Gesellschaft


‚Dickens statt Kant’ oder: Richard Rorty und die Moral der Künste

Es gibt eine Legitimationskrise der Ethik. Die Meinung, moralische Vorschriften könnten verbindlich gerechtfertigt werden, wird kaum noch vertreten – zumindest unter Philosophen. Richard Rorty, der Protagonist des amerikanischen Neopragmatismus, zieht eine radikale Konsequenz: Nicht Philosophen sind für Ethik zuständig. Der Versuch, ethische Maßgaben zu ‚begründen’, muss von vornherein als verfehlt gelten. Ethik ist eine Domäne der Literatur. Romane von Dickens oder Flaubert wecken unser Mitgefühl. Sie schaffen Solidarität. Das ist die sozialethische Dimension der Literatur. Darüber hinaus bereichern sie unsere Selbst- und Welterfahrung. Das ist die individualethische Dimension. Kurzum: Literatur entfaltet eine solche ethische Kraft, dass der (vermeintliche) Bankrott der Moralphilosophie nicht zu bedauern ist.

Flugzeuge im Bauch oder: wie entscheiden wir über Verschwörungstheorien?

Dieser Aufsatz setzt sich mit der Argumentationsweise konspirologischer Autoren auseinander. Im Vordergrund steht dabei das Buch „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ von Mathias Bröckers und Andreas Hauß. Im Vorwort betont Bröckers, er wolle lediglich als „Dokumentarist“ und seinerseits gerade nicht „Konspirologe“ auftreten. Im Folgenden soll demgegenüber allerdings gezeigt werden, dass die Autoren nicht als Kritiker von Verschwörungstheorien auftreten, sondern sich vielmehr an ihrer Verbreitung beteiligen.

Die musikalische Verarbeitung des 11. Septembers: Bruce Springsteen, The Rising

Der 11. September ist ein nur schwer zu begreifendes, traumatisches Ereignis. Der folgende Beitrag untersucht, inwieweit Musik ein Medium zur Verarbeitung eines solchen Traumas darstellen kann. Bruce Springsteen veröffentlichte 2002 ein Album in diesem Kontext, das sich intensiv mit den Ereignissen um den 11. September auseinandersetzt und das in diesem Beitrag auch durchaus kritisch betrachtet wird.

Der Stellenwert des Symbolischen in der kulturellen Verarbeitung von “9/11”

Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge kurz hintereinander in die Zwillingstürme des World Trade Centers rasten und den Einsturz der 412 Meter hohen, 110-geschossigen Betongebäude verursachten, konnte dieses Schreckensszenario anfangs gar nicht realisiert werden, vielmehr erschien es wie eine Simulation des Grauens aus den Filmfabriken Hollywoods. “Wir haben die ersten Schreckensbilder der Television ästhetisch, mithin auch lustvoll und aus sicherer Distanz, erfahren.” (Gorsen: 96) Der vorliegende Text thematisiert “9/11” als Symbolisierungsprozess.

„Ihr seid krank!“ – „Ihr seid schon jetzt alle Gewinner!“

Neulich, nachts beim Zappen, stieß ich zufällig auf eine Show, die mich zuerst ein wenig ungläubig staunen ließ, dann aber sofort fesselte: Es war eine Art „Deutschland sucht den Superstar“-Show, die mich, anders als die gewohnten langweiligen, aalglatten, aber offenbar populären Shows, nach der ersten Verblüffung vollkommen faszinierte. Alle Show-Kandidaten sind geistig Behinderte, die, gemeinsam mit Christoph Schlingensief, voll Begeisterung, Engagement und mit sichtlich größtem Vergnügen eine Superstar-Show inszenierten, samt Jury, diskutierendem Presseclub, politischem Streitgespräch und Tonstudio – in jeweils passender Kostümierung. Ich muss zugeben, dass ich bei dieser Sendung einen Lernprozess durchmachte, wofür ich nun Schlingensief und den geistig behinderten Superstar-Aspiranten dankbar bin. […]

Medien und Fremdenfeindlichkeit: Eher Gefühlsprobleme als Vernunftprobleme.

