration und Metareferenz in Brian K. Vaughan und Fiona Staples’ Saga

Der Beitrag untersucht den Independent-Comic Saga auf metareferentielle Erzählstrategien. Es wird erörtert, inwiefern Saga durch die ambige Subjektivität seiner Erzählinstanzen die eigene Medialität reflektiert, wobei die konkrete Intensität des metareferentiellen Effekts ungewöhnlich stark von der Haltung der Rezipientin abhängt.

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Gedanken lesen lassen. Zur narrativen Funktion(sweise) von Gedankenvisualisierung durch Schrift

Wie können wir verstehen, was in den Köpfen von so genialen und verrückten Figuren wie Sherlock Holmes vorgeht, und welche Mittel stehen dem Film zur Verfügung, um es uns zu zeigen? Ausgehend von der BBC-Serie SHERLOCKsoll das Potential der Schrift für die Visualisierung von Gedanken und davon ausgehend für Strategien filmischer Fokalisierung untersucht werden.

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