Sämtliche Beiträge | 1997-2023


Der Stellenwert der Photographie im Okkultismus Albert von Schrenck-Notzings.

Im Münchner Okkultismus nach 1900 behauptet Albert von Schenck-Notzing eine Sonderstellung durch seine Pionierleistungen auf dem Gebiet der Photographie. Von diesem Befund ausgehend, entwickelt mein Beitrag eine einfache These: Schrenck- Notzings Okkultismus und die ihm eigene Ästhetik ist überhaupt erst ein Produkt der neuen, durch das Medium der Photographie ermöglichten Wahrnehmungsweisen.

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Totenreich als Idylle des Heute. Zeitcollage in Monika Marons Zwischenspiel.

Eine Vielzahl von Phantomen darf in Monika Marons Roman Zwischenspiel in Erscheinung treten. Der eintägige Ausflug der Protagonistin ins Land der Phantastik ermöglicht eine Auseinandersetzung mit ihrer Schuld, ihrem Trauma und ihrer Todesangst. In der vorliegenden Untersuchung des Textes wird ein Blick auf die Zeitstruktur dieser okkultistischen Praxis geworfen, beginnend mit Marons Rekurs auf die literarische Tradition der Idylle, worin sich der Tod re-präsentiert. In der Hinterfragung der Gegenwärtigkeit der Geschehnisse werden die hybridischen Formen der textuellen Darstellung, insbesondere am Beispiel eines menschlichen Hundes, in den Fokus genommen. Abschließend wird die Frage gestellt, ob solche literarisch inszenierten Verfahren des Spiels dem Geist des Okkultismus nahestehen.

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„Einmal hatte ich in dieser Zeit das Erlebnis, tot zu sein.“ Jenseitige Zeitlichkeiten bei Carl Zuckmayer und Thomas Mann.

In Thomas Manns Zauberberg erscheint im Kapitel „Fragwürdigstes“ das Gespenst von Hans Castorps Vetter Joachim Ziemßen in einer Uniform aus dem Ersten Weltkrieg, der zu diesem Zeitpunkt der Romanhandlung noch in der Zukunft liegt. Diese Erscheinung, deren spiritistischer Status im Text ernst genommen wird, wurde in der Forschung lange ignoriert oder als ein Ärgernis wahrgenommen, jedenfalls aber nicht in der Gesamtkomposition des Romans betrachtet, wie Mann das selbst nahegelegt hat. Die Lektüre verdeutlicht einerseits den diskurshistorischen Hintergrund von soldatischen Geistererscheinungen und macht andererseits plausibel, dass das okkulte Material in den Texten von Zuckmayer und Mann zu einer Verdichtung und Verkomplizierung einer Darstellung von Zeit eingesetzt wird.

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“And I shall have to go deeper still” – Die Traum-im-Traum-Struktur in der Sonderfolge “The Abominable Bride” (2016) der BBC-Serie Sherlock.

Die BBC-Serie Sherlock (seit 2010) hat schon mehrfach innovative Darstellungsweisen im seriellen Fernseherzählen etabliert – nicht zuletzt auf formal-gestalterischer Ebene. Der One-off-Film “The Abominable Bride” (dt. „Die Braut des Grauens“, 2016) geht dabei noch einen Schritt weiter: Er spielt weitgehend im Kopf des Protagonisten. Oder doch nicht? Welche Vorstellung von ‚Kopfkino‘ vermittelt er dabei? Dieser Artikel untersucht die Traumkonzeption dieser Sonderfolge. Sie erfüllt serielle intratextuelle Funktionen, steht aber auch im Zeichen komplexer ‚Bewusstseinsfilme‘ wie Inception (2010).

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Verschwörungstheorien, Verschwörungsmythen und ihre Attraktivität

Warum können Verschwörungstheorien überhaupt erfolgreich verbreitet werden? Warum sind Verschwörungstheorien meist äußerst schwer oder gar nicht zu widerlegen? Warum ist es überhaupt möglich, dass sogar ein weitgehend gesichertes wissenschaftliches Wissen bei den Anhängern einer Verschwörungstheorie überhaupt keine Rolle spielt? Gezeigt werden dabei die Erklärungs-Möglichkeiten „konstruktivistischer“ Antworten. Abschließend werden einige Vorschläge skizziert, wie mit Verschwörungstheorien bzw. mit Verschwörungsmythen umzugehen wäre.

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Spürtechniken. Von der Wahrnehmung der Natur zur Natur als Medium – Einleitung

Die vorliegende Sonderausgabe der Medienobservationen knüpft an Diskussionen über Grundfragen an, die einen Teil der Kultur- und Medienwissenschaftler*innen gegenwärtig abermals intensiv beschäftigen: Was sind die Prämissen der Naturwahrnehmung in einer medial durchdrungenen, von menschlicher Gestaltung geprägten Welt, im sogenannten Anthropozän? Der Zusammenhang von Umweltdaten, Sensoren und ihrer Vernetzung fordert die traditionellen Vorstellungen einer Natur- ästhetik heraus, die an einem unverstellten Zugang, einer direkten, unvermittelten Wahrnehmung der Natur (im Sinne des Nicht-Mensch-gemachten) interessiert ist.