Der vorliegende Aufsatz zweifelt daran, dass die üblichen Empfehlungen, wie mit dem Problem „Medien und Fremdenfeindlichkeit“ umzugehen sei, allein schon ausreichen. Diese üblichen, allemal wohlgemeinten, durchaus ehrenvollen Vorschläge, die pädagogischen und didaktischen Empfehlungen, die vor allem von Wissenschaftlern und zum Teil auch von Medienpraktikern stammen, berücksichtigen die tatsächliche, durchaus unbequeme emotionale Problemlage einer Gesellschaft und ihrer Medien nicht gründlich genug. Man hält „Medien und Fremdenfeindlichkeit“ für ein Vernunftproblem bzw. für ein Unvernunftproblem und versucht ihm folglich fast ausschließlich mit Aufklärung und Belehrung und der Erwartung auf Einsicht der Unvernünftigen beizukommen. Grundsätzlich spricht zwar nichts gegen solche Lösungsversuche, aber sie stellen eine höchst unvollständige Problembearbeitung dar. Verkannt wird, dass es vor allem um Gefühlsprobleme der Gesellschaft und die emotionale Dynamik der Medien geht und dass der Fremdenfeindlichkeit oft nur noch mit durchaus bedenklichen Gegen-Emotionen beizukommen ist. […]

Was ist Medienwirklichkeit? Oder: We got him!

Was ist eigentlich Medienwirklichkeit? Das heißt, dass nicht die Wirklichkeit wirklich ist, nicht das Wirkliche die Wirklichkeit bestimmt, sondern das Mediale wirklich ist und die Medien wirklich sind. Medienwirklichkeit ist charakterisiert durch den Umstand, dass nicht die Nachricht eines Faktums unsere Wirklichkeit bestimmt, sondern die Art und Weise ihrer medialen Inszenierung. Das klingt zu abstrakt? Nehmen wir ein Beispiel: […]

Wer wählt schon Arnold Schwarzenegger?

Sowohl diejenigen, die Arnold Schwarzenegger zum Gouverneur von Kalifornien gemacht haben, als auch diejenigen, die ihn ablehnen, folgen einem Schema, das durch Arnold Schwarzenegger in die Politik gebracht wurde, nämlich einem typischen Medienschema des Helden, der die Probleme beseitigen wird. Arnold Schwarzenegger hat dieses Schema intensiv ausgenutzt und war in dieser Hinsicht vielleicht klüger als manche Kritiker, die Medien und Politik verwechselt haben.

Der Mensch, geschält und entkernt. Ein Besuch der Münchener „Körperwelten“-Ausstellung.

Seit 1996 tourt der Anatomie-Professor Gunther von Hagens unter dem Motto “Die Faszination des Echten” mit seinen präparierten Körperspendern um die Welt, mit überwältigendem Erfolg: Über elf Millionen Besucher sahen bislang die Ausstellung “Körperwelten”; in München, der vorerst letzten Station, sind es bislang 500 000. Der Beitrag versucht in einer Mischung aus persönlichen Impressionen, rezeptionspsychologischen Reflexionen und Beobachtungen vor Ort der Attraktion der Ausstellung näher zu kommen.

Irakkrieg – welchen Verschwörungstheorien soll man den Vorzug geben?

Anlässlich der Gefahr oder sogar dem Beginn eines neuerlichen Golfkriegs wissen wir erneut nicht, was in Wahrheit läuft, sondern können eigentlich nur noch entscheiden, welchen Verschwörungstheorien wir jeweils den Vorzug geben sollen – den amerikanischen, den (alt-) europäischen oder den von vornherein anti-amerikanischen. Zwar kennen wir eine lange Vorgeschichte der realen Inszenierungen und Fingierungen, der Gerüchte und Verleumdungen, der Verschwörungstheorien und der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen (gerade in Krisen-Zeiten), und es ist wohl auch möglich zu behaupten, diese Vorgeschichte sei ohnehin so lang wie die jeweilige Geschichte selbst, aber erleben wir jetzt, trotz der globalen Medienpräsenz oder gerade erst wegen ihr, drastische Ausweitungen und Steigerungen dieser längst bekannter Effekte?