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Dem Spüren auf der Spur: Zur Wahrnehmung biologischer und technischer sensorischer Systeme

Das Spüren gilt als eine eher diffuse Form des Wahrnehmens, die sich nicht in die Differenzierung der fünf Sinne einordnen lässt. Damit scheint es für eine Instrumentalisierung wissenschaftlicher Erkenntnis untauglich zu sein. Und dennoch: Insbesondere in den 1960er Jahren werden derartige diffuse, ganzheitliche Wahrnehmungsmodalitäten zum Gegenstand philosophischer Diskussion, als vor allem in der Phänomenologie an der Formulierung gesamtleiblicher Epistemologien gearbeitet wird. Zur selben Zeit beschäftigt sich die Kybernetik in verschiedenen technischen und biologischen Experimentalsettings mit der Frage nach der Wahrnehmung, wobei sie zunächst von der prinzipiellen Isomorphie menschlich-biologischer und technischer Sensoren ausgehen. Auch hier spielt das Spüren als alternative Wahrnehmungsform, die sich jenseits der sensorischen Differenzierungen bewegt, eine Rolle. Der Beitrag setzt beide Diskussionen – die anthropozentrisch-phänomenologische und die technobiologisch-kybernetische – zueinander in Bezug und tastet sie auf Parallelen und Differenzen ab.

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Vulkanbeobachtungen. Sensorische Medien und geologische Lebenszeichen

Dass Vulkane ‚Lebenszeichen‘ von sich geben, scheint kategorisch ausgeschlossen. Allenfalls metaphorisch mag man die geologischen Aktivitäten von schlafenden Vulkanen – seismische Unruhen, Gasausstöße, Aufblähungen – unter ‚Lebenszeichen‘ fassen. Demgegenüber möchte der Beitrag zeigen, dass beim sogenannten volcano monitoring, also der kontinuierlichen Überwachung von Risiko-Vulkanen, tatsächlich Lebenszeichen registriert werden, allerdings nicht als Ausdruck einer intrinsischen Lebenskraft des Vulkans, sondern als Effekte spezifischer sensorischer Medien. Im Rückgriff auf Konzepte der Medizinsoziologie und -anthropologie (Connecting Work, Biotechnische Gestalt, Monitoring) zeichnet der Beitrag das Dispositiv einer ‚klinischen Vulkanologie‘ nach, in dem Vulkane als kritische Patienten erfasst und behandelt werden.

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Jeder Tropfen zählt. Elementar-mediale Begegnungen im Milieu des Rain Room (rAndom International, 2012)

Der Rain Room des kollaborativen Studios für experimentelle Praxis rAndom International bringt ein Milieu im Ausstellungsraum hervor, das sich durch ein technisch induziertes, kontraintuitives Naturschauspiel auszeichnet. Dort ist eine dreifache Dynamik des Sensing am Werk. Sie speist sich aus Sensoren und 3D-Kameratracking des algorithmusbasierten technischen Set-ups, der eigenlogischen Aktivität der herabfallenden Wassertropfen und dem sinnlichen, multisensorischen Erfassen des Regens ohne die ihn begleitende Empfindung des Nasswerdens. Doch in der Begehung des Rain Room und im Versuch seiner medialen Repräsentation auf der Social Media Plattform Instagram offenbart die spezifische Medialität des Regens eine Kollektiverfahrung des Scheiterns. Entlang der metaphorischen elementar-medialen Engführung von Stoffströmen und Datenflüssen, die in der Installation eine materielle Entsprechung findet, nimmt der Text die wahrnehmungstheoretische Ausnahmesituation im Rain Room in den Blick. Er argumentiert dafür, dass die binärlogische Operationsgrundlage des Systems in der Begegnung mit den Unwägbarkeiten der Materie eine radikal ephemere Erfahrung im Milieu zeitigt.

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Octavia E. Butlers Sensoren. Afrofeministisches Spekulieren mit Xenogenesis

Ausgehend von Donna J. Haraway, die die Science-Ficiton-Autorin Octavia E. Butler als Theoretikerin für Cyborgs bezeichnete, nimmt dieser Essay Butlers Erzählung Xenogenesis als afrofeministsiche bzw. afrofuturistsiche Technopoetik ernst. Es werden zentrale Aspekte wie Umwelt, Technik und Subjektivität an gegenwärtige Debatten um sensorgestützte Medienprozesse rückgebunden, um Butlers Erzählung auf ihr sympoietisches bzw. xenopoietisches Potenzial hin zu befragen.

